Berlin

“Vanya”: Stark gespielt – Mommsen meistert Tschechow allein | ABC-Z

Komödie im Berliner Ensemble | “Vanya”

Stark gespielt: Mommsen meistert Tschechow allein


Mo 04.08.25 | 15:02 Uhr | Von Regine Bruckmann

Bild: Franziska Strauss

Acht Figuren, ein Darsteller: Oliver Mommsen überzeugt in der Solo-Version “Vanya” mit feinem Spiel. Doch Regisseur Felix Bachmann bleibt zu brav – aus Tschechows Komödie über verpasste Chancen wird ein etwas zu zahmer Theaterabend. Von Regine Bruckmann

Oliver Mommsen steht allein auf der Bühne in der Komödie am Kurfüstendamm – und füllt sie mit Leben. In Simon Stephens’ Solo-Adaption von Anton Tschechows “Onkel Wanja” spielt der Bremer “Tatort”-Kommissar gleich acht Figuren: Zu dem Gutsverwalter Vanya, seinem Schwager Alexander und seiner Frau Jelena kommen Vanyas Mutter, seine Nichte, ein Arzt, eine Kinderfrau und ein Knecht.

Nach gut anderthalb Stunden wird der Darsteller dafür gefeiert – zu Recht, denn er hat den Abend souverän gemeistert. Alle Wendepunkte, alle Stimmungswechsel, alle Geschichten und Konflikte hängen an ihm. Eine Tour de Force durch verpasste Chancen, enttäuschte Träume und stille Sehnsüchte – kein Monolog, denn im Laufe des Abends erlebt das Publikum nicht nur eine Person, sondern viele verschiedene.

Oliver Mommsen läuft hin und her und wechselt ständig die Figur

Auf der Bühne finden sich ein paar verstreute Möbelstücke aus verschiedenen Epochen, ein alter Teppich auf dem Boden, im Hintergrund die Projektion einer weiten leeren Landschaft mit wenigen Bäumen. Das Leben auf dem Land erscheint wie diese Dinge: ein beliebiges Sammelsurium ohne höheren Anspruch. Zwischen Tisch, Sessel und Kühlschrank wandert Oliver Mommsen hin und her und wechselt ständig die Figur: Manchmal läuft er als Sonja über eine Treppe hinaus und kommt als Alexander hinter dem Schrank wieder hervor. Die titelgebende Figur des Gutsverwalters Vanya, der eigentlich Iwan heißt, ist frustriert.

“Was ist denn, Mutter? – Ich rede Ivan. – Ja, du redest, habe ich gehört. – Stört es dich, wenn ich rede? Tut mir Leid, Iwan, aber du hast dich verändert. Du bist zynisch geworden. Du hattest eine gute Seele. Du warst immer sehr klar in deinen Überzeugungen. Du hast sie ausgestrahlt. – Ja, ich weiß, Mutter. Meine Überzeugungen waren die reinsten Scheinwerfer. Sie haben die ganze Gegend hier erleuchtet.”

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Das eigene Leben zurückgestellt

Vanya hat seine eigenen Ambitionen und Fähigkeiten zurückgestellt und sein Leben lang auf dem Landgut seines Schwagers Alexander gearbeitet. Heimlich ist er in dessen schöne Frau Jelena verliebt. Nun möchte Alexander – bei Tschechow ein Kunstprofessor, hier ein Filmregisseur – das Landgut verkaufen. Vanya ist enttäuscht und reagiert empört.

Alles nur Theater? – auf der Bühne ist so etwas möglich.

Der englische Dramatiker Simon Stephens hat Anton Tschechows Drama von 1896 gekürzt, die Sprache modernisiert und den Gutshof nach Irland verlegt. Aber das macht keinen großen Unterschied in der Aussage. Tschechows Personen sind grundsätzlich moderne Zweifler, anschlussfähig für heutige Menschen. Die Tatsache, dass alle Rollen von einem Darsteller gespielt werden, bringt einen spielerischen Abstand zu den meist unglücklichen Lebensläufen.

Vielleicht sind ja die verschiedenen Identitäten nur Rollen-Konstruktionen, viele Möglichkeiten, die wir in uns tragen: den selbstverliebten alternden Filmregisseur ebenso wie den zaudernden Intellektuellen oder die schöne Frau, die mehr als eigene Person respektiert werden möchte. Alles nur Theater? – auf der Bühne ist so etwas möglich.

Oliver Mommsen trägt als Grundkostüm eine weite Hose und ein Strick-Polohemd als Grundkostüm. Für seine Rollenwechsel ändert er die Sprech- und Körperhaltung und die Requisiten. Manchmal hängt er sich einen Bademantel um, aber es gibt keine Kostümschlacht. Ob er eine männliche oder weibliche Figur darstellt, macht keinen großen Unterschied: Es reicht ein Fächer oder eine andere Stimmlage

Ein sehr innerlicher, ernsthafter Abend

Obwohl Oliver Mommsen die Spannung fast den ganzen Abend über halten kann, wären auch etwas mehr spielerischer Mut, mehr Anarchie und Komik denkbar gewesen. Wenn in einer Szene ein Schrank geöffnet wird und viele Kartoffeln herauspurzeln, liegen sie leider den Rest der Zeit auf dem Bühnenboden herum – wie viele schöne alberne Spiele hätte man damit treiben können.

Vielleicht ist Oliver Mommsen als Schauspieler nicht der eskalierende, frei drehende Typ? Oder wollte Felix Bachmann als Regisseur nicht provozieren? Schwer zu sagen. So ist es ein sehr innerlicher, ernsthafter Abend an der Komödie über verpasste Chancen und unerwiderte Liebe geworden, ein bisschen brav, aber auch sehr fein erzählt.

Sendung: radio3, 04.08.2025. 08:10 Uhr

Beitrag von Regine Bruckmann


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