Märkte haben sich neu formiert: Rasches Comeback von West-Konzernen in Russland ist fraglich | ABC-Z

Märkte haben sich neu formiert
Rasches Comeback von West-Konzernen in Russland ist fraglich
27.02.2025, 13:40 Uhr
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Nach dem Überfall auf die Ukraine zogen sich westliche Unternehmen aus Russland zurück. Nun deutet sich ein Kriegsende an; und die Frage steht im Raum: Kehren einst beliebte Marken in Putins Reich zurück? Doch die Konzerne fürchten Reputationsverluste – und die Märkte sind längst neu aufgeteilt.
Wo einst McDonald’s goldene Bögen leuchteten, lockt in Russland heute „Vkusno & tochka“ – zu Deutsch: „Lecker & Punkt“ – die Kundschaft an. Das ist nur eines von vielen Beispielen, wie westliche Marken in dem Land ersetzt wurden. Neue Hoffnungen auf ein schnelles Kriegsende in der Ukraine haben nun auch Spekulationen über eine Rückkehr von westlichen Unternehmen in den russischen Markt angeheizt. Doch ohne eine Lockerung westlicher Sanktionen, die derzeit grenzüberschreitende Zahlungen und Handelsströme erschweren, dürfte es kaum zu einer Massenrückkehr kommen. Und selbst dann würden die Konzerne auf Märkte treffen, die mittlerweile von heimischen – oder wie im Automobilsektor von chinesischen – Marken dominiert werden.
Die Bilanz des westlichen Exodus ist ernüchternd: Über 107 Milliarden Dollar haben internationale Konzerne durch Abschreibungen und entgangene Einnahmen verloren. Doch während sie ihre Wunden leckten, formte sich der russische Markt neu. „Der Markt selbst hat sich gar nicht so stark verändert“, sagt der russische Herrenausstatter Henderson. 60 bis 80 Prozent der globalen Hersteller seien noch da, sie hätten lediglich ihre Vertriebskanäle angepasst. Viele Unternehmen verkauften ihre Waren inzwischen über lokale Händler oder unter neuen Markennamen. Möglich macht dies auch die Legalisierung von Grauimporten: Russische Händler dürfen ausländische Waren über Drittländer einführen – auch ohne Erlaubnis der Markeninhaber.
Die plötzliche Abwanderung von Autoherstellern wie Renault, Volkswagen oder Nissan hinterließ eine Lücke, die vor allem chinesische Wettbewerber füllten. Sie dominieren heute mit über 50 Prozent Marktanteil – vor dem Krieg waren es weniger als zehn Prozent. Russische Hersteller konnten ihren Anteil von 20 auf 30 Prozent steigern.
Im Einzelhandel könnte für rückkehrende Unternehmen buchstäblich der Platz ein Problem werden: Vor Beginn des Angriffskrieges in der Ukraine waren Verkaufsflächen in den teuersten Lagen der russischen Städte üblicherweise für westliche Luxusmarken reserviert. Heute sieht die Lage anders aus, denn russische Unternehmen haben die Premium-Standorte übernommen. Der Herrenausstatter Henderson etwa profitierte erheblich und konnte auch dank besserer Verkaufsflächen dreimal schneller wachsen als der Branchenschnitt.
Renault hat Rückkaufoption
„Diese Toplagen sind mit langfristigen Verträgen vergeben und werden hart umkämpft sein“, sagt Pavel Lyulin, Vizepräsident des russischen Einkaufszentrenverbands. Auch der Einzelhändler Stockmann, der das russische Geschäft von Hugo Boss übernommen hat, berichtet von steigenden Verkaufszahlen einheimischer Marken. Allerdings liegen die Besucherzahlen in Einkaufszentren nach Angaben von Verbandsvize Lyulin noch immer 20 Prozent unter dem Niveau von 2019.
Der Kreml hält sich zurück: Während der Sonderbeauftragte für Wirtschaftskooperation, Kirill Dmitrijew, US-Firmen bereits zum zweiten Quartal zurückerwartet, betonte Präsident Wladimir Putin noch am Freitag, heimische Unternehmen hätten Vorrang gegenüber der westlichen Konkurrenz.
Unternehmen wie Arla Foods, Intercontinental Hotels oder Renault glauben nicht an eine schnelle Rückkehr. Renault besitzt eine Rückkaufoption, nachdem der Konzern seinen Anteil am russischen Autobauer Avtovaz für einen symbolischen Rubel verkauft hat. Doch viele Firmen, die Russlands Aggression öffentlich verurteilt haben, fürchten Reputationsschäden bei einer vorschnellen Rückkehr. Die erzwungenen Verkäufe zu Niedrigstpreisen haben zudem das Vertrauen erschüttert.
Für russische Kunden hat sich die Situation weitgehend normalisiert. „Anfangs war es wirklich schwierig, weil der russische Einzelhandel für Kleidung und Schuhe unterentwickelt war“, sagt die 29-jährige Moskauerin Anna. „Aber jetzt nicht mehr. Die Qualität unserer heimischen Produkte steht westlichen in nichts nach.“ Dennoch wünschen sich viele, selbst entscheiden zu können. Das meint auch Laysen Faskhutdinova, unterwegs auf einer der Haupteinkaufsstraßen in Moskau: „Die Russen sollten eine Wahl haben.“