Wohnen

Verfassungsschutzchef Haldenwang will in den Bundestag | ABC-Z

Die Autonomen in Wuppertal unterstützen einen CDU-Politiker. Wie konnte das denn passieren? Es handelt sich um keinen gewöhnlichen CDU-Politiker, sondern um einen Prominenten mit Vor­geschichte. Thomas Haldenwang war bis Anfang der Woche noch Deutschlands oberster Verfassungshüter. Seine Aufgabe war es, vor den Feinden der Demokratie zu warnen. Besonders eindringlich tat er das bei der AfD. In den Augen einiger war Haldenwang deswegen schon als Verfassungsschutzchef zu politisch. Und jetzt will er ganz offen Politik machen, als Bundestagsabgeordneter der CDU im Wahlkreis Wuppertal I.

Die Autonomen finden: „Seine geheimdienstliche Expertise zu Antisemitismus und islamistischen Strukturen (…) macht uns vorsichtig optimistisch.“ Andere glauben, dass genau diese Expertise nichts im Bundestag verloren hat, vor allem, wenn der Übergang so nahtlos ist. Zum Jahresende wird Haldenwang von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) seine Entlassungsurkunde bekommen. Und dann am 23. Februar in den Bundestag gewählt und neben jenen Abgeordneten sitzen, die von der Behörde genau unter die Lupe genommen werden, der er bis vor Kurzem vorstand?

Es fing alles harmlos an. Ein Wuppertaler Parteifreund, so schildert es Haldenwang im Gespräch mit der F.A.Z., habe ihn im Oktober angesprochen: Ob er nicht bei der Bundestagswahl im September 2025 kandidieren wolle? Haldenwang ist in der Stadt geboren und seit Jahren CDU-Mitglied, aber nicht weiter engagiert. Es war bekannt, dass er Ende des Jahres aus dem Amt scheiden wollte. Aus gesundheitlichen Gründen, so hieß es. Aber irgendetwas machen wollte Haldenwang schon. Nach dem Gespräch mit dem Wuppertaler Parteifreund überlegte er ein paar Tage – und sagte zu.

„Ich habe das Recht, für den Bundestag zu kandidieren“

Dann zerbrach die Ampelkoalition. Haldenwang sagt, ihm sei klar gewesen, dass er nun schnell handeln müsse, um den Eindruck einer Interessenskollision zu vermeiden. Und schneller habe er nicht handeln können. Am Montag teilte er seine Pläne Innenministerin Faeser mit. Man sei sich einig gewesen, dass er schon am Dienstag die Amtsgeschäfte niederlegen müsse. So hat es Faeser dem Innenausschuss am Mittwoch auch mitgeteilt, verknüpft mit ein paar netten Worten, aber auch der Mahnung, beide Tätigkeiten seien klar voneinander zu trennen. Seither feiert Haldenwang seinen Resturlaub ab.

SonntagsfrageWie stark ist welche Partei?

Ein Problem sieht er nicht in seinem nahtlosen Übergang. „Ich habe meine Amtspflichten neutral wahrgenommen. Ich habe nach Recht und Gesetz meine Pflichten erledigt.“ Die AfD habe gegen die Bewertungen durch den Verfassungsschutz immer wieder geklagt – ohne Erfolg. „Ich habe das Recht, für den Bundestag zu kandidieren“, sagt Haldenwang. „Ich will meine Erfahrung einbringen. Aber natürlich dürfen Dienstgeheimnisse dabei keine Rolle spielen.“ Über einzelne Abgeordnete habe der Verfassungsschutz sowieso sehr begrenzte Informationen.

Im Konrad-Adenauer-Haus war man nicht vorab informiert

Andernorts ist man nicht ganz so entspannt. Im Konrad-Adenauer-Haus, so erfuhr die F.A.Z. aus CDU-Kreisen, war man nicht vorab informiert, dass es den Verfassungsschutzchef in den Bundestag zieht. Demnach hat sich also weder Haldenwang selbst an die oberste Parteiführung gewandt noch jemand aus der Wuppertaler CDU.

