Mit drei Kindern die Stadt wechseln? Lassen Sie es! – Gesellschaft | ABC-Z

Wir ziehen dieses Wochenende aus München nach Berlin. Was ich Eltern rate, die vorhaben, mit drei Kindern die Stadt zu wechseln? Lassen Sie es! Aber in unserem Fall ist es nun zu spät, ein Kindergarten, zwei Schulen, drei Sportvereine, vier Termine beim Bürgeramt und fünf Zimmer sind gefunden, und wir können uns dem wahren Konflikt widmen.
Als Berliner, der lange in München gelebt hat, weiß ich: Klischees über die jeweils andere Stadt (wobei man oben der Meinung ist, dass das unten ein Dorf ist) gibt es so viele wie Kiesel an der Isar und Ratten am Landwehrkanal; zu sauber, zu versifft, zu reich, zu arm, zu klein, zu groß, zu leise, zu laut.
Liebt man wie ich Berlin und München, fühlt man sich zu beiden Polen dieses Landes hingezogen, dem interessanten und dem schönen, ist man sozusagen bi-städtisch orientiert, muss man sich diesen ganzen Schmarrn respektive Mumpitz anhören. Aber sollen sie reden, denkt man sich als einer der wenigen Doppelt-Erleuchteten, die wissen, dass es nichts Magischeres gibt als das Licht, das um 17 Uhr 48 durch die Kastanien den Flaucher-Biergarten augustinergolden färbt – und nichts Magischeres als das Licht, das um 5 Uhr 48 durch die Oberbaumbrücke die Skyline schultheißgelb strahlen lässt.
Aus der Elternperspektive fällt aber umso mehr auf, wie unterschiedlich meine beiden Herzensorte sind, geradezu klischeehaft. In unserem neuen Kiez fahren morgens Väter in Lastenrädern den Nachwuchs in die Betreuungseinrichtungen, das ist auch in unserem alten Kiez so. Aber während die Münchner auf polierten Luxusrikschas im Wert mehrerer Kleinwagen vorbeirauschen und dabei in ihre Ohrstöpsel einen Projektmanager anschreien, gondeln die Berliner auf liebevoll bemalten antiken Modellen in den Tag, haben eine selbstgedrehte Kippe im Mund und wirken so, als hätten sie nach dem Bringen des Kindes keine Pläne, außer weitere Kippen zu drehen.
Von den Betreuern wurde uns mit trotzigem Stolz erklärt, dass jede Art von Vorschularbeit in Berlin nicht mehr vorgesehen sei
Bei der Besichtigung von Kindergärten, die man in Berlin, um sich nicht als Bazi zu outen, „Kinderladen“ nennen muss, als ob es da welche zu kaufen gäbe, wurde uns von den Betreuern mit trotzigem Stolz erklärt, dass es hier „null Stress“ gibt. Während die Münchner Gärten mit ambitionierten pädagogischen Zielen werben, hieß es in den Berliner Läden, dass jede Art von Vorschularbeit im „Berliner Bildungsprogramm“ nicht mehr vorgesehen sei. Ich weiß nicht, ob es die Berliner Probleme löst, wenn Kinder vor der Schule nicht ihren Namen schreiben können, aber wir nickten freundlich und hofften, unsere Kleine verschweige, dass sie mit ihrer großen Schwester bereits lesen übt.
Meine Hoffnung ist, dass meine Kinder durch den bisherigen bayerischen Drill und den künftigen Berliner Chill eine gewisse Superkraft entwickeln. Das Beste aus beiden Welten. Meine große Tochter jedenfalls war im Übertrittsstress der vierten Klasse schlagartig entspannt, als sie erfuhr, dass man in Berlin noch zwei weitere Jahre zur Grundschule geht. Ab da waren auch die Noten viel besser, Drill’n’Chill halt.
Auf dem Spielplatz kam ich mit einem der beneidenswert entspannten Berliner Lastenrad-Kippendreher-Väter ins Gespräch. Es stellte sich raus, dass er wirklich nicht viel zu tun hat, bisschen Kunst mache er in seinem Atelier in der großen Kreuzberger Wohnung, die sie besitzen. Es klang nach wenig Druck und viel Geld. Altem Geld, aus seiner Familie. Der Mann kommt aus München.