US-Wahl-Talk bei “Illner”: Ischinger: “Wir müssen auf Trump zugehen” | ABC-Z
US-Wahl-Talk bei “Illner”
Ischinger: “Wir müssen auf Trump zugehen”
19.07.2024, 07:36 Uhr
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Nach dem Attentatsversuch auf den republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten Trump haben sich dessen Wahlchancen deutlich erhöht. Was könnte nach seiner Wahl passieren? Darüber diskutieren die Gäste in der ZDF-Talkshow “Maybrit Illner”.
Es sieht nicht gut aus für Joe Biden. Seine Chancen auf einen Sieg bei den US-Präsidentschaftswahlen am 5. November sind deutlich gesunken. Immer mehr Demokraten versuchen, den 81-Jährigen zum Rückzug aus dem Wahlkampf zu bewegen. Vor einigen Tagen wurde er positiv auf das Coronavirus getestet. Eine Sprecherin des Weißen Hauses spricht von leichten Symptomen, doch auf neuen Bildern wirkt er erschöpft. Nach dem verpatzten TV-Duell wollte Biden eigentlich im Wahlkampf durchstarten. Das kann er nun nicht. Er sitzt zu Hause in Delaware in Isolation. Theoretisch hätte er nun die Chance, die Kandidatur für seine Wiederwahl niederzulegen und den Staffelstab an seine Stellvertreterin Kamala Harris weiterzugeben.
In der ZDF-Sendung “Maybrit Illner” sprechen die Gäste am Donnerstagabend auch über die Erkrankung Bidens. Politikwissenschaftlerin Liana Fix wird dabei deutlich: Die Tage für Joe Biden seien gezählt, sagt sie. Nach dem Attentat auf seinen Herausforderer Donald Trump habe es eine kurze Pause im Wahlkampf gegeben. Alle seien geschockt gewesen und hätten die Luft angehalten. “Doch die Corona-Erkrankung des Präsidenten hat noch einmal den Gegensatz zwischen dem vitalen Trump und dem ältlich wirkenden Biden deutlich gemacht. Es ist eine Frage der Zeit, wann er sich entscheidet, zurückzutreten, und nicht ob.” Nach einem Rücktritt Bidens sei das Rennen wieder völlig offen, so Fix weiter.
Unterdessen sei Trump mit dem Vorschlag, mit J.D. Vance als Vizepräsidenten ins Rennen zu gehen, ein großes Risiko eingegangen, sagt Fix. Vance gewinne keine neuen Wählergruppen für Trump. “Er ist ein Radikaler in der Republikanischen Partei. Das heißt, die Republikaner und besonders Trump sind sehr siegesgewiss. Und Hochmut kann vor dem Fall kommen. Dank Kamala Harris oder einem anderen demokratischen Kandidaten kann es noch einmal knifflig werden für Trump”, prognostiziert die Expertin.
“Beten für ein gutes Ende des Wahlkampfes”
Ähnlich sieht das der ehemalige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger. Auch für ihn ist die Wahl Trumps noch nicht gelaufen, sollte Biden sich zurückziehen. Im Augenblick hat der Diplomat jedoch nur eine Sorge: “Wer gläubig ist, der soll jetzt beten für ein gutes und erfolgreiches Ergebnis dieses augenblicklich sehr aufgewühlten Wahlkampfes”, sagt Ischinger, der vom Parteitag der Republikaner in Milwaukee zugeschaltet ist. Das tragische Attentat auf Trump, dem ein Mensch zum Opfer fiel, habe dazu geführt, dass sich die Republikaner wie ein Mann hinter diesem bisher nicht unumstrittenen Kandidaten versammelt hätten.
Doch könnte Vance, bekannt durch seine verfilmte Autobiografie “Hillbilly Elegie”, zur Gefahr für Deutschland und Europa werden? “Keine Panik”, sagt Ischinger: “J.D. Vance wird nicht die amerikanische Außenpolitik führen.” Aber er ordne sich immerhin gut in das Trump-Gefüge ein. Trumps Entscheidung für Vance sei geschickt und langfristig zukunftsorientiert gewesen.
Sorge in der NATO
Terrorexperte und Politikwissenschaftler Peter Neumann ist mit dieser Analyse nicht ganz zufrieden. Nach seiner Wahl 2016 habe Trump mit Mike Pence einen Vizepräsidenten ernannt, der für die NATO und die Verteidigung Europas gewesen sei. “Und bei J.D. Vance wissen wir: Das ist er definitiv nicht.” Die Entscheidung für Vance bedeute, dass Trump diese Linie nicht mehr unterstütze. “Wir müssen uns überlegen: Die NATO ist das gültige Versprechen der USA, Europa zu verteidigen.” Dieses Versprechen könne man untergraben, indem man das Bündniss verlasse oder eben fünf oder sechs Interviews gibt, “in denen man sagt, man glaubt nicht mehr daran, wir verteidigen Estland nicht mehr”. Und dann sei die Gültigkeit dieses Versprechens dahin. “Und ich glaube, Vance ist absolut fähig, das zu tun.”
Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz weist bei “Illner” auf einen Umstand hin, der gerne übersehen wird: Trump ist nur vier Jahre jünger als Biden. Und er sagt: “Es kommt nicht darauf an, was die NATO-Mitglieder über den amerikanischen Präsidenten glauben, sondern es kommt darauf an, was Putin glaubt. Und wenn Putin das Gefühl hat, die Amerikaner meinen es nicht mehr so ernst mit ihrer Garantie, dann könnte er sich herausgefordert sehen, das mal zu testen. Das macht die Sache so brandgefährlich.”
“Wir haben keine Alternative”
In seinem Wahlkampf hat Trump versprochen, den Krieg in der Ukraine als Präsident sofort beenden. Sein Vize, J.D. Vance, hat derweil mit einem Ende der Ukraine-Hilfen gedroht. Eine komplizierte Ausgangslage. “Aber wir müssen mit diesem Amerika zusammenarbeiten”, sagt Politikwissenschaftlerin Fix. “Der Grund ist unser eigener Fehler. Wir haben geopolitisch keine Alternative und sicherheitspolitisch auch nicht. Wir müssen mit den USA zusammenarbeiten, weil wir es nicht geschafft haben, für unsere eigene Sicherheit zu sorgen und weil wir zehn bis fünfzehn Jahre brauchen werden, um auch nur einen mittelgroßen Konflikt in Europa regeln zu können.”
Darum müsse Bundeskanzler Olaf Scholz handeln, fordert Ischinger. Sollte Trump am 5. November gewählt werden, müsse dieser sofort das Gespräch mit Trump suchen, noch vor dessen Amtseinführung. “Die richtige Methode ist nicht, dass Europa kollektiv jammert, denn darauf warten Trump und Vance geradezu”, sagt Ischinger. “Wir müssen auf Trump zugehen. Und wir müssen miteinander eine ernsthafte Diskussion führen.”