Veech x Veech: Entfesselung am Schneeberg | ABC-Z

Es ist die perfekte Idylle: Der kleine Ort Höflein im Schneeberggebiet in Niederösterreich ist umgeben von saftig grünen Wäldern und Wiesen, auf denen Kühe grasen. Auf einem Hügel thront die Wallfahrtskirche Maria Kirchbüchl. Und in der Ferne vollenden die pittoresken Felswände der Hohen Wand das Postkartenbild.
Seit Ende 2024 aber gibt es einen Fremdkörper in dem ländlichen Ensemble: einen acht Meter hohen, streng geometrischen Sichtbetonquader, aus Fertigteilen errichtet, der mit großzügig dimensionierten Fenstern und drei Oberlichtstreifen Sonnen- und Schattenspiele im Inneren des Gebäudes ermöglicht. Das Studio, dessen Name X2732 ein wenig nach den Robotern aus den Star-Wars-Filmen klingt (sich in Wahrheit aber nur auf die Postleitzahl des Ortes Höflein bezieht), ist gleichermaßen Atelier, Ausstellungsraum und Diskurszone.
Geplant, errichtet und weitgehend selbst finanziert haben das Bauwerk Mascha und Stuart Veech, ein Ehepaar, das in Wien das Architekturbüro Veech x Veech betreibt. Mit ihrer architektonischen Intervention, die in der Region durchaus wohlwollend aufgenommen wurde, verknüpfen sie eine sehr konkrete Agenda. “Es ist ein Ort, an dem Dialog möglich wird”, sagt Stuart Veech, “generationenübergreifend, disziplinübergreifend, sprachoffen.”
Mit ihrem Monument der Moderne bieten die Architekten nicht zuletzt der Kunst von Mascha Veechs Eltern einen angemessenen Showroom. Der Bildhauer Vadim Kosmatschof, geboren 1938, und die Malerin und Textilkünstlerin Elena Koneff, geboren 1939, beide gebürtige Moskauer, verheiratet seit mehr als 60 Jahren, litten in der Sowjetunion unter politischer Repression und künstlerischer Enge. Trotz großer bürokratischer Schwierigkeiten gelang ihnen 1979 die Ausreise. Fortan migrierten sie durch den deutschsprachigen Raum, betrieben ein Atelier und realisierten groß dimensionierte Projekte zwischen abstrakter Skulptur und Architektur. 2011 zogen sie aus Wiesbaden in das niederösterreichische Höflein, in ein – ebenfalls von Tochter und Schwiegersohn entworfenes und im Wald oberhalb des Ortes verborgenes – anthrazitfarbenes Haus, das an eine quer gestellte Schachtel erinnert. Es ist gleichermaßen Rückzugsraum wie Kreativzelle, in der die beiden Künstler an neuen Werken sägen, fräsen, gießen, weben und knüpfen. Davon zeugt auch ein Skulpturengarten mit kinetischen Arbeiten von Kosmatschof, die eine formal-abstrakte Souveränität behaupten und sich trotzdem organisch ins Naturgeschehen einfügen und mit Flatterbewegungen und Geräuschen auf Wind und Wetter reagieren.
Im Studio X2732 kann man derzeit eine faszinierende Schau von Kosmatschof und Koneff sehen, die von der Albertina-Modern-Direktorin Angela Stief kuratiert wurde und noch bis Ende November läuft. Die Ausstellung Grenzgänger zeigt vor allem Werke aus der sowjetischen Phase des Künstlerpaares aus den 1970er-Jahren. Die Wassermaschinen von Vadim sind faszinierende, fragile Gebilde aus Industrieporzellan, verstärkt durch golden schimmernde, spitze Metallstreben, die nicht im Inneren versteckt, sondern, gleich einem äußeren Skelett, an der Außenseite sichtbar gemacht werden. Ein verspieltes Memento an das Industriezeitalter, das die Funktionalität der Apparatewelt in einen zweckbefreiten Schaugenuss verwandelt.
