Wirtschaft

Verkauf zum Schleuderpreis: Diese Kreml-Verbündeten profitieren vom Exodus westlicher Firmen | ABC-Z

Seit dem Angriff auf die Ukraine ziehen sich immer mehr Unternehmen aus Russland zurück – oft mit großem wirtschaftlichen Verlust. Der Kreml verlangt nicht nur starke Rabatte, sondern auch eine saftige Ausstiegssteuer. Davon profitiert eine ganz neue Spezies an Unternehmern.

Bis Russland im Februar 2022 die Ukraine angegriffen hat, waren knapp 4000 internationale Firmen auf dem russischen Markt aktiv. Seitdem haben sich nach Angaben der Kyiv School of Economics lediglich 428 von ihnen vollständig zurückgezogen. Nach Dauerkritik aus dem Westen und der Genehmigung der russischen Regierung verkaufte zuletzt der britische Konsumgüterkonzern Unilever seine Vermögenswerte.

Der neue Eigentümer ist die Arnest Group, ein russischer Hersteller von Parfum, Kosmetika und Haushaltsprodukten. Laut Informationen der „Financial Times“ sollen 520 Millionen Euro geflossen sein. Hinter dem Unternehmen steckt Alexei Sagal – es ist nicht das erste Mal, dass der Industrielle bei westlichen Vermögenswerten zugreift. Seit Moskaus Einmarsch hat die Arnest Group bereits die lokalen Vermögenswerte des US-amerikanischen Dosenherstellers Ball Corp, der niederländischen Brauerei Heineken und des schwedischen Kosmetikkonzerns Oriflame erworben.

Sagal begann 1996 als Vertriebshändler für Arnest zu arbeiten und erwarb bis 2004 eine Mehrheitsbeteiligung an dem Unternehmen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Arnest seinen ersten Vertrag mit einer ausländischen Marke abgeschlossen und stellte Dosen für die Taft-Haarsprays des deutschen Konsumgüterriesen Henkel her. Heute produziert und verpackt das Unternehmen Produkte für den russischen Markt sowie für Länder wie Belarus und Kasachstan.

Seine Geschäfte haben den begeisterten Pferdezüchter einer Einschätzung der britischen „Financial Times“ zufolge zu einem der Hauptnutznießer der größten Umverteilung von Vermögenswerten in Russland seit dem Fall der UdSSR gemacht. Die Gewinne seines Unternehmens haben sich inzwischen mehr als verzwanzigfacht. Das US-Finanzportal Bloomberg schätzte sein Vermögen Ende vergangenen Jahres auf eine Milliarde US-Dollar. „Arnest war relativ unbekannt, bis zu dem Zeitpunkt, als Unternehmen Vermögenswerte verkaufen wollten. Das Unternehmen wurde ein regelmäßiger und erfolgreicher Bieter“, zitiert die Zeitung einen Anwalt, der westliche Exits abwickelt. „Der Massenabgang hat eine neue Art von Unternehmern hervorgebracht.“

Arnest Group von Sagal hat zwei Vorteile

Und Sagal ist nicht der Einzige. Ein weiterer Geschäftsmann, der ordentlich an dem Rückzug westlicher Firmen aus Russland verdient, ist Iwan Tawrin. Er kaufte Ende April vergangenen Jahres für umgerechnet 600 Millionen Euro die Vermögenswerte von Henkel. Der Düsseldorfer Konzern war mehr als 30 Jahre in Russland aktiv und betrieb dort zuletzt elf Produktionsstandorte.

Zum Zeitpunkt des Verkaufs ging Konzern-Chef Carsten Knobel von einem Verlust „im niedrigen dreistelligen Millionen“-Euro-Bereich aus. Einem Händler zufolge hatte der Hersteller von Pritt und Persil allerdings keine Alternative: „Man darf nicht vergessen, dass sie mit dem Rücken zur Wand standen und wegen der Sanktionen jeden Preis akzeptieren mussten.“

