Kultur

US-Avantgarde-Künstler Carl Cheng: Vielleicht ist der Mensch für die Natur okay | ABC-Z

Es sind Bilder, die gut hierher ins südniederländische Maastricht passen. Luftaufnahmen einer Landschaft, dicht besiedelt hier, stark agrarisiert dort – die schmalen Feldflächen abgesteckt in Grün, Beige und Braun. Keine Fotografien sind es, wie sich aus der Nähe herausstellt, sondern Collagen aus technischen Gegenständen. Die sinnliche Anziehungskraft von Festplatten ist ein doppelter Schrecken, aber auch lustig.

Das Bonnefanten-Museum in Maastricht zeigt „Nature Never Loses“, die erste große Retrospektive von Carl Cheng, 1942 als Fu Kong Cheng in San Francisco geboren. Für einen unterkomplexen Naturbegriff, wie er seit einigen Jahren durch die Ausstellungsräume geistert, wäre Cheng aber vermutlich nicht zu haben.

Seine Kunst kreist um eine viel schlichtere, dabei aber paradoxe Tatsache: Der Mensch ist notwendig Teil dieser Natur. Dabei scheint es sie im Zweifel gar nicht zu stören, ob es den Menschen gibt oder nicht. In diesem Sinne ließe sich Natur vielleicht als letztgültiges objektives Realitätsprinzip begreifen. Weshalb der Künstler, Schriftsteller und Erfinder Carl Cheng dafür plädiert, sie eben nicht als Gegner zu betrachten.

Das Bonsai-Labor

Auch die Landschaften gehen­ vorüber, weiß Cheng, den das Prozesshafte, Vergehende immer interessierte. Aber gerade deshalb sind sie ja auch aktiv veränderbar. Aberwitzige Formen lässt er den Pflanzen in seinem „Bonsai Laboratory“ angedeihen, die hier fotografisch dokumentiert sind. Die Bewusstwerdung der menschlichen Gestaltung, so spielerisch wie konkret vorgeführt. Wenn die Natur niemals verliert, wie sieht es dann mit den menschengemachten Landschaften und Artefakten aus?

Carl Cheng- Retrospektive

Carl Cheng: „Nature Never Loses“, Bonnefanten-Museum Maastricht, noch bis 28. September 2025

Carl Chengs Werk ist nicht nur das eines frühen Environmental Artist – vom Begriff „Pio­nier“ will der Künstler nichts wissen, er sieht sich als Beobachter –, sondern genauso eines, das vom Kunstmarkt und vom Künstlerwitz, vom Konzeptionieren wie vom praktischen Umsetzen handelt. Früh gründete Cheng die „John Doe Company“, ein real existierendes Unternehmen und zugleich eine Art Alter-Ego-Ersatz für seine Projekte.

Hier schwingt dann auch noch eine spezifische Lebenserfahrung als Asian-American mit, der in den dualistischen USA scheinbar gar nicht vorkommen konnte – ergo wählte der Künstler mit John Doe das dort gängige US-Pseudonym für einen anonymen Mann, den niemand identifizieren kann.

Ausbildung im Folkwang-Kerker

Ein Glück auch, dass Cheng es dann Mitte der 1960er doch eine Weile in Essen ausgehalten hat. Wie ein mittelalterlicher Kerker war ihm die Folkwang-Hochschule im Austauschstudium zunächst vorgekommen. In der Bildhauerei-Klasse hämmerte man noch mit Meißeln auf Steinen herum – unvorstellbar kam das dem jungen Studenten vor. Seine Materialien waren direkt aus dem Leben gegriffen, konnten Plastik sein oder die Rinde eines Baumes, später Kabel, Displays, überhaupt alles Technische.

In diesem Sinne begriff er auch die Fotografie als Werkzeug, und die lernte er dann wiederum in Essen kennen. Einige wunderbar eigenständige Arbeiten, vermutlich in der Dunkelkammer collagiert, haben hier ihren Anfang genommen. Einer suburbanen Wohnsiedlung knallt Carl Cheng einen riesigen, schwarzen Monolithen in die Mitte.

Später zieht es ihn erstmals nach Asien, wo er die Chinesische Mauer und einen Urwald mit selbstgebautem Rahmen einfängt, den bildbegrenzenden (und damit im Wortsinne: landschaftsbildenden) Ausschnitt der Fotografie doppelnd.

Fräsen, Rattern und Surren

Für all dies lohnt der Weg in die Ausstellung. Vollends zusammen kommt sein Werk aber in den fantastischen elektronischen Skulpturen und Nature Machines, eigenartigen Apparaten, Schaukästen, Aquarien, Dioramen, in denen Natur- und Kunstvorstellung auf Chengs ausgeprägtes Interesse als Archäologe einer Gegenwart treffen. Ein Fräsen, Rattern und Surren im White Cube. Etliches funktioniert bis heute, kann über ein Fußpedal bedient werden oder arbeitet scheinbar autonom vor sich hin.

In großen, elektrisch betriebenen Tanks lagern bemalte Steine, die auf unbestimmte Zeit dem Zahn der Zeit ausgesetzt werden. In anderen finden sich Klimawarnsysteme, Wettersimulationen, utopische und dystopische Erzählungen. Vieles würde man auch jetzt lieber im öffentlichen Raum sehen, wie das Natural Museum of Modern Art, 1978 am Strand im kalifornischen Santa Monica installiert. Für eine Münze konnte jeder, der vorbeiging, einen Lieblingsschaukasten zum Leuchten bringen.

Im letzten Ausstellungsraum dann eine sagenhafte Mondlandschaft, in den Sand gezeichnet. Nicht von dieser Welt schaut sie aus. Wie zum Beleg steht die ausgeklügelte Maschine als vermeintliche Schöpferin in der Ecke. Aber klar, auch diese Arbeit ist menschengemacht – vom Künstler, der sich neben dem Bild auch die Technik zur Bildschaffung ausgedacht hat.

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