Uttinger Ortschronist überrascht mit Geschichte von Kibbuz am Ammersee – Starnberg | ABC-Z

Vier jüdischen Erinnerungsorten spürte Uttings Ortschronist Claus Strobl nach. Die Todesmarsch-Skulptur, das Mahnmal am Holzbach auf dem früheren Gelände des Betonwerks Dyckerhoff & Widmann und den KZ-Friedhof in den Hechelwiesen beschreibt er detailreich. Das kürzeste Kapitel in seiner als Heft 15 vom Verein Kulturlandschaft Ammersee-Lech publizierten 72-seitigen Broschüre mit zahlreichen Abbildungen umfasst gerade einmal zwei Seiten und ist dennoch für viele wohl das Überraschendste: Auch in Utting gab es einen Kibbuz.
Viel Material gab es laut Strobl, der seit September 2024 für die Gemeinde Utting als Chronist tätig ist, über diese temporäre Einrichtung nicht. Der Kibbuz war in einer Villa in der Schulstraße untergebracht, von Mai 1946 bis Januar 1948. Im Ort sei die Villa, die heute in Privatbesitz ist, als „Judenhaus“ bekannt, „eine eher abfällig klingende Bezeichnung“, wie der Heimatforscher bemerkt. Bis zu 115 jüdische Überlebende wohnten zeitweise in dem als „Landhaus Kirschbaum“ erbauten Gebäude, ein laut Denkmalliste „zweigeschossiger Krüppelwalmdachbau mit turmartiger Erweiterung in der Südostecke“.
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Der Fürther Fabrikant Leopold Kirschbaum ließ 1910 und 1911 die Villa als Landsitz errichten, über seine Familie hat Strobl recherchiert. Der 1845 geborene Leopold Kirschbaum starb 1918, sein Sohn Eugen übernahm die Villa. 1928 erbte dessen Frau Paula das Haus. Sie stammte aus der jüdischen Hopfenhändlerdynastie Süßheim. 1942 wurde das gesamte Vermögen von Paula Kirschbaum eingezogen, darunter auch das Uttinger Landhaus, in dem die Familie Antiquitäten, Gemälde und Bücher eingelagert hatte.
Paula Kirschbaum überlebte den Holocaust, weil sie noch mit den Kindern Karl und Annie emigrieren konnte, ihre Tochter Erna aber wurde in Lublin ermordet. Nach der Enteignung durch die Nationalsozialisten wurde das Landhaus Kirschbaum in Utting als Kindergarten genutzt.
Wie kam es nun dazu, dass in kleinen Orten am Ammersee kleine Kibbuzim entstanden? In Landsberg wurde nach dem Kriegsende 1945 ein großes Lager für jüdische Displaced Persons (DPs) in der ehemaligen Saarburgkaserne eingerichtet. Einige Zeit später lebten jüdische Überlebende auch in kleineren Einrichtungen, zum Beispiel in Dießen oder Greifenberg. Dreizehn zogen im Mai 1946 in die Uttinger Villa. „Der Kibbuz Utting bot Wohnraum, vereinte Gleichgesinnte und vermittelte Zusammenhalt“, notiert Strobl.
Kurse in Handwerk, Landwirtschaft und Verteidigung
Es wird vermutet, dass es auch in der Uttinger Villa Kurse in Handwerk, Landwirtschaft und Verteidigung gegeben hat. Vermerkt ist ein eigener Sport- und Fußballverein. Gegründet wurde laut Landsberger Lagerzeitung im November 1946 auch ein „Jüdisches Komitee Utting“, als Vorsitzender nennt Strobl den KZ-Überlebenden Henry Bleiweis aus Polen, der am 8. Mai 1946 im Uttinger Kibbuz seine zweite Frau Anni heiratete. Die Familie ging 1949 nach New York.
Strobl hat viele biografische Daten gesammelt und stellt die Lebensläufe der in Utting auf dem KZ-Friedhof begrabenen 27 Opfer vor. Ausführlich beschreibt er den Friedhof und dessen Einbauten. Erklärt wird beispielsweise das Schaulen-Mahnmal, das Überlebende des KZ-Außenlagers Utting, die aus der litauschen Stadt Šiauliai (deutsch Schaulen) stammten, in Auftrag gaben. Kürzlich wurden in Anwesenheit des Zeitzeugens Abba Naor neue Gedenktafeln am KZ-Friedhof Utting eingeweiht.

Sie entstanden in Kooperation der Gemeinde Utting, des Vereins Europäische Holocaustgedenkstätte Stiftung und der Stiftung Bayerische Gedenkstätten. Dem „Ausnahmemensch“ Abba Naor widmet Strobl die Broschüre. Er führte ein ausführliches Gespräch mit dem 97-jährigen Shoah-Überlebenden, der als jüdischer Häftling im Uttinger Außenlager X des Komplexes Landsberg/Kaufering zu unmenschlicher Schwerstarbeit gezwungen wurde.
Das Mahnmal am Holzbach in der Josef-Clemens-Straße erinnert an das Uttinger KZ-Außenlager. Es bestand von August 1944 an für 250 Tage. „Hunderte von Zwangsarbeitern hausten dort unter schlimmsten Bedingungen. Sie mussten im Betonwerk der von der ‚Organisation Todt (OT)‘ beauftragten Firma Dyckerhoff & Widmann Fertigteile für eine unterirdische Anlage bei Landsberg/Lech herstellen“, schreibt Strobl.
Erinnert wird in Utting auch an den Todesmarsch der KZ-Häftlinge im April 1945. In der Holzhauser Straße steht eines von vierundzwanzig identischen Mahnmalen des Bildhauers Hubertus von Pilgrim, die entlang der Routen aufgestellt wurden. Mit der vorgelegten Broschüre will Strobl einen Beitrag gegen das Vergessen leisten – für alle Opfer des Nationalsozialismus.
Die Broschüre ist im Bürgerbüro des Uttinger Rathauses und beim Verein Kulturlandschaft Ammersee-Lech gegen eine Spende erhältlich.





