Für Haldenwang wäre es ein Leichtes gewesen, CDU-Chef Friedrich Merz oder Generalsekretär Carsten Linnemann frühzeitig in seine Pläne einzuweihen, zumal beide – wie er – zum Landesverband Nordrhein-Westfalen gehören. Er tat es nicht. Das kann als Hinweis darauf gewertet werden, dass er geahnt hat, wie wenig Begeisterung er im Adenauer-Haus auslösen würde. Im Landesverband Nordrhein-Westfalen erfuhr man von Haldenwangs Plan erst wenige Tage vor dessen Bekanntwerden.

Öffentlich äußern will sich in der CDU-Parteizentrale niemand. Man kommentiere einzelne Kandidaturen nicht, heißt es. Das hat zum einen prinzipielle Gründe. Es soll nicht mal im Ansatz der Verdacht entstehen, die Parteiführung in Berlin mische sich ein, wenn die Kreisverbände ihre Kandidaten aussuchen. Von einem „Hochamt“ der Partei spricht ei­ner. Doch es hat auch konkrete Gründe.

Die CDU ist durch Maaßen ein gebranntes Kind

Die CDU ist ein gebranntes Kind, was das politische Engagement von Parteifreunden angeht, die zugleich Präsidenten des Verfassungsschutzes sind. Als Haldenwangs Vorgänger Hans-Georg Maaßen im Jahr 2018 durch öffentliche Äußerungen Zweifel daran aufkommen ließ, ob er ausreichend Abstand zur äußeren Rechten hat, gelang es der letzten Regierung von Angela Merkel nur mit großer Kraftanstrengung, ihn aus dem Amt zu entfernen. Die Affäre Maaßen trug zur Schwächung von Merkels Position bei.

Als Maaßens Nachfolger marschierte Thomas Haldenwang in die entgegengesetzte Richtung und blickte höchst kritisch auf die AfD. Gut in Erinnerung ist Haldenwangs Satz im ZDF, der Verfassungsschutz sei „nicht allein“ dafür zuständig, „die Umfragewerte der AfD zu senken“.

Viele Reaktionen aus den eigenen Reihen gab es nicht. Mal ein Hinweis aus der Unionsfraktion, es dürften keine Zweifel an der Überparteilichkeit des Verfassungsschutzes aufkommen. Mal ein Protest aus der Jungen Union, Haldenwang überschreite die Grenzen seiner Zuständigkeit, indem er sich in den politischen Meinungskampf einmische. Der FDP-Abgeordnete und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki bezeichnete Haldenwangs Einmischung in die politische Debatte zur AfD als „merkwürdigen Schritt“.

Die AfD frohlockt

Die AfD übt schon lange Kritik an Haldenwang. Nun aber frohlockt sie. Selten war es leichter als jetzt, den Verfassungsschutz als parteiisch zu diffamieren. Tenor: Eine Hand wäscht die andere, und beide zusammen wollen die AfD unten halten. Die Parteivorsitzende Alice Weidel stellt es so dar, als würde Haldenwang von der CDU nun gewissermaßen ausgezeichnet. „Zur Belohnung für den Missbrauch des Verfassungsschutzes zur Benachteiligung der AfD gibts für Haldenwang das Mandat im Bundestag“, kommentierte sie auf der Plattform X. Der „Parteifilz“ müsse ein Ende haben.

Der rechtsextreme Bundestagsabgeordnete Jan Wenzel Schmidt ätzte auf Telegram: „Der neutralste Verfassungsschutzchef aller Zeiten.“ Andere verbreiteten Fotos davon, wie Haldenwang die Regenbogenflagge vor seiner Behörde hisst und mit einer Pride-Flagge am Revers auf ei­ner Queer-Konferenz der SPD-Fraktion im Bundestag auftritt. In der AfD heißt es, schon daran sehe man ja, mit welchen Leuten die CDU sich schmücke. Wer konservative Politik wolle, müsse die Alternative wählen. Intern heißt es, Haldenwangs Entscheidung sei ein Wahlkampfgeschenk.