Zuletzt ist es für Unternehmen, die ihr Russland-Geschäft aufgeben wollen, immer schwieriger geworden, einen geeigneten Käufer zu finden. Sie müssen gleichermaßen für westliche Aufsichtbehörden und den Kreml tragbar sein. „Die Liste von potenziellen russischen Käufern, die diese Kriterien erfüllen, wird immer kürzer“, zitiert die „Financial Times“ eine Person, die bei mehreren Exits als Berater tätig war. Der Leiter der russischen Niederlassung von Transparency International, Ilya Shumanov, sagte der Zeitung außerdem: „Nur diejenigen, die von den Behörden begünstigt werden, können eine Genehmigung für diese Vermögenswerte erhalten. Niemand bekommt sie zufällig.“

Die Arnest Group von Sagal hat nicht nur den Vorteil, dass das Unternehmen bislang vom Westen nicht mit Sanktionen belegt ist. Der Geschäftsmann steht laut „Financial Times“ auch Denis Manturov, dem Vize-Regierungschef Russlands, nahe. Seit seiner Beförderung im Mai soll er eine wichtige Figur bei der Vermittlung von Ausstiegsgeschäften geworden sein. Die Vermögenswerte werden einem Insider zufolge so verteilt, dass das Handelsministerium seine eigenen Interessen verfolgen kann. Für mittelgroße Haie wie die Arnest Group sei das ein Segen.

Auf Nachfrage erklärt das Unternehmen, der Schlüssel zum Verhandlungserfolg liege in seinen langjährigen Partnerschaften mit internationalen Unternehmen. Ein Sprecher verwies auf die frühere Zusammenarbeit mit Unternehmen wie Oriflame und Unilever sowie auf die Tatsache, dass sowohl Arnest als auch Sagal „mehrfache Überprüfungen durch internationale Unternehmen und Behörden“ durchlaufen haben.

Ausstiegssteuer soll auf 35 Prozent steigen

Russland hat die Ausstiegsbedingungen für ausländische Unternehmen seit der Verhängung westlicher Sanktionen stetig verschärft. Der Kreml verlangt etwa vor der Genehmigung von Verkäufen ausländischer Vermögenswerte starke Rabatte und nimmt einen Teil des Verkaufspreises zur Aufstockung der Staatskasse. Die Abwanderung von Firmen aus Russland hat ausländische Unternehmen laut einer Reuters-Analyse vom März mehr als 107 Milliarden Dollar an Abschreibungen und entgangenen Einnahmen gekostet.

Die sogenannte Ausstiegssteuer soll laut einem Bericht der Wirtschaftszeitung RBC schon bald von 15 auf 35 Prozent steigen. RBC berichtet auch, dass der Mindestabschlag, den Unternehmen künftig akzeptieren müssen, von 50 Prozent des Wertes der Vermögenswerte auf 60 Prozent angehoben werden soll. Geschäfte im Wert von mehr als 50 Milliarden Rubel (517,6 Millionen US-Dollar) sollen darüber hinaus die persönliche Zustimmung von Kreml-Chef Wladimir Putin erfordern.

„Die Strategie der russischen Regierung seit dem Kriegsanfang bestand darin, die großen westlichen Investoren im Land zu halten, weil sie für die russische Wirtschaft beziehungsweise einzelne Sektoren wichtig sind“, erklärt Vasily Astrov vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche im Gespräch mit ntv.de die schrittweise Verschärfung der Exit-Bedingungen. Bis Ende August dieses Jahres hat Moskau mit der Ausstiegssteuer 1,4 Milliarden Euro verdient. Angesichts der Größe der russischen Wirtschaft und des Staatshaushalts sei das nicht sonderlich viel. Die Einnahmen entsprächen gerade mal 0,4 Prozent der Einnahmen des föderalen Budgets. „Zum Vergleich: die Steuereinnahmen aus dem Energiesektor machen etwa 30 Prozent aus“, sagt Astrov.

Der Experte geht davon aus, dass die Einnahmen aus der Ausstiegssteuer sinken werden. „Die Bedingungen für den Rückzug sind mittlerweile so drakonisch geworden, dass nur wenige ausländische Investoren Russland verlassen werden, weil sie in so einem Fall praktisch alles abschreiben müssten.“ Der Rückzug habe sich bislang, verglichen mit den Spitzwerten von 2022, schon deutlich verlangsamt – und könnte nun nahezu zum Stillstand kommen.

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