Die an der Wand befestigten Black Reliefs von Elena markieren dazu einen starken Kontrast: Die aus der Tradition der Tapisserie stammenden Knüpfarbeiten gehen weit über deren ästhetische Grenzen hinaus. Fäden aus Sisal und anderen Garnen werden so gewebt, geknotet und geflochten, dass Muster und Ausbuchtungen entstehen, die der klassischen Hochwebtechnik mehr Tiefe, Körper und Plastizität verleihen. Auf diese Weise entstehen Muster und Liniensysteme, die an Kartografien des Aberwitzes denken lassen oder an bizarre Mutationen mit “Schreibfehlern” im Bauplan.
Die beiden starken und schauerlich-schönen Positionen werden ergänzt und kontrastiert durch Arbeiten des Schwiegersohnes Stuart Veech, opake Objekte in der Traditionslinie des US-amerikanischen Minimalismus: schwarze synthetische Membranen, die wie straff gezurrte Häute bis an die Reißgrenze über Bögen aus Metall gezogen werden.
Die Geschichte des Familienclans, der das Urbane mit dem Ländlichen verknüpft und das Organisch-Biologische mit dem Technisch-Industriellen in ein ästhetisches Spannungsverhältnis setzt, birgt die Geschichte der politischen Verwerfungen und künstlerischen Revolutionen des 20. und 21. Jahrhunderts wie in einer Nussschale. Vor allem wenn die beiden Altvorderen erzählen, wird schnell klar, welch lange künstlerische Reise hier unternommen wurde.
Schon in der ersten Ausbildungszeit am Kunstgymnasium in Moskau, als die Doktrin des Sozialistischen Realismus Leitlinie war, konnten die Nachwuchskünstler von den verbotenen Früchten der sowjetischen Avantgarde der 1920er-Jahre naschen. Denn in Kellerdepots der nahegelegenen Tretjakow-Galerie lagerten die Werke jener Universalkünstler des russischen Konstruktivismus, die in der Stalinschen Diktatur zunehmend geächtet worden waren: Wladimir Tatlin, Alexander Rodtschenko, El Lissitzky und Kasimir Malewitsch waren Formzertrümmerer und Kunsterneuerer, die Gattungsgrenzen ignorierten und sich mit schwereloser Eleganz zwischen Malerei, Plastik, Architektur, Möbel-Entwurf, Bühnenbild und Plakatgestaltung bewegten.
Diese undogmatische Weltaneignung prägte auch die Kunstauffassung von Kosmatschof und Koneff und ist bis heute ihre Triebkraft: Im Zusammenspiel mit ihrer Tochter Mascha und dem Schwiegersohn Stuart Veech entstehen Raumkonzepte und spannungsgeladene Objekt-Assemblagen, die das russische Erbe aufgreifen und in die Lingua franca einer geistig befreiten Globalkunst übersetzen. Eingebettet ins Hier und Jetzt und trotzdem mit einem leicht akzentgefärbten künstlerischen Zungenschlag ausgestattet, der eine heroische Avantgarde aus der Vergangenheit als zukunftsgerichtete Phantasmagorie beschwört.
Und so beherbergt ausgerechnet das kleine Höflein an der Hohen Wand mit dem Studio X2732 ein in Österreich einzigartiges Projekt der künstlerischen Selbstermächtigung und einer stilistischen Entfesselung: “Es geht um die Bereitschaft, radikale Entscheidungen zu treffen, kompromisslos und jenseits von Konventionen”, sagt Vadim Kosmatschof, der große Kommunikator der Familie. Er deutet auf die Skulptur Unfolding Square, einen der Blickfänge der Ausstellung. Das drei Meter hohe Objekt aus schillerndem Aluminium faltet sich mit seinen asymmetrisch ineinandergeschachtelten Dreiecksformen auseinander wie eine Riesenblüte und spiegelt das umgebende Geschehen.
Er habe immer danach gestrebt, dass die Skulptur kein abgeschlossenes Objekt sei, sagt Kosmatschof. Es solle vielmehr in einen Dialog mit der Umgebung treten. “Licht macht das möglich: Es verwandelt die Form in ein Ereignis.”