US-Wahl 2024: Von Erdrutschsieg bis Stimmenpatt – Drei Szenarien für die Wahl | ABC-Z
Die Umfragen im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahl sind so knapp wie selten zuvor. Trotzdem sind sich sowohl Donald Trump als auch Kamala Harris sicher, dass sie einen klaren Sieg einfahren werden. Wahrscheinlicher ist allerdings ein anderer Ausgang.
Um 18 Uhr Ortszeit (Mitternacht in Deutschland) schließen die ersten Wahllokale in Teilen der Bundesstaaten Kentucky und Indiana, eine Stunde später endet in Georgia im ersten Swing State die Stimmabgabe. Als letztes schließt Alaska seine Wahllokale, dann ist in Deutschland bereits Mittwochvormittag.
Nur im Jahr 2008 und 2012 stand in der jüngeren Geschichte mit Barack Obama der Gewinner vor Mitternacht Ortszeit fest. 2016 dauerte es bis in die Morgenstunden und 2020 bis zum darauffolgenden Samstag, bis feststand, wer in das Weiße Haus einziehen wird. In diesem Jahr sind drei Szenarien möglich:
1. Knappes Rennen
Die meisten Experten rechnen mit einer langen Wahlnacht, die sich weit in den nächsten Morgen und im schlimmsten Fall die nächsten Tage zieht. Denn je enger beide Kandidaten in den Swing States beieinander liegen, desto länger dauert es, bis der Sieger eindeutig festgestellt werden kann. Hinzu kommt, dass es in Arizona, North Carolina und Pennsylvania zu einer automatischen Neuauszählung kommt, wenn die Gewinnmarge bei 0,5 Prozentpunkten oder niedriger ist. In Michigan liegt die Schwelle bei 2000 Stimmen.
In Georgia und Nevada können Kandidaten eine Neuauszählung beantragen, in Nevada müssen sie allerdings die Kosten dafür tragen. Das ist auch in Wisconsin der Fall, wenn die Gewinnmarge geringer als 0,25 Prozentpunkte ist. In Pennsylvania kann zudem jeder Wähler bei Verdacht eines Betrugs eine Neuauszählung beantragen.
Sollte sich der Sieger längere Zeit nicht eindeutig bestimmen lassen, ist damit zu rechnen, dass Trump sich – wie 2020 – selbst zum Sieger erklärt. Das birgt besonders im Fall einer knappen Führung von Kamala Harris die Gefahr einer Eskalation.
„Ich denke, dass die Menschen immer wütender und frustrierter werden und dass das Trump-Team die Wahl als gestohlen bezeichnen wird“, sagte der republikanische Meinungsforscher Frank Luntz über diesen Fall im Interview mit WELT. Er verweist auf die Fernsehserie „Succession“.
Darin gebe es eine Episode, in der republikanische Anhänger ein Wahllokal anzünden, in dem es viele Stimmen für die Demokraten gab. „Am Ende gewann der Republikaner, weil das Wahllokal abgebrannt war und all die Stimmen für die Demokraten verloren gingen. Ich könnte mir vorstellen, dass dies auch in Philadelphia passiert.“
2. Klares Ergebnis
All diese Sorgen wären ausgeräumt, wenn das Ergebnis eindeutig für Harris oder Trump ausfiele. Statistisch gesehen ist es genauso wahrscheinlich wie ein enges Rennen. Die Umfragen haben eine durchschnittliche Fehlertoleranz von drei Prozentpunkten.
Dass also ein Kandidat alle sieben Swing States für sich entscheidet, wäre keine Überraschung. Sowohl die Teams von Harris als auch von Trump geben sich extrem siegesbewusst und sagen beide genau dieses Szenario voraus.
3. Kein Sieger
Es ist das unwahrscheinlichste Szenario, aber es ist rechnerisch möglich, dass diese US-Wahl keinen Sieger hervorbringt. Es gibt drei theoretisch mögliche Ausgänge, die zu einem Gleichstand von 269:269 Stimmen im Electoral College führen. Grund dafür wären Sonderregeln in den Bundesstaaten Nebraska und Maine, beide vergeben ihre Wahlleutestimmen anders als alle anderen.
So fällt die Hälfte (jeweils zwei) demjenigen zu, der insgesamt in dem Staat die Mehrheit erhält; die anderen beiden Stimmen aber gehen an denjenigen, der in den jeweils beiden Kongressbezirken die Mehrheit holt. Laut Umfragen kann Harris im ersten Bezirk Nebraskas die Mehrheit erlangen und Trump im zweiten Bezirk Maines.
Geschieht dies – und liegen die Umfragen in allen anderen nicht als Swing States eingestuften Staaten richtig –, gibt es drei Kombinationen, die zu einem Gleichstand führen könnten:
1. Trump gewinnt Pennsylvania, North Carolina und Michigan. Harris gewinnt Georgia, Arizona, Wisconsin und Nevada.
2. Trump gewinnt Pennsylvania, Michigan, Wisconsin und Nevada. Harris gewinnt Georgia, North Carolina und Arizona.
3. Trump gewinnt Pennsylvania, Georgia und Michigan. Harris gewinnt North Carolina, Arizona, Wisconsin und Nevada.
Der 12. Verfassungszusatz regelt, was in diesem Fall zu tun ist: Dann bestimmt der neu gewählte Kongress, wer ins Weiße Haus einzieht. Dem Repräsentantenhaus fällt die Aufgabe zu, den Präsidenten zu wählen. Welche Partei die Mehrheit der Sitze hat, ist dabei irrelevant – abgestimmt wird nach Bundesstaaten, jede Delegation eines Staats erhält eine Stimme. Nach der derzeitigen Sitzverteilung haben die Republikaner in einer Mehrheit der Bundesstaaten die Oberhand. Der Senat wählt den Vizepräsidenten, wobei jeder Senator eine Stimme hat.
Wenn das Repräsentantenhaus keine Wahl treffen kann, weil auch hier ein Gleichstand mit 50:50 Delegationsstimmen erreicht wird, hat der vom Senat gewählte Vizepräsident vorläufig das Sagen im Weißen Haus. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Abstimmung im Senat ebenfalls im Gleichstand endet, wird der Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, Präsident.
Gregor Schwung ist Redakteur im Ressort Außenpolitik. Für WELT berichtet er aus der Ukraine über den russischen Angriffskrieg und aus den USA über die Präsidentschaftswahl 2024.
Mitarbeit: Stefanie Bolzen