Vermögensverwalter Carmignac und Ehrhardt über die Börsenlage | ABC-Z

Édouard Carmignac: Da hat Jens vollkommen recht. Die Zentralbanken geben oft die Richtung vor, in die sich die Börsen entwickeln. Das wissen zwei alte Hasen wie wir nur zu gut, und dies lässt sich auch jetzt wieder beobachten. Allerdings würde ich schon einen Unterschied zwischen Europa und Amerika machen. Ich bevorzuge derzeit europäische Aktien, insbesondere Titel aus Deutschland. Sie zeichnen sich noch immer durch eine günstigere Bewertung aus, und ihnen hilft das enorme Ausgabenprogramm, das die deutsche Bundesregierung plant. Trumps Zölle sind natürlich eine Belastung, aber ich habe schon oft gesagt: Trump bellt häufig, aber er beißt selten zu, wenn Sie mir dieses Bild erlauben. Insofern wird es immer mal wieder zu Kursrückschlägen kommen. Eine echte Crash-Gefahr besteht allerdings nicht.
Ihre Zuversicht in Ehren, aber was ist mit den Unternehmen, die mit Künstlicher Intelligenz (KI) Geld verdienen wollen? Sind deren Kurse nicht zu weit enteilt?
Ehrhardt: Das ist eine schwierige Frage. Ich bin 83 Jahre alt, also sicher nicht jemand, der alle Details dieser neuen Technologie sogleich durchdringt. Aber ich weiß, dass ich eine solche Entwicklung niemals für möglich gehalten hätte, als ich 2007 zum ersten Mal ein iPhone in der Hand hielt. Damals war das Gerät für mich ein besseres Telefon. Was ich damit sagen will, ist: Technologische Entwicklungen können die Märkte für eine deutlich längere Zeit in Bewegung halten, als man als Investor manchmal denkt. Ich kann mich noch sehr gut an die berühmten Kursblasen der Vergangenheit erinnern, zum Beispiel an den Crash von 1987 oder das Platzen der Blase am Neuen Markt im Jahr 2000. Zu diesen beiden Kursabstürzen sehe ich momentan keine Parallelen. Weil auf der einen Seite noch immer genügend frisches Geld in den Aktienmarkt fließt und weil sich auf der anderen Seite die Zugewinne an der Börse keineswegs von den eigentlichen Unternehmensgewinnen entkoppelt haben.
Carmignac: Lassen Sie mich dazu zwei Anmerkungen machen. Jens hat richtigerweise festgestellt, dass die KI aktuell eine ungeheure Entwicklung durchläuft. Die KI, die besser als erweiterte Intelligenz bezeichnet werden sollte, ermöglicht uns bereits heute rasante Fortschritte in vielen Bereichen und wird dies auch in Zukunft tun. Welche das sein werden, können wir heute noch gar nicht vorhersehen. Das sage ich als jemand, der mit 78 Jahren schon einige Entwicklungen miterlebt hat. Die KI kann uns Fondsmanagern Firmendaten in hoher Geschwindigkeit zusammenstellen und uns auf ungewöhnliche Zusammenhänge aufmerksam machen. Aber interpretieren müssen wir die Daten schon selbst. Am Ende macht also der Mensch noch immer einen Unterschied. Und zweitens gibt es durchaus einen Bereich des Finanzmarktes, der mir Sorgen macht. Das enorme Vertrauen vieler Anleger in die Digitalwährung Bitcoin kann ich nicht nachvollziehen.
Provokant gefragt: Liegt das vielleicht daran, dass Bitcoin für Sie als klassische Vermögensverwalter zu modern ist?
Carmignac: Das hat nun wirklich nichts damit zu tun. Manchmal hilft es doch gerade, mit viel Erfahrung auf vermeintlich moderne Entwicklungen zu blicken. Ich mache einen klaren Unterschied zwischen Bitcoin und anderen Kryptoentwicklungen. Die Blockchain beispielsweise – eine Art elektronisches Kassenbuch, auf dem sich sicher Transaktionen speichern lassen – hat meines Erachtens eine großartige Zukunft in der Welt des elektronischen Bezahlens. Bei Bitcoin dagegen habe ich Zweifel. Es handelt sich dabei einfach nur um eine sehr riskante Anlage ohne intrinsischen Wert. Es gibt auf diesem Markt viele schwache Hände, wie wir Investoren das nennen. So gibt es zum Beispiel Unternehmen, die so närrisch waren, Kredite aufzunehmen, um in Bitcoin zu investieren. Sie werden zu den ersten Verkäufern gehören, wenn auch nur irgendetwas schiefgeht. Das wird eine Kettenreaktion auslösen, die den Kurs zum Absturz bringen wird.
Ehrhardt: Ich bin da ähnlich skeptisch. Bitcoin bringt keine Dividende ein, und man ist auch nicht Mitbesitzer einer Firma, wie das bei einem Aktienkauf der Fall ist. Und trotzdem gerate ich jetzt manchmal ins Grübeln. Seitdem Digitalwährungen die Unterstützung Donald Trumps haben, ist daraus eine richtig große Sache geworden. Wir investieren trotzdem nicht in Kryptowährungen. Aber ich will es auch nicht für alle Zeit ausschließen.
Ein anderes Risiko für die Märkte könnte von der hohen Verschuldung vieler Staaten ausgehen. Wie problematisch ist das?
Ehrhardt: Ich höre das seit 50 Jahren, immer lauert irgendwo angeblich bereits die nächste Schuldenkrise. Die Wahrheit ist: Selbst in der Euroschuldenkrise in den 2010er-Jahren haben die hohen Schuldenstände der Staaten die Börsen kaum beeindruckt. Ich verstehe, dass dahinter ein echtes Problem liegt, aber aus Anlegersicht kann man da sehr gelassen mit umgehen.
Die Regierungskrise in Paris verunsichert durchaus einige Investoren. Herr Carmignac, sehen Sie als Franzose die Lage genauso entspannt wie Herr Ehrhardt?
Ja. Eine zweite Eurokrise wird es nicht geben, allein die EZB hat doch heute schon alle Möglichkeiten, um das zu verhindern, indem sie zum Beispiel Staatsanleihen aus dem Euroraum kauft. Natürlich sind hohe Schulden auf lange Sicht nichts Gutes, aber wir sollten nicht übertreiben: Deutschland kann sich noch viele Schulden leisten. Auch wenn die Lage in Frankreich schwieriger ist, halte ich sie nicht für dramatisch. Zu guter Letzt möchte ich darauf hinweisen, dass Länder wie Belgien monatelang ohne eine Regierung auskamen und trotzdem nichts Schlimmes passiert ist. Manchmal tut man gut daran, sich nicht von jeder Aufregung ablenken zu lassen.
An der Börse kommt es ja oft genug darauf an, zwischen Wichtigem und Unwichtigem zu unterscheiden. Was ist die wichtigste Regel für erfolgreiches Investieren?
Ehrhardt: Auf Englisch lautet sie: The trend is your friend. Trends an der Börse dauern meiner Erfahrung nach immer viel länger, als man im Vorhinein denkt. Natürlich gibt es immer wieder Zweifel und auch Investoren, die oftmals lautstark auf ein baldiges Ende wetten. Davon sollten sich normale Anleger aber nicht zu sehr beeindrucken lassen.
Carmignac: Es gibt eine Regel, die mir in meinem Investorenleben bis heute sehr wichtig ist. Gelernt habe ich sie von Peter Lynch, der früher ein berühmter Fondsmanager war. Er hat einmal gesagt, dass Anleger nicht wie Gärtner agieren sollten. Ein Gärtner beschneidet Blumen und Pflanzen regelmäßig, damit sie danach umso besser wachsen. Ein Investor sollte dagegen immer bei seiner Überzeugung bleiben. Wenn man also glaubt, dass der Kurs einer Aktie sich weiter gut entwickeln wird, obwohl er schon sehr stark zugelegt hat, sollte man dabei bleiben. Dies ist in unserem Beruf gar nicht so einfach, weil man dazu neigt, Gewinne mitzunehmen, wenn eine Aktie besonders gut gelaufen ist. Aber ich versuche, mich immer an Lynchs Regel zu halten.
Gibt es Aktien, die Sie nie verkaufen würden?
Carmignac: Das ist ein wenig wie mit der Liebe. Es gibt sicherlich Paare, die auch nach 35 Ehejahren noch glücklich sind, aber es sind meiner Auffassung nach nicht allzu viele. Das ist bei Aktien nicht anders. Eine der wenigen Aktien, in die wir seit Jahrzehnten investieren, ist das Papier der Luxusgüterfirma Hermès. Aber ich bin nicht verliebt in die Aktie – ich versuche, einen klaren Kopf zu behalten.
Ehrhardt: Etwas Vergleichbares gibt es für unser Haus nicht. Ich erinnere mich aber, dass ich an der Börse eine Zeit lang den Titel „Mr. Kali und Salz“ trug, weil ich während des Internethypes im Jahr 2000 ausgerechnet in ein Bergbauunternehmen investiert habe. Ich habe lange daran festgehalten, und es hat sich sehr gelohnt. Aber heute halten wir keine Anteile an K+S mehr.
Sie haben beide in den 1970er-Jahren begonnen, professionell zu investieren. Was hat sich seitdem am meisten verändert?
Ehrhardt: Damals war das Geldanlegen nicht so reguliert. Viele Profianleger haben versucht, an Insiderinformationen zu gelangen, um diese zu Geld zu machen. Das war alles nicht so streng geregelt. Viele haben einfach ihren Tag damit begonnen, herumzutelefonieren und zu hören, was andere kauften, oder sie haben versucht, Gerüchte aufzuschnappen. Den systematischen Ansatz, den ich damals schon verfolgte, verstanden viele nicht: Ich wollte Aktien anhand fester Kriterien analysieren, das fanden die Leute zu Beginn ziemlich seltsam.
Carmignac: Ich kann das bestätigen. Heute hat Information keinen Wert mehr, jeder kann alles in Sekundenbruchteilen über eine börsennotierte Gesellschaft erfahren. Zu unserer Anfangszeit dagegen war es mühsam, diese Informationen überhaupt zu beschaffen. Heute dagegen brauchen Sie große Compliance-Abteilungen, die darauf achten, dass alles regelkonform abläuft. Ich finde, diese Regulierungswut hat überhandgenommen.
Sie beide arbeiten in Ihren Firmen mit Ihren Kindern zusammen. Wie gelingt der Übergang auf die nächste Generation am besten?
Ehrhardt: Mein Vater war Fotograf und wollte mich immer in der eigenen Firma haben. Er hat mir aber nur erlaubt, ihm über die Schulter zu blicken, und mir keine eigenen Aufgaben anvertraut. Das fand ich sehr enttäuschend. Mit meinem Sohn Jan habe ich das anders gemacht: Er ist nach dem Studium und der Arbeit als Analyst in New York bei uns eingestiegen und durfte direkt Geld managen. Diese Eigenständigkeit ist der Schlüssel. Heute trägt er für drei Viertel unserer Kundengelder die Verantwortung.
Carmignac: Ich habe in meiner Tochter Maxime einen tollen Counterpart gefunden. Sie verwaltet zwar kein Geld, aber kümmert sich um die Organisation unseres Geschäfts, was sie viel besser kann als ich. Außerdem öffnet sie mir den Blick für Dinge, denen ich eher skeptisch gegenüberstehe – der Arbeit im Homeoffice beispielsweise.
Werden Sie jemals in den Ruhestand gehen?
Ehrhardt: Ich liebe meine Arbeit und würde den Ruhestand hassen. Ich hatte das Glück, mein Hobby zum Beruf machen zu dürfen.
Carmignac: Für mich ist das ähnlich. Wenn neue Kollegen bei uns in der Firma anfangen, wundern sie sich oft, dass ich immer da bin und nicht auf einer Segelyacht das Leben genieße. Aber wir haben den spannendsten Beruf, den es gibt: Man lernt jeden Tag etwas Neues und verdient auch noch Geld damit. Warum sollte ich das ändern wollen?





