Im Bundesinnenministerium ist man über Haldenwangs Wahlkampf in eigener Sache verärgert. „Keinen Tag länger“ könne man schließlich Behördenchef sein, wenn man plane, für den Bundestag zu kandidieren, heißt es dort. Zwischen Haldenwangs Entschluss zu kandidieren und der Nachricht an Faeser dürften etwa vier Wochen gelegen haben.

Einzug in den Bundestag noch nicht sicher

Haldenwang sagt, er sei ja noch nicht offizieller Kandidat. Erst am 30. November findet die Aufstellungsversammlung statt. Aber er habe jetzt schon eine Doppelrolle, findet man in Berlin. Dort hätte man erwartet, dass er kündigt, sobald er seinen Plan gefasst hat. Haldenwang, so der Vorwurf, sei „besoffen“ von der eigenen Bedeutung.

Dabei ist gar nicht sicher, ob Haldenwang in den Bundestag einziehen wird. Obwohl Wuppertal nie eine ausgewiesene Hochburg der SPD war, hat es die CDU in der Stadt nicht leicht. Zwar stellte sie mehrfach den Oberbürgermeister. Bei Bundestagswahlen haben sozialdemokratische Direktkandidaten jedoch bisher selbst dann die Nase vorn, wenn die CDU bekanntere Köpfe aufbietet.

Den Wahlkreis I, in dem nun Haldenwang antreten will, konnte der Sozialdemokrat Helge Lindh bisher zweimal gewinnen, erst mit zwei, dann mit 15 Prozentpunkten Vorsprung. Lindh schätzt seinen potentiellen Wahlkreiskonkurrenten, wie er gegenüber der F.A.Z. sagt. Aber aus Gründen der Gewaltenteilung finde er Haldenwangs Vorgehen fragwürdig. Er spricht von einem Interessenkonflikt.

Der Landesverband hält sich aus der Sache raus

Vor dem Hintergrund des allgemeinen Unmuts über die Ampel in Berlin und mit Haldenwang rechnet sich die Kreis-CDU nun aber bessere Chancen aus. Die stellvertretende Kreisvorsitzende Derya Altunok verzichtete erst vor wenigen Tagen überraschend auf ihre bereits angekündigte Kandidatur – was ein Hinweis darauf sein dürfte, dass die Causa Haldenwang im engen Wuppertaler Kreis ausgehandelt wurde.

Auch die Führung der nordrhein-westfälischen CDU soll nicht vorab in die Überlegungen einbezogen ge­wesen sein. Haldenwang habe das Vorhaben auf eigene Faust entwickelt, es gebe keinen wie auch immer gearteten Plan der CDU, hieß es aus Kreisen der Partei. Der Landesverband hält sich geradezu demonstrativ aus der Sache heraus.

Wer wird Haldenwangs Nachfolger?

Das Bundesinnenministerium hat jetzt noch ein anderes handfestes Problem: Der Verfassungsschutz ist ohne Führung. Haldenwangs Stellvertreter haben die Geschäfte übernommen. Die Suche nach ei­nem neuen Präsidenten oder einer Präsidentin ist herausfordernd. Immer wieder genannt werden die Berliner Polizeiprä­sidentin Barbara Slowik und Mitarbeiter aus dem Führungsstab des Bundeskriminalamts.

Manche Person aus der engeren Auswahl hat wohl schon abgesagt. Zum einen sollte der Verfassungsschutz nicht allzu lange ohne Führung sein. Zum anderen ist es kein gutes Signal, wenn so kurz vor einer Bundestagswahl Spitzenposten festgelegt werden. Im Innenministerium hat man die Befürchtung, dass das politisch instrumentalisiert werden könnte.

Thomas Haldenwang kann sich nun ganz seiner Kandidatur widmen. Welchem Politikfeld er sich künftig widmen wolle, wisse er noch nicht. Nur das sei sicher: „Die Auseinandersetzung mit der AfD wird nicht im Mittelpunkt meiner Arbeit als möglicher Parlamentarier stehen.“

Back to top button