USA und Russland: Dealmaker sticht Stratege | ABC-Z

Marco Rubio sah höchst unglücklich aus. Auf der Couch im Oval Office neben Vizepräsident J. D. Vance sitzend, verfolgte er, wie dieser gemeinsam mit Donald Trump Wolodymyr Selenskyj in die Mangel nahm und demütigte. Der amerikanische Außenminister wirkte peinlich berührt, so als fragte er sich, wie er, der einstige außenpolitische Falke, der nie einen Zweifel daran gelassen hatte, dass der Diktator in Moskau und nicht in Kiew sitzt, in diese Lage geraten konnte.
Öffentlich verteidigte er später Trump – und kritisierte Selenskyj. Die Medien konzentrierten sich nur auf die Eskalation, sähen aber nicht, was dazu geführt habe, sagte er. Das Rohstoffabkommen, das an jenem Freitag Ende Februar eigentlich im East Room des Weißen Hauses unterzeichnet werden sollte, binde Amerika ökonomisch an die Ukraine. Das sei eine Sicherheitsgarantie, weil Washington dadurch in der Ukraine Interessen habe. Das sei die Vereinbarung gewesen. Doch habe es in den Tagen vor Selenskyjs Washington-Reise von ukrainischer Seite immer neue Komplikationen gegeben, sagte Rubio.
Was sein Gesichtsausdruck im Oval Office ausdrückte: Der beispiellose Eklat durchkreuzt seinen Plan. Der Außenminister gehört – mit Michael Waltz, dem Nationalen Sicherheitsberater, und dem Ukraine-Beauftragten Keith Kellogg – zu den Strategen in der Regierung. Sie versuchen, Trumps diplomatische Disruption geopolitisch nutzbar zu machen. Ihnen gegenüber steht der Flügel der reinen „Dealmaker“ – angeführt von Steve Witkoff, dem alten Kumpel des Präsidenten aus der New Yorker Immobilienszene, der sicherstellen soll, dass Trump nicht wieder vom Apparat ausgebremst wird.
Rubios Plan hat einen Namen: In der außen- und sicherheitspolitischen Blase Washingtons wird er wahlweise „reverse Kissinger“ oder „reverse Nixon“ genannt. Gemeint ist das Manöver des früheren Präsidenten und seines ausgefuchsten Sicherheitsberaters, 1972 nach Peking zu reisen, die Beziehungen zur Volksrepublik zu normalisieren und die Spannungen zwischen Mao und Breschnew zu nutzen, um beide kommunistischen Staaten weiter zu entzweien. Als „reverse“, also umgekehrt, wird der Plan bezeichnet, weil es diesmal nicht darum geht, die Beziehungen zu Peking zu normalisieren, sondern zu Moskau.
Die durch Wladimir Putins Invasion in der Ukraine entstandene chinesisch-russische Allianz ist den China-Falken Rubio und Waltz ein Dorn im Auge. Beide teilen Trumps milde Sicht auf den russischen Machthaber nicht. Da sie diese aber nicht ändern können, versuchen sie zumindest, sie für ihre Zwecke zu nutzen. Freilich soll der Preis nicht das Auseinanderbrechen des Westens sein. Doch genau das ist seit dem Affront im Oval Office denkbar geworden.
Rubio und Waltz blicken strategisch auf den Krieg
Rubio und Waltz hatten Trump schon im Wahlkampf für ihre Idee zu gewinnen versucht. Im Oktober vergangenen Jahres sagte der republikanische Kandidat im Interview mit dem ehemaligen Moderator von Trumps Leib-und-Magen-Sender Fox News und Putin-Verehrer Tucker Carlson: Eine Sache, die es zu verhindern gelte, sei eine russisch-chinesische Allianz. Er, Trump, werde diese zerbrechen. Nach dem Anruf Trumps bei Putin Mitte Februar, in dem nach drei Jahren weitestgehender Funkstille die Aufnahme von direkten Gesprächen verabredet wurde, reisten Rubio, Waltz und Witkoff nach Riad.
In der saudischen Hauptstadt trafen sie auf eine russische Delegation unter Leitung von Außenminister Sergej Lawrow. Rubio sagte hernach, man habe angefangen, die „außergewöhnlichen Chancen“ zu bestimmen, die existierten, sollte der „Konflikt“ zu einem „akzeptablen Ende“ kommen. Es gebe „unglaubliche“ Chancen für eine Partnerschaft mit den Russen – geopolitisch und ökonomisch. 2024 hatte Rubio – damals noch Senator aus Florida – im Senat gesagt, China sehe einen großen Nutzen im Ukrainekrieg. Je mehr Zeit und Geld Amerika darin investiere, desto weniger sei Washington mit Peking befasst.

Rubio und Waltz blicken strategisch auf den Krieg in Europa. Vance und Witkoff blicken als Geschäftsleute auf das, was sie als „Konflikt“ kleinzureden versuchen. „America first“ übersetzt sich außenpolitisch in eine Infragestellung der „Pax Americana“: Dass die Vereinigten Staaten ihre Interessen sichern, weil sie als Führungsmacht der freien Welt auftreten, halten Letztere für ein Narrativ der „Globalisten“, das verschleiern soll, dass Amerika die Zeche zahle. Trump scheint dem zu folgen.
Vance ist Trumps Kettenhund auf internationaler Bühne, der die Europäer in München beschimpft und Selenskyj vorführt. Witkoff ist der starke Mann im Hintergrund. Er ist gut vernetzt. Trump schätzt die Art, wie er Geschäfte macht. Sein Aufstieg in der Regierung war unkonventionell. Trump kennt den Immobilieninvestor aus New York seit den Achtzigerjahren. Als er in die Politik ging, diente ihm Witkoff als Berater, Spendeneintreiber – und als Golf-Kumpel. Vor dem Parteitag der Republikaner im vergangenen Sommer in Milwaukee sorgte Witkoff dafür, dass Trumps einstige Rivalen Nikki Haley und Ron DeSantis den Kandidaten unterstützten. Und er ist Trumps Geschäftspartner in einem Kryptowährungsprojekt namens World Liberty Financial.

Wenige Tage nach seinem Wahlsieg verkündete Trump, dass der Milliardär, der aus einer jüdischen Familie in der Bronx stammt, sein Nahostsondergesandter werde. Witkoff ist Teil des Nationalen Sicherheitsrates und nicht des State Department, was den Vorteil hat, dass er nicht vom Senat bestätigt werden musste. Die Anhörungen im Kongress dienen auch dazu, Kandidaten finanziell und geschäftlich zu durchleuchten, um Interessenkonflikte auszuschließen. Noch vor Trumps Amtseinführung handelte Witkoff mit Brett McGurk, Joe Bidens Nahostgesandtem, den Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas aus. Trump war beeindruckt und nannte seinen Mann einen „großartigen Verhandler“. Später beauftragte er ihn, auf einem Gebiet tätig zu werden, das gar nicht zu seinem Portfolio gehört: Witkoff fädelte einen Gefangenenaustausch mit Russland ein. Es sollte ein Test sein: Würde Putin bereit sein zu einer vertrauensbildenden Maßnahme?
Mitte Februar landete Witkoff mit seinem Privatflugzeug in Moskau und kehrte später mit dem Amerikaner Marc Fogel heim. Im Kreml war er mit Putin zusammengetroffen. Das Gespräch soll dreieinhalb Stunden gedauert haben. Unwahrscheinlich, dass man nur über Fogel sprach. Es folgten Trumps Telefonat mit Putin und das Treffen in Riad, das Witkoff anschließend positiv und konstruktiv nannte.
Russland will die Trump-Leute für „Deals“ gewinnen
In Riad traf Witkoff einen Mann wieder, den er zuvor in Moskau kennengelernt hatte: „Es gibt da einen Herrn aus Russland, sein Name ist Kirill, und er hatte viel damit zu tun“, sagte Witkoff nach seiner Rückkehr aus der russischen Hauptstadt mit Blick auf den Gefangenenaustausch. Gemeint war Kirill Dmitrijew, der Leiter des staatlichen Russischen Direktinvestitionsfonds RDIF, der ausländische Investoren nach Russland holen soll. Er sei ein guter Gesprächspartner, der eine Brücke für beide Seiten gebaut habe, sagte Witkoff über Dmitrijew.
Das ist genau die Rolle, die Putin diesem zugeteilt hat: Dmitrijew soll Trump als obersten „Dealmaker“ mit Ideen für geschäftliche Großprojekte und Gesprächen über entgangene und künftige Profite für eine Zusammenarbeit mit Moskau gewinnen. Putin geht es dabei nicht ums Geld, sondern um Geopolitik, um die Ukraine und darüber hinaus um eine neue Weltordnung, in der er den Ton angeben will – mit und nicht gegen China. Trump soll zu der Überzeugung gelangen, dass Amerikas Sanktionen gegen Russland, Amerikas bisherige Verbündete, die Ukraine im Allgemeinen und Selenskyj im Besonderen nur Störfaktoren auf dem Weg zu einem friedlichen, einträglichen Miteinander mit Putin sind.

Mehr als Außenminister Lawrow ist der erst 49 Jahre alte Dmitrijew Putins Mann dafür. Beim Treffen in Riad rechnete er der amerikanischen Delegation vor, ihr „Business“ habe durch den Rückzug vom russischen Markt nach dem Überfall auf die Ukraine 2022 mehr als 300 Milliarden Dollar verloren. Dagegen beziffert die ukrainische Kyiv School of Economics die Vermögenswerte, die amerikanische Unternehmen vor dem Überfall in Russland hatten, nur auf insgesamt 52 Milliarden Dollar. Etliche amerikanische Unternehmen haben sich auch nicht aus Russland zurückgezogen, sondern sind dort weiter tätig. Doch solche Details sind nebensächlich: Die Stimmung war gut in Riad, Dmitrijew erzählte von Witzen beim Mittagessen. Fotos zeigen, wie er die Amerikaner zum Lachen brachte.
Das ist kein Wunder, Dmitrijew spricht die Sprache von Trumps Leuten und versteht, wie sie denken. 1975 im damals sowjetischen Kiew geboren, ging er schon als Schüler in die Vereinigten Staaten, studierte in Stanford und Harvard, arbeitete unter anderem als Investmentbanker in New York und als Berater in Los Angeles, verwaltete einige Jahre das Geld eines ukrainischen Oligarchen und arbeitete in Moskau für den Ableger eines von der Regierung in Washington gegründeten Fonds, der amerikanische Investitionen nach Russland holen sollte. Beim Russischen Direktinvestitionsfonds nennt Dmitrijew sich CEO und lässt Pressemitteilungen in Geschäftsenglisch verschicken.
Doch der RDIF, an dessen Spitze er schon seit 2011 steht, ist kein Unternehmen, sondern Teil von Putins Machtsystem. Der Funktionär gehört zur Moskauer Elite, seine Frau, Natalja Popowa, soll die beste Freundin einer Tochter Putins, Dmitrijew mit deren früherem Ehemann befreundet sein. Die Ziele des Staatsfonds folgen der jeweiligen politischen Konjunktur, etwa im Bereich „Importsubstitution“, der Ersetzung von westlichen Produkten.

Was für Geschäfte der Fonds genau macht, legt Dmitrijew nur Putin offen. „Obwohl es sich offiziell um einen Staatsfonds handelt, gilt der RDIF weithin als Schmiergeldkasse für Präsident Wladimir Putin und ist ein Symbol für die russische Kleptokratie im Allgemeinen“, schrieb das amerikanische Finanzministerium, als es den RDIF wenige Tage nach Russlands Überfall auf die Ukraine 2022 auf seine Sanktionsliste setzte. Dort stehen auch der laut dem Ministerium „als Putin-Verbündeter bekannte“ Dmitrijew und dessen Frau.
Bald nach dem Treffen von Riad ernannte Putin den RDIF-Leiter zu seinem Sonderbevollmächtigten für die Wirtschaftszusammenarbeit mit dem Ausland. Und Putin begann, selbst von möglichen Geschäften mit Amerika zu sprechen, etwa im Bereich seltene Erden – nicht zufällig dem Feld, auf dem die Ukraine versucht, Trump zu ködern. Man darf vermuten, dass sich Russlands Präsident mit Dmitrijew darüber berät, was bei Trump verfängt und was nicht.
Schon als dieser 2016 zum ersten Mal zum Präsidenten gewählt wurde, spielte Dmitrijew eine Rolle bei russischen Versuchen, Kontakte nach Washington und New York anzubahnen. Im Januar 2017 traf er laut dem Bericht des Sonderermittlers Robert Mueller zur russischen Einmischung in die Wahl den Trump-Unterstützer und Gründer des Sicherheitsunternehmens Blackwater, Erik Prince, in einem Hotel auf den Seychellen, demnach auf Vermittlung eines Bekannten in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Diesem habe Dmitrijew eine Liste mit eigenen „positiven Zitaten über Donald Trump“ geschickt.
Putins Charmeoffensive bei Trump
Genauso verfährt Dmitrijew auch heute und rühmt Trump bei jeder Gelegenheit. Dmitrijew traf demnach damals auch Rick Gerson, „einen Hedgefonds-Manager und Freund“ von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, und arbeitete mit Gerson einen „Versöhnungsplan“ zwischen den Vereinigten Staaten und Russland aus. Dieser, habe Dmitrijew impliziert, sei von Putin gebilligt. Schon darin war laut dem Mueller-Bericht von „Win-win“-Wirtschaftsprojekten die Rede. Kushner habe diesen Plan später dem damaligen Trump-Berater Steve Bannon und dem damaligen Außenminister Rex Tillerson gegeben, doch sei nichts daraus geworden. Damals gab es noch Bremser in Washington, damals war Putin dort noch eine „toxische Figur“. Jetzt bezeichnet Putin den ukrainischen Präsidenten Selenskyj so, und Trump will sich von niemandem mehr einhegen lassen.

Offenbar kam damals auch ein Kontakt zwischen Dmitrijew und Kushner zustande: Das Newsportal „Daily Beast“ schrieb im August 2020, gegen Ende von Trumps erster Präsidentschaft, die beiden hätten sich seit Januar 2017 immer wieder über verschiedene amerikanisch-russische Kooperationsmöglichkeiten ausgetauscht, bisweilen über Vermittler. Das sei ein „Nebenprodukt“ von Trumps Glauben daran gewesen, dass die Ermittlungen um Kontakte seines Teams zu Russland ein „Schwindel“ seien, erdacht von einem „tiefen Staat“ in Washington, der ihn aus dem Amt entfernen wolle.
Putin hat diese Überzeugungen Trumps immer wieder bedient, in dessen erster Amtszeit und wieder, als er im Umfeld der neuerlichen Wahl eine Charmeoffensive startete, um den Republikaner für sich zu gewinnen. Laut Berichten exilrussischer Medien nahm Dmitrijew über Kushner – der in Trumps zweiter Präsidentschaft keine offizielle Rolle hat – Kontakt zur neuen Regierung auf; auch habe Witkoff über den Schwiegersohn des Präsidenten Dmitrijew eingeschaltet, über den dann der jüngste Gefangenenaustausch in die Wege geleitet worden sei.
Kushner, Witkoff und Dmitrijew verbindet, dass sie in den Golfstaaten bestens vernetzt sind. Der RDIF hat gemeinsame Fonds unter anderem mit Kuwait, Qatar und Saudi-Arabien, und nach den Gesprächen in Riad blieb Dmitrijew dort, um Kronprinz Muhammad Bin Salman zu treffen – und zwar allein. Witkoff kam durch Immobilienprojekte in Manhattan, an denen die Staatsfonds der Vereinigten Arabischen Emirate und Qatar beteiligt waren, in Kontakt zur herrschenden Schicht in den Golfmonarchien. Nach dem Treffen in Riad sagte Witkoff, er werde in den nächsten Wochen entscheiden, ob er wieder nach Russland reisen werde. Am Zug in Washington sind die „Dealmaker“, nicht die Strategen.