USA setzen den Internationalen Strafgerichtshof unter Druck – Politik | ABC-Z
Solange der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag sich nur mit kleinen oder bereits entmachteten afrikanischen Milizenchefs befasste, konnte das Gericht sich auf die Unterstützung westlicher Staaten verlassen. Aber diese ruhige Phase ist vorbei. Der Gerichtshof ist jetzt in Phase zwei: Seine Juristen, die im Jahr 2002 ihre Arbeit aufnahmen und dann erst einmal einige kleinere Ermittlungen verstolperten, nehmen neuerdings große, mächtige Akteure der Weltpolitik ins Visier.
Am 17. März 2023 war dies Wladimir Putin, Präsident der Atommacht Russland. Und am 21. November 2024 nun Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident des an mehreren Fronten Krieg führenden Staates Israel – immerhin der größten Militärmacht des Nahen Ostens sowie eines engen Verbündeten der Weltmacht USA. Netanjahu wird, wie zuvor schon Putin, mit Haftbefehl gesucht.
Es gehe zu schnell, sagt eine Diplomatin
Der IStGH sei gerade dabei, sich in seinen „Selbstmord“ zu stürzen, meint eine langjährige deutsche Diplomatin seitdem. Es gehe zu schnell, fürchtet sie. Der Gerichtshof übernehme sich, er setze die Unterstützung westlicher Staaten aufs Spiel – das sei hochriskant. Denn es sind nicht mehr nur einzelne europäische Länder wie Tschechien, Ungarn oder auch Frankreich, die neuerdings offen auf Distanz zum IStGH gegangen sind. Ungarns Premier Viktor Orbán etwa lud Netanjahu demonstrativ zum Staatsbesuch ein. Auch die deutsche Bundesregierung äußerte sich auffällig verhalten.
Vor allem sind es die USA, die jetzt mit großer Wucht zum Kampf ansetzen könnten. Die deutsche Diplomatin warnt: „Das hält das Gericht nicht aus.“
Was ist geschehen? In den USA haben die Republikaner ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Sanktionen gegen den IStGH vorsieht. In diesem Gesetz ist von Einreiseverboten und der Beschlagnahme privater Vermögenswerte die Rede. Von Kontosperren. Das Sanktionsregime richtet sich potenziell gegen alle Personen, die IStGH-Ermittlungen gegen die USA und ihre Verbündeten unterstützen. Das geht sehr weit. Theoretisch könnte das auch Europäer betreffen, die dem IStGH bloß ihre Expertise zur Verfügung stellen. Zum Beispiel auch deutsche Beamte des Bundeskriminalamts, die dem IStGH immer mal wieder helfen, Leichen zu identifizieren.
Das Gesetz soll verhindern, dass Amerikaner oder Israelis behelligt werden
Lindsey Graham, ein Außenpolitiker der Republikaner, nannte den IStGH im November einen „gefährlichen Witz“ und drohte bereits mit Zwangsmaßnahmen gegen jedes Gericht oder jedes Land, das mit ihm kooperiere. „An alle Verbündeten – Kanada, Großbritannien, Deutschland, Frankreich: Wenn ihr versucht, dem IStGH zu helfen, werden wir euch sanktionieren“, sagte Graham im Fernsehsender Fox News.
Ziel ist zu verhindern, dass Amerikaner oder Israelis durch den IStGH behelligt werden. So haben es die Abgeordneten im republikanisch dominierten US-Repräsentantenhaus in ihre Gesetzesbegründung hineingeschrieben. Bereits am 4. Juni verabschiedeten sie dieses Gesetz – nur zwei Wochen nachdem in Den Haag zum ersten Mal der Antrag auf einen Haftbefehl gegen Netanjahu und dessen damaligen Verteidigungsminister Joav Gallant eingereicht worden war.
Die Macht, IStGH-Unterstützer persönlich zu sanktionieren, überlässt der „Illegitimate Court Counteraction Act“ (zu Deutsch etwa: Gesetz über Gegenmaßnahmen gegen ein illegitimes Gericht) allein dem Präsidenten der USA, der bekanntlich demnächst Donald Trump heißen wird. Er soll ausdrücklich die Freiheit haben, auch Familienangehörige mitzubestrafen. Darunter fallen Ehepartner, Kinder, Eltern oder Geschwister.
Eine direkte Reaktion. Und eine erste, scharfe Warnung in Richtung Den Haag.
„Kann der Gerichtshof die nächsten vier Jahre überleben?“
Zur Begründung heißt es, die USA und Israel hätten sich dem IStGH nicht unterworfen. Die beiden Staaten haben das Statut des Strafgerichtshofs tatsächlich nicht ratifiziert. Wahr ist allerdings auch: Der IStGH betrachtet sich nach seinen Regularien auch dann für zuständig, wenn nur das Opfer-Land ein IStGH-Mitglied ist. So geht der Gerichtshof etwa gegen Russlands Präsidenten Putin vor, weil die Ukraine Mitglied ist – und die USA haben daran bislang keinen Anstoß genommen, sondern das im Gegenteil sehr unterstützt.
In Washington muss jetzt noch die zweite Parlamentskammer zustimmen, der Senat. Einige Senatoren im Ausschuss für Außenpolitik dort haben zuletzt vorgeschlagen, das Sanktionsgesetz an das jährliche Verteidigungsbudget anzuhängen, womit eine Zustimmung gesichert wäre. Spätestens im Januar aber – mit einer republikanischen Mehrheit im Senat und mit Trump als Präsident – dürfte nichts mehr im Wege stehen. Die Attacke auf den Strafgerichtshof könnte beginnen.
Die Haager Juristen „starren in einen Gewehrlauf“, so formuliert es jetzt einer der Teilnehmer am jährlichen Treffen der 124 IStGH-Mitgliedstaaten, das Anfang Dezember stattfand, der Kanadier Mark Kersten. Die Sorge sei sehr groß. „Kann der Gerichtshof die nächsten vier Jahre überleben?“ Bei diesem Treffen sprach auch die Präsidentin des IStGH, die japanische Richterin Tomoko Akane, von einer Bedrohung, die „existenziell“ sei.
Unter Joe Biden waren die Beziehungen besser
Sie erinnerte daran, dass Russland auch bereits Sanktionen gegen IStGH-Mitarbeiter verhängt habe – allerdings ziemlich wirkungslose. Dazu zählen Haftbefehle, unter anderem gegen den Haager Chefankläger persönlich. Dies ist der Brite Karim Khan. Wenn die USA mit ihrem viel größeren internationalen Gewicht solche Schritte einleiten, dann hat das eine andere Wirkung. „Das Gericht wird nun durch ein weiteres ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats mit drakonischen ökonomischen Sanktionen bedroht, als wäre es eine terroristische Organisation“, sagte Richterin Akane.
Viele erinnern sich daran, wie Trump schon in seiner ersten Amtszeit versuchte, den IStGH einzuschüchtern. Im Jahr 2020 hatte er ein Einreiseverbot gegen nur eine kleine Zahl von IStGH-Mitarbeitern verhängt, unter ihnen war die damalige Haager Chefanklägerin, Fatou Bensouda aus Gambia. Bensouda durfte nicht mehr ins UN-Hauptquartier nach New York kommen – auch nicht, um ihren jährlichen Bericht vor dem dortigen Sicherheitsrat vorzutragen.
Damals, 2020, waren es Ermittlungen wegen möglicher amerikanischer Kriegsverbrechen in Afghanistan gewesen, die den Zorn der amerikanischen Regierung ausgelöst hatten. Diese Ermittlungen verliefen dann im Sande. Erst 2022 nahm der IStGH sie von Neuem auf, nachdem der neue US-Präsident Joe Biden die Sanktionen aufgehoben hatte.
Unter Biden waren die Beziehungen kurzzeitig besser geworden. Ein „Schulterschluss“ sei das zeitweise gewesen, sagt der deutsche Völkerrechtler und Leiter der vom Auswärtigen Amt mitfinanzierten Akademie Nürnberger Prinzipien, Christoph Safferling. Es ist inzwischen sogar so: Die heutige Leiterin der politisch so heiklen Putin-Ermittlungen am IStGH ist Amerikanerin, obwohl ihr Staat weiterhin nicht Mitglied des Strafgerichtshofs ist. Die Juristin Brenda Hollis stand 22 Jahre in den Diensten der US-Luftwaffe.
Aber nun könnten die drohenden Kontosperren dem Strafgerichtshof einen Schlag versetzen und ihn sogar isolieren. „Das kann die Arbeit von Ermittlern lahmlegen“, sagt der Völkerrechtler Safferling. Werden IStGH-Ermittler ihre Ortskräfte in Afghanistan, im Kongo oder in der Ukraine noch bezahlen können? Werden sie bei ihren Einsätzen überhaupt noch Autos mieten können? Der elektronische Zahlungsverkehr in vielen Teilen der Welt läuft in US-Dollar. Bei Transaktionen in Dollar ist so gut wie immer als Mittlerin eine Bank beteiligt, die unter amerikanisches Recht fällt.
Ist das also tatsächlich ein „Selbstmord“, in den der IStGH da hineinläuft? Ist das der Preis seiner Netanjahu-Ermittlungen? Es ist jedenfalls ein Test. Dafür, wie unabhängig ein internationales Gericht wirklich ist – in einer Welt, in der die Macht weiterhin bei großen Staaten liegt.