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US-Raketen: Beschluss der SPD-Spitze ist nicht das Ende der Debatte – Politik | ABC-Z

Es ist durchaus mutig, wie die SPD-Spitze ohne große Debatte dem Wunsch des Kanzlers zustimmt, dass ab dem Jahr 2026 wieder weitreichende US-Raketen in Deutschland stationiert werden sollen. Hat doch immerhin der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, deutlich sein Missfallen gegen die Pläne von Olaf Scholz kundgetan und vor einer Eskalationsspirale mit Russland gewarnt. Auch SPD-Wahlkämpfer in Sachsen und Thüringen, wo am 1. September neue Landtage gewählt werden, sagen, dass diese Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht helfe.

Besonders wichtig an dem am Montag vom SPD-Präsidium in einer digitalen Konferenz gefassten Beschluss ist der Passus, dass die Raketen ausschließlich in Westdeutschland stationiert werden und keinesfalls atomar bestückt werden sollen. „Die geplanten Waffen werden mit konventionellen Sprengköpfen ausgestattet und in bestehenden US-Militäreinrichtungen im Westen Deutschlands stationiert“, heißt es in dem Beschluss des Präsidiums. Eine nukleare Bewaffnung der Systeme sei nicht vorgesehen. „Die völkerrechtlichen Verpflichtungen des Zwei-plus-Vier-Vertrags werden eingehalten.“

Können die Raketen die Gefahr einer unbeabsichtigten Eskalation steigern?

Dieser Vertrag mit den Regelungen zur Wiedervereinigung 1990 besagt in Artikel 5, Absatz 3, unter anderem, dass nach dem Abzug der sowjetischen Streitkräfte vom Gebiet der DDR und aus Berlin weder ausländische Streitkräfte und Atomwaffen oder deren Träger in diesem Teil Deutschlands stationiert noch dorthin verlegt werden dürfen. Auch können dort keine US-Waffensysteme stationiert werden.

Am Rande des Nato-Gipfels in Washington hatte Kanzler Olaf Scholz am 10. Juli die Entscheidung mitgeteilt, dass die USA wieder landgestützte Raketen in Deutschland stationieren wollen, die Moskau erreichen können. So ist die Stationierung von Tomahawk-Marschflugkörpern geplant, zudem von Raketen vom Typ SM-6 und neuen Hyperschallwaffen – laut Scholz wird dabei eine Fähigkeitslücke bei der Abschreckung gegen Russland geschlossen.

Fraktionschef Mützenich dagegen befürchtet, dass die Raketen mit minimaler Vorwarnzeit die Gefahr einer unbeabsichtigten Eskalation steigerten, zudem habe die Nato bereits ausreichend Abschreckungsfähigkeiten. Deutschland könnte außerdem dadurch, dass nur hier derartige Systeme stationiert werden, einseitig ins Visier Russlands rücken. Die Kritiker verweisen hier auf eine Fachanalyse des Obersts a.D. Wolfgang Richter zu dem Thema.

Die Befürworter fordern immer noch eine wirksame Rüstungskontrolle in Europa

Es ist durchaus als Zugeständnis an die Kritiker zu verstehen, dass im Beschluss auch das Ziel betont wird, „zu einer wirksamen Rüstungskontrolle in Europa und zum Aufbau einer neuen regelbasierten Friedensordnung“ zurückzukehren. Das aber hängt nun einmal auch an der Mitarbeit Russlands. Es gehe für die SPD darum, „dass kein Kind, das heute in Deutschland geboren wird, wieder Krieg erleben muss“.

Die Vereinbarung der SPD-geführten Bundesregierung mit der US-Administration sei dafür ein wichtiger Baustein. Dieser Schritt sei eine Reaktion auf den Völkerrechtsbruch Russlands in der Ukraine und trage „der Bedrohung Europas durch die massive russische Aufrüstung der vergangenen Jahre gerade im Bereich der Raketen mittlerer Reichweite Rechnung“.

Russland wird auch eine „eklatante Verletzung“ des schließlich von den USA gekündigten INF-Vertrags zur Abrüstung vorgeworfen, da es nuklear bestückbare Raketen in Position gebracht habe, „die nicht nur aus Kaliningrad, sondern weit aus dem rückwärtigen Raum Russlands bis nach Westeuropa reichen“. Europa benötige eine glaubwürdige Abschreckung, „gerade um eine Ausweitung der kriegerischen Aktivitäten zu verhindern und letztlich auch um die Ukraine darin zu unterstützen, Russland perspektivisch zu Verhandlungen über einen für die Ukraine gerechten Frieden zu bewegen“.

Zuletzt hatte sich besonders SPD-Chef Lars Klingbeil in der Debatte hinter Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gestellt, er hat die Devise ausgegeben, es gelte nun „Sicherheit vor Russland“ zu organisieren, dazu gehört aus seiner Sicht die geplante Raketenstationierung.

Auch der Bundestag wird sich mit den Raketen noch einmal befassen

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner dagegen teilt Mützenichs Bedenken, er ist alles andere als glücklich mit dem im Eilverfahren gefassten Beschluss. Die Debatte müsse und werde in der Gesellschaft und im Parlament geführt werden, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Das gelte erst recht innerhalb der SPD, die immer mit Leidenschaft über Friedenspolitik diskutiert habe. „Das wird auch nicht durch einen Gremienbeschluss in der Sommerpause beendet, der feststellt, dass diese Stationierung keine Aufrüstung darstelle.“

Zur Klugheit in der Außen- und Sicherheitspolitik gehöre es spätestens seit John F. Kennedys Agieren in der Kubakrise, sich in die Perspektive des Gegners hineinzuversetzen, gerade, wenn man diese nicht teile. „Natürlich gibt es eine Bedrohung durch russische Raketenstützpunkte etwa in Kaliningrad. Bei see- und luftgeschützten Systemen ist die Nato allerdings qualitativ und quantitativ eher überlegen“, betont Stegner.

Es scheint, dass diese Debatte nicht per Präsidiumsbeschluss zu befrieden sein wird. Und nachdem es die SPD in der Nachrüstungsdebatte um den Nato-Doppelbeschluss einst fast zerrissen hätte, will man nun tatsächlich zumindest noch einmal breiter darüber diskutieren; es gebe schließlich auch viele Sorgen vor einer militärischen Eskalation in der Bevölkerung, heißt es im Beschluss des Präsidiums. Die SPD werde in den kommenden Wochen und Monaten Raum für den Dialog mit den Mitgliedern, aber auch mit Bürgern schaffen.

„Auch der Deutsche Bundestag wird sich nach der parlamentarischen Sommerpause umfassend mit den aktuellen Entwicklungen rund um die geplante Stationierung der US-Raketen in Deutschland befassen“, wird betont – das war zunächst nicht geplant.

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