Venedigs Wahrzeichen steckt in Krise – „Keiner hat mehr Lust“ | ABC-Z

Die Gondel ist das Symbol Venedigs. Rund 600 dieser Boote verkehren auf den Kanälen der Lagunenstadt. Die Gondolieri mit ihren gestreiften Hemden und den traditionellen Strohhüten mit Bändern bringen Touristen zu den schönsten Flecken der italienischen Lagunenstadt und setzen mit ihrer Arbeit eine alte Tradition fort. Gondelfahrten sind bei Besuchern so beliebt wie noch nie – doch die Zahl der Gondelbauer in Venedig schrumpft rasant.
Nur noch fünf Squeri, die traditionellen Werften, in denen Gondeln hergestellt werden, zählt man in Venedig. Der renommierten Handwerkskunst der Lagunenstadt droht das Aus. Immer weniger junge Menschen wollen diesen Beruf erlernen.
Igor Silvestri arbeitet seit 30 Jahren als Gondelbauer und -restaurator. Er ist ein ausgebildeter „Maestro d‘Ascia“, ein Meister der Axt, wie die erfahrenen Gondelbauer in Venedig genannt werden. Zusammen mit seinem Partner Marco Bacci führt er in Venedig die Werft „Ba.Si.“, ein traditionelles Squero, in dem die letzten venezianischen Handwerker ihres Fachs tätig sind.
„Wir arbeiten viele Monate im Jahr in der Kälte und in der Feuchtigkeit. Man muss sich ständig bewegen, um nicht zu erfrieren. Dieser Beruf erfordert viel Leidenschaft“, erzählt Silvestri. Er und Bacci arbeiten täglich rund zehn Stunden am Tag und teilen sich Aufgaben zwischen Neubau und Reparaturen von Gondeln und anderen traditionellen venezianischen Booten wie Sandoli oder Sanpierote.
Jede Gondel ist einzigartig
Das Duo wartet einige der vielen hundert Gondeln, die in der Lagune Venedigs unterwegs sind. Trotz der Vorrangregel für Ruderboote kommt es regelmäßig zu Zusammenstößen mit Wassertaxis oder Vaporetto. Die Boote müssen routinemäßig lackiert werden, um zu verhindern, dass das Holz morsch wird. „Eine Gondel hat eine Lebensdauer von 25 Jahren, wenn sie gut instand gehalten wird“, erklärt Silvestri.
Verschiedene Holzarten – darunter Eiche, Mahagoni, Lärche, Tanne, Ulme – werden handwerklich zugeschnitten, zusammengesetzt und lackiert, um eine Gondel herzustellen. „80 Prozent der Arbeit erfolgt nach Augenmaß. Alles wird noch von Hand gefertigt. Das macht jede Gondel einzigartig“, sagt Silvestri. Der Preis variiert je nach Verzierung: Standardmodelle kosten 35.000 bis 40.000 Euro, aufwendig gestaltete Exemplare bis zu 50.000 Euro.
Stolz vergleicht Silvestri seine Gondeln mit einem Luxusauto. „Wir bauen Ferraris auf dem Wasser und dafür muss man brennen“, sagt er.
Auch historische Modelle wie die „Gondola falcada“ aus dem 19. Jahrhundert rekonstruieren die beiden. Bei der Arbeit lassen sich Silvestri und Bacci auch von Bildern aus den städtischen Museen inspirieren. Nachwuchsmangel belastet die Zukunft des Berufs: „Wir sehen kaum junge Leute, die in unser Squero kommen, um den Beruf zu erlernen, obwohl wir Praktika anbieten. Niemand hat Lust, Gewichte zu heben, sich mit Staub, Holz und Lack herumzuschlagen“, meint Silvestri.

Die edlen Gondeln waren früher Hauptverkehrsmittel in der Lagunenstadt.
© Micaela Taroni | Micaela TARONI
Früher ein Alltagsgegenstand – heute Luxus
Trotz Herausforderungen wie Hochwasser, Kälte und Nebel hält der Goldenbauer an seiner Leidenschaft fest: Nachdem er 30 Jahre lang als Arbeiter in einer Gondelwerft tätig war, beschloss er 2019 mit seinem Freund Marco einen eigenen Squero zu eröffnen.

„Wir hätten keinen schlechteren Moment für unseren Start wählen können: Im November 2019 wurde Venedig von einer Rekordflut überschwemmt. Anfang 2020 brach die Corona-Pandemie aus, die den gesamten Tourismus lahm legte. Erst 2023 konnten wir durchatmen, seitdem geht es bergauf“, erzählt Silvestri.
Früher war die Gondel als privates Fortbewegungsmittel in der Stadt so selbstverständlich wie heute das Auto außerhalb Venedigs. Die eleganten Boote verdrängten im mittelalterlichen Venedig alle anderen Schiffstypen. Es gibt Hinweise darauf, dass es während der Blütezeit der Republik Venedig 10.000 Gondeln gab.
Im 18. Jahrhundert wurde ein Gesetz erlassen, das die Größe und das Design der Boote regelte. Sie durften nur schwarz gestrichen werden. Der in den 1950er-Jahren anschwellende Tourismus machte das Verkehrsmittel zum Highlight eines Venedig-Besuchs. Für private Haushalte wurde es hingegen zu teuer.
Gondel und Gondoliere sind strengen Regeln unterworfen
Die Gondel wird in mehreren Arbeitsgängen aus sechs verschiedenen Hölzern und 280 Teilen binnen vier Monaten gebaut, wiegt etwa eine halbe Tonne. Sie ist cirka 10,75 Meter lang und 1,38 bis 1,75 Meter breit. Wie im Bootsbau üblich sind sie meist aus Eiche, wobei für die Aussteifungen mittschiffs bei der Gondel Walnuss genommen wird.

Eine Gondel auf dem Trockenen: Jedes Boot ist einzigartig.
© Micaela Taroni | Micaela TARONI
Dann wird der Rohbau gedreht und fertig beplankt. Kirsche eignet sich besonders für Gravuren, Mahagoni für das aufwendig geschnitzte Vordeck, Kastanie für Bug und Heck.
Wer Gondoliere werden will, muss strenge Kriterien erfüllen. So muss man volljährig sein und die Schulpflicht abgeschlossen haben. Die Kandidaten müssen auch einen vorläufigen Rudereignungstest bestehen. Wenn sie diese Prüfung bestanden haben, nehmen die angehenden Gondoliere an einem theoretischen und praktischen Unterricht von insgesamt 40 Stunden teil.
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Nach dessen Abschluss können sie eine Lizenz beantragen. Die Gondolieri verpflichten sich, ihre traditionelle Uniform mit weiß-blau oder weiß-rot gestreiftem T-Shirt und Strohhut mit Bändern zu tragen. Jeans und Sneakers sind streng verboten.















