“Verheerende Folgen”: US-Unternehmen bereiten sich auf Zollkrieg vor | ABC-Z
“Verheerende Folgen”
US-Unternehmen bereiten sich auf Zollkrieg vor
12.11.2024, 19:49 Uhr
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Monatelang wirbt der künftige US-Präsident Trump im Wahlkampf für Zölle auf ganzer Front. Wirtschaftswissenschaftler warnen vor Inflation und weniger Jobs. Unternehmen versuchen vorzubeugen.
In einem Video, das vor dem Wahltag die Runde machte, erklärt ein Anhänger von Donald Trump einem Journalisten, weshalb er Zölle gut findet. Er verkaufe T-Shirts, und mit einer Abgabe werde es keine Billigimporte mehr geben. “Die Unternehmen zahlen die Zölle, nicht wir.” Der Fragende widerspricht; nicht China zahle drauf, sondern “wir, wenn sie hier ankommen”. Der Mann ist sichtlich erstaunt. Nach der Frage, ob er bei höheren Einkaufskosten den Preis halten würde, zögert er – und sagt: “Der Verbraucher zahlt die Rechnung.”
Das klingt im Wahlprogramm der Republikaner anders. “Zölle auf ausländische Produkte gehen hoch, Steuern für Arbeiter, Familien und Unternehmen gehen runter”, steht dort. Eben davor warnen Wirtschaftswissenschaftler in den USA seit Monaten. Setze Donald Trump in seiner Amtszeit seine Pläne um, sei das wie eine indirekte Konsumsteuer, so der Tenor. Er kann sie per Dekret anordnen, der Kongress muss nicht zustimmen. Die Folge wären höhere Preise, also Inflation. Darauf reagieren die Wähler auch mit Verzögerung äußerst allergisch, wie die Demokraten und ihre unterlegene Kandidatin, Vizepräsidentin Kamala Harris, vor einer Woche erfahren mussten.
Trump gewann auch deshalb, weil seine zentrale Wahlkampfbotschaft anerkannte, dass viele US-Amerikaner unter einer Erschwinglichkeitskrise leiden. Manch ein US-Unternehmer machte sich mit der Nachricht vom Erfolg des Republikaners sofort an die Arbeit. Das heißt etwa: So viel wie möglich aus dem Ausland bestellen und in Lagern horten, um die zukünftigen Zollgebühren nicht auf einen Schlag an die Kunden weitergeben zu müssen.
“Wir nehmen alles”
Der Eigentümer eines Schuhunternehmens etwa rief seinen Lieferanten in China an und orderte 30.000 zusätzliche Paare, erzählte dieser der “New York Times”: “Wir nehmen alles, was sie herstellen können.” Andere Firmen loteten die Möglichkeiten aus, die Produktionsaufträge ihrer Waren in andere Länder außerhalb Chinas zu vergeben, heißt es in dem Bericht, oder seien entsprechende Pläne schon angegangen. Ob Kambodscha, Vietnam, Brasilien oder andere Länder – setzt Trump seine Ankündigungen um, wären Importzölle von fast überall niedriger als auf Waren aus China.
Bereits jetzt erheben die Vereinigten Staaten eine allgemeine Einfuhrgebühr, sie liegt bei etwa 2 Prozent. Aber das sind Kinkerlitzchen gegen die Vorhaben, mit denen der Republikaner in den vergangenen Monaten durchs Land gereist war. Trump wird am 20. Januar vereidigt. Er hat angekündigt, Zölle zwischen 10 und 20 Prozent auf jegliche Importe erheben zu wollen, 60 Prozent auf alle Produkte aus China, zwischen 25 und 100 Prozent für solche aus Mexiko und sogar 200 Prozent für Unternehmen, die ihre Produktion dorthin verlegen.
Das klingt wie aus anderen Zeiten. Zölle als wichtige Einnahmequelle des Staates und dafür individuelle Besteuerung zurückfahren: So war es vor dem Ersten Weltkrieg, als in den USA noch keine Einkommenssteuer erhoben werden durfte und ein Großteil der Einnahmen über Abgaben auf Wareneinfuhren erzielt wurde. Doch Washington gab damals auch wesentlich weniger Geld aus.
Zudem besteht das Risiko von Vergeltungszöllen, etwa von der Europäischen Union, Indien, Mexiko oder eben China. Dies geschah in Trumps erster Amtszeit. Die USA führten Abgaben auf Stahl und Aluminium ein, China reagierte mit solchen auf US-Agrarprodukte. Die Regierung in Washington half den Landwirten wegen derer Einnahmeausfälle finanziell. Die Stahl- und Aluminiumproduktion in den USA ist nahezu unverändert geblieben.
Der künftige US-Präsident Donald Trump ist trotzdem begeistert. “Für mich ist Zoll der schönste Ausdruck im Wörterbuch”, meinte er vor der Wahl bei einem Forum für Wirtschaftsvertreter. Er werde die “höchsten Zölle der Geschichte” verhängen. Nach seiner Theorie kann er so mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Erstens, die Steuerlast verringern. Zweitens, die eigene Industrie schützen oder gar fördern. Drittens, andere Staaten, insbesondere China, damit unter Druck setzen.
Trump vs. Ökonomen
Wirtschaftswissenschaftler widersprechen. “Seine radikale Agenda würde verheerende Folgen für amerikanische Unternehmen, Arbeitnehmer und Verbraucher haben”, schreibt der Chef des Peterson Institutes for International Economics in einem Gastbeitrag für “Foreign Affairs”. Die Menschen der unteren Hälfte der Einkommen würden rund 3,5 Prozent ihrer Kaufkraft verlieren, heißt es in einem Forschungspapier des unabhängigen Instituts. Andere Folgen neben der Inflation: weniger Produktion und Jobs in Industrie und Landwirtschaft. Gegenteilige Behauptungen über die Jahre 2018 und 2019 hätten “sich als falsch erwiesen”. Die US-Wirtschaft werde “bedeutenden Kollateralschaden” erleiden.
Auch eine Vielzahl von Wirtschaftsnobelpreisträgern hatte im Vorfeld der Wahl vor Trumps Plänen gewarnt. Besonders betroffen wären Großunternehmen, die der “Business Insider” mithilfe von Analysten auflistet: Nike, die Supermarktkette Walmart, die Baumärkte Home Depot und Lowes, Target, Starbucks, und wohl besonders bedeutsam: Apple und Microsoft. Für Technik-Unternehmen wäre es langwierig, die Produktion aus China weg zu verlagern. Womöglich macht die künftige US-Regierung auch Ausnahmen, falls die entsprechenden Konzerne in Trumps Gunst stehen.
Aus der ersten Amtszeit des Republikaners sind die Einfuhrgebühren für chinesische Importe weiterhin in Kraft. US-Präsident Joe Biden hat zudem einen Zoll von 100 Prozent auf Elektroautos verhängt, um die eigene Autoindustrie zu schützen; aber ihr zugleich Auflagen verpasst, um den Produktionsumbau weg vom Verbrenner anzutreiben. Eine temporäre Schutzmaßnahme, damit die US-Autobauer den Umbau vollziehen können, ohne von chinesischen Konkurrenten vom Markt geschwemmt zu werden. Wenn Trumps künftige Regierung wie angekündigt die Auflagen abschafft, bleibt Protektionismus mit verzerrtem Konkurrenzkampf.