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Uruguays Trainer Marcelo Bielsa – „Guten Tag“ wäre schon zu viel gesagt – Sport | ABC-Z

Die digitalen Wetter-Anwendungen kündigen für den Dienstagabend in Montevideo frühlingshafte Temperaturen an. Doch wie es in Uruguay um Atmosphäre und Klima bestellt sein wird, wird sich nicht an Thermo-, Hygro-, Anemo- oder Barometern ablesen lassen. Sondern einzig an den Tribünen des sagenumwobenen Estadio Centenario, die sich erklecklich füllen werden, um Uruguays Nationalelf beim WM-Qualifikationsspiel gegen Ecuador zu sehen – und vielleicht auch, um ein Urteil über Marcelo „El Loco“ Bielsa zu sprechen, den argentinischen Nationalcoach der Celeste.

Seit rund zehn Tagen steht Bielsa im Auge eines Sturms, ausgelöst durch völlig überraschende Kritik von Luis Suárez. Einen Monat nach seinem Rücktritt aus der Nationalmannschaft hatte der Pistolero in einem Radiointerview scharf gegen Bielsa geschossen: Bei der Copa América seien im Sommer „Dinge passiert, die wehgetan“ hätten; seinerzeit habe er Stillschweigen bewahrt, um das Binnenklima zu schützen, und obschon er „ein ganzes Buch“ über ehrabschneidende Verhaltensweisen Bielsas schreiben könnte.

Zu den „Respektlosigkeiten“, die Suárez nannte, zählte der Umgang mit einem Ersatzstürmer namens Agustín Canobbio von Athletico Paranaense; dieser sei bei einer Trainingseinheit dem Nachwuchsteam zugeordnet worden, das Bielsa zur Copa América als Sparringspartner für die A-Mannschaft mitgenommen hatte. Entwürdigend, meinte Suárez. Auch kritisierte er die Umgangsformen Bielsas grundsätzlich. So habe das Team einmal eine Sitzung einberufen, weil Bielsa dazu bewegt werden sollte, zur Begrüßung „buenos días“ zu sagen. Dass Bielsa solche Floskeln für Zeitverschwendung hält, ist nicht neu – und hat immerhin den Charme, dass es auch seine Vorgesetzten ärgerte. Schon der verstorbene argentinische Verbandschef Julio Grondona echauffierte sich vor Jahrzehnten darüber, dass Bielsa gern grußlos an ihm vorbeiging – und ihm im Aufzug den Rücken zukehrte.

Canobbio wiederum klagte, ihm sei unter anderem deshalb die Hutschnur geplatzt, weil Bielsa ihn – aus gar nicht mal so schlechten Gründen – für eine 1:2-Niederlage in Ecuador aus dem Jahr 2023 verantwortlich gemacht habe. Zudem habe Bielsa auch Canobbios Erziehung kritisiert. Canobbio hatte allerdings eingeräumt, bei einer Sitzung die Füße auf den Tisch gelegt zu haben. Einen Zusammenhang mit Bielsas Verärgerung erkannte er nicht.

Unklar ist, wie das Meinungsbild der Spieler ist, die anders als Canobbio von Bielsa berufen worden sind. Einer der neuen Führungsspieler, Federico Valverde von Real Madrid, bestätigte Suárez insofern, als er sagte, dass Mannschaftskameraden über Bielsa geklagt hätten. Zugleich tauchten Äußerungen auf, in denen er den physisch und mental fordernde Stil Bielsas nicht bloß verteidigte, sondern lobte. Bekanntermaßen ist Bielsas Fußball von einem Maximum an Intensität geprägt. Unabhängig davon gab es eine Krisensitzung der Führungsspieler Uruguays mit Bielsa.

„Ich weiß, dass meine Autorität angeschlagen ist“, sagt Bielsa

Bielsa selbst machte dies öffentlich, nach dem vergangenen Qualifikationsspiel am Freitag in der peruanischen Hauptstadt Lima. Dort trat er einigermaßen bedrückt vor die Presse. Es war für Uruguay nicht nur das dritte Spiel ohne eigenen Torerfolg in Serie – es führte auch nach mauem Spiel zu einem 0:1 und damit zur zweiten Niederlage in der laufenden Qualifikation. Gleichwohl steht Uruguay zur Halbzeit der Qualifikationsrunde mit vier Punkten Rückstand auf Tabellenführer Argentinien an dritter Stelle.

Fragen taten sich dennoch auf: Die Presse rätselte, ob nicht zumindest ein Teil der Mannschaft gegen ihn spiele. Bielsa selbst sah dafür keine Anhaltspunkte. „Der Einsatz der Mannschaft war großzügig“, sagte Bielsa in Lima; die Unruhe nach dem explosiven Interview von Suárez sei für die Niederlage nicht ursächlich gewesen, die gehe schon auf seine Kappe. „Die Mannschaft hat nicht gut gespielt, aber Haltung gezeigt“, betonte auch Offensivkraft Facundo Pellistri. Dass eine Position geschwächt ist, räumte Bielsa allerdings ein: „Wer infrage steht, das bin ich.“

Diese Form der Eskalation kommt vor allem deshalb überraschend, weil Bielsa und Uruguay in einem Idyll zu leben schienen. Zwar verließen einige langjährige Mitarbeiter den Verband, kurz nachdem Bielsa Mitte 2023 als neuer Nationalcoach installiert worden war. Vor knapp einem Jahr aber war zumindest sportlich alles in bester Ordnung, was sich unter anderem daran zeigte, dass Uruguay unter seiner Führung bei Weltmeister Argentinien und gegen Brasilien siegte. Niemand stellte in Abrede, dass er es verdiente, einer der bestbezahlten Trainer Südamerikas zu sein. Ein emotionaler Höhepunkt war eine spektakuläre Pressekonferenz Bielsas bei der Copa América in den USA.

Am Rande des Halbfinals gegen Kolumbien hatten sich einige seiner Spieler auf der Tribüne mit Kolumbianern geprügelt, die Familienangehörige angegriffen hatten; Bielsa nahm sie in Schutz und attackierte den Südamerikaverband Conmebol sowie die Organisatoren der Copa América für deren Unfähigkeit, die Sicherheit bei einem großen Turnier zu garantieren. Worin nun die aktuellen Debatten münden?

Bielsa neigt dazu, von sich aus zu gehen, wenn er das Gