kein Diktat von Putin und Trump über unsere Köpfe hinweg | ABC-Z

Nein, Wolodymyr Selenskyj will nicht den Eindruck erwecken, er klebe an seinem Stuhl. Aber auch nicht den Eindruck, dass ihn die Verhandlungspläne von US-Präsident Donald Trump mit Russlands Präsident Wladimir Putin im Geringsten beeindruckten. Am Dienstagabend liefen Ausschnitte aus Selenskyjs Gespräch mit Sandra Maischberger in deren Talksendung. Maischberger fragte den ukrainischen Präsidenten, ob er sich vorstellen könne, für einen Frieden zurückzutreten. Die Antwort ließ nichts an Deutlichkeit vermissen: „Wenn die Ukraine morgen in die EU und die Nato aufgenommen wird, wenn russische Truppen sich zurückziehen und wir Sicherheitsgarantien haben, dann werde ich nicht mehr gebraucht, dann denke ich, habe ich alles erreicht. Aber solange wir das nicht haben, werde ich mein Land verteidigen“, sagte Selenskyj.
Die Sendung war dreigeteilt: Das Interview wurde gerahmt von Einschätzung dreier Kommentatoren, die einander nur selten widersprachen. Am Ende begaben sich die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken und FDP-Gegenpart Christian Lindner dann von den großen Fragen europäischer Verteidigungspolitik zu einer bitteren Auseinandersetzung über die Frage, wer für das Scheitern der Regierung verantwortlich sei.
„Ende des Bullerbü-Gefühls“
Den Anfang machten neben Vassili Golod, Leiter des ARD-Studios in Kiew, die WDR-Journalistin Bettina Böttinger und Wolfram Weimer, Verleger des Magazins „The European“. Vor dem aufgezeichneten Interview mit Selenskyj wollte Maischberger von der Runde wissen, was die Konsequenzen aus den jüngsten Verlautbarungen der Amerikaner zur Ukraine seien.
Dass Donald Trump und sein Verteidigungsminister Pete Hegseth das Land nicht mehr als Nato-Beitrittskandidaten betrachten und gleichzeitig mit Russlands Präsident Wladimir Putin über einen „Frieden“ nach dessen Vorstellungen verhandeln wollen, bedeutet für Böttinger das Ende eines „Bullerbü-Gefühls“ im Hinblick auf die USA. Wie viele Deutsche habe sie die Amerikaner immer als eine verlässliche Schutzmacht erlebt – das sei nun vorbei. Die drei Kommentatoren waren sich einig darüber, dass sich die Europäer nunmehr in einer neuen Situation befänden und eine eigene Verteidigungsstrategie bräuchten.
Die Diskussion spiegelte aber auch etwas von der Uneinigkeit wider, die es in der Bevölkerung gibt: Während Golod beständig daran erinnerte, dass die Ukraine von Russland überfallen wurde und jeder Gebietsabtretungsplan für die leidenden Menschen nur ein „fauler Frieden“ sein könne, gab sich Weimer pragmatisch: Wer nicht mit am Verhandlungstisch sitze, der stehe eben schnell auf der Speisekarte, zitierte er einen Diplomatenspruch. Mit der neuen Realität müsse Europa nun so konstruktiv umgehen wie möglich. Es stimme nicht, dass die Amerikaner keinen Plan verfolgten – nur sei der Plan eben nicht mit den Interessen der Europäer kongruent, so der Publizist. Trump gehe es letztlich darum, einen Konflikt zu beenden, um sich der Auseinandersetzung mit China besser stellen zu können, glaubt Weimer.
Keine Verhandlungen ohne die Ukraine
Selenskyj gab sich in dem aufgezeichneten Interview, dessen Langfassung online steht, nahbar als Person und fest in der Sache. Russland und die USA könnten ohne die Ukraine keinen Frieden beschließen und „ganz sicher nicht über unsere Menschen und unsere Leben verhandeln“, sagte er. Ein „Afghanistan 2.0“ könne schließlich niemand wollen, so der ukrainische Präsident und spielte auf den chaotischen Abzug amerikanischer Truppen aus dem Land an. Er erinnerte daran, wie wichtig und effektiv die Hilfe der USA für die Ukraine bislang war. So sei es für ihn immer noch nicht einfach, das Land zu verlassen, aber er könne es inzwischen tun, weil man eine eigene Waffenproduktion habe. Wo die Flugabwehr funktioniere, könnten Kinder zur Schule und Eltern zur Arbeit gehen. Auch, wenn es viele Herausforderungen gebe, sei die Situation in diesen Teilen der Ukraine besser als noch vor einem Jahr – das Leben sei zum Teil zurückgekehrt, der Wirtschaft gehe es besser.
Maischberger wollte wissen, was Selenskyj über die augenscheinlich guten Beziehungen zwischen Trump und Putin denkt. Selenskyj im Ton zwar freundlich, wollte aber einen grundsätzlichen kulturellen Gegensatz zwischen dem Westen und Russland aufmachen, dem sich die Europäer nun zu stellen hätten. Trump habe tatsächlich gute Beziehungen zu Putin, obwohl die USA und Russland „völlig unterschiedliche Wertegemeinschaften“ seien und die Russen „eine ganz andere Kultur“ hätten. Das Land sei eine Autokratie mit einem wirkmächtigen sowjetischen Erbe, betonte der Staatschef und bekräftigte: „Aber wir wollen jetzt in Europa leben.“ Hegseths Absage an eine Nato-Mitgliedschaft beantwortete Selenskyj mit dem Tipp, der neue Verteidigungsminister solle sich etwas mehr Zeit nehmen, um sich in die Materie einzuarbeiten. Er hoffe, dass ihn Donald Trump gehört habe, betonte er – als souveräner Staat lehne die Ukraine es selbstverständlich ab, dass über ihren Kopf verhandelt werde.
Kein Rückzug von der Krim?
Als Maischberger nach einer möglichen Lösung fragte, die einen Verzicht auf die Krim bedeuten könnte, stellte der Präsident klar, dass er für Gebietsabtretungen nicht zu haben sei – man werde „nichts für schnellen Beifall unterschreiben“. Nachdem Maischberger Selenskyj noch nach seinem Sohn und seinem früheren Job als Synchronsprecher („Paddington Bear“) gefragt hatte, endete der Gesprächsausschnitt mit Selenskyjs Zusicherung, er werde eines Tages wieder einen Anzug tragen – hoffentlich zur Münchner Sicherheitskonferenz, wenn der Krieg beendet sei. Anschließend diskutierte die Runde weiter die Folgen von Trumps Vorstoß für Europa. Sollten sich die Amerikaner finanziell aus dem Ukraine-Krieg zurückziehen und sollte es gar einen „Frieden“ nach Trumps und Putins Willen geben, müssten europäische Friedenstruppen diesen dann sichern?
Golod fragte sich, was die Europäer eigentlich einzusetzen bereit seien, „um Verantwortung für unseren Kontinent zu übernehmen“. Weimer las aus der Münchner Sicherheitskonferenz nebst der Rede von Trumps Vize J.D. Vance einen klaren Auftrag an die Bildung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Dafür stehe man gar nicht so schlecht da, denn schließlich gebe es in Europa zwei Atommächte. Nun brauche es nur noch „einen Staatsmann, der das zusammenführt“, was Maischberger zu dem Zwischenruf brachte: „einen Staatsmann?“ Wohl eher eine „starke Achse“ meinte Böttinger.
In der Formulierung der WDR-Moderatorin, Europa sei bislang „untermilitarisiert“ spiegelte sich die erzwungene Diskursveränderung am deutlichsten: Die Akzeptanz für militärische Szenarien, in denen Deutschland eine aktivere Rolle spielen würde, wächst – auch, wenn Golod noch einwarf, dass die viel gescholtene Besonnenheit des Kanzlers hier vielleicht doch gut sei. Kurz kam man noch auf das Thema Einwanderung zu sprechen – wohl als Überleitung für den dritten, wahlkampflastigen Sendungsteil. Golod beklagte, dass die Debatte „entmenschlichend“ geführt werde. Ein afghanischer Taxifahrer habe es ihm gegenüber kürzlich auf den Punkt gebracht, als er nach dem Anschlag von München gesagt habe: „Jetzt sind wir alle wieder schuld.“ Man dürfe nicht vergessen, wie sehr die Diskussion Menschen entwerte und verunsichere, so der Journalist.

Giftiger Ton zwischen Parteispitzen
Im dritten Teil der Sendung trafen dann also Esken und Lindner aufeinander – zum ersten Mal seit dem Platzen der Regierung. Obwohl sie ihr Duzen aus früheren Zeiten beibehielten, lässt sich der Ton nur als gereizt bis giftig beschreiben. Beide wollten noch einmal den Bruch der Koalition verhandeln. Alles sei an den Grünen und ihren unmöglichen Vorschlägen zum Thema Migration gescheitert, so der FDP-Chef. Ob das „D-Day“-Papier der FDP nun gar keine Rolle mehr spiele, konterte Esken. Zur Ukraine ging es ebenfalls hin und her – eine europäische Verteidigungspolitik zu finanzieren, das gehe für die SPD nur über Schulden (Lindner), die FDP wolle dagegen weiter Steuergeschenke an Reiche verteilen, als sei nie etwas gewesen (Esken).
Ein kleines Lob für Trump brachte Lindner auch noch unter: Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands liege aufgrund des „Bürokratismus“ und hoher Steuern darnieder. Trump wolle in den USA auf 15 Prozent Belastung runter, in Deutschland liege sie so viel höher, ohne dass das Land „doppelt so gut“ sei wie Amerika. Ob man sich denn wenigstens in der Beurteilung der Rede von Vance einig sei, der die Deutschen aufgefordert hatte, die Brandmauer gegen rechts niederzureißen? In wesentlichen Punkten ja, meinte Lindner – nur, um das gleich wieder einzuschränken und SPD und Grünen die Schuld am Streit um den im Bundestag gescheiterten Zuwanderungs-Entschließungsantrag zu geben.
„Man wird die AfD nicht mit Lichterketten klein machen“, sagte Lindner, und an Esken gerichtet: „Kannst du einmal einen Gedanken ertragen, auch wenn er von mir kommt?“ Mit den Grünen wolle er auf keinen Fall je wieder koalieren, eine „Deutschlandkoalition“ in den entsprechenden Farben sei aber schon denkbar. So gab es am Ende der Sendung zumindest ein konkretes Ergebnis, auch wenn sie vor allem zeigte, wie zerrüttet das Vertrauen zwischen den beiden Parteichefs wohl ist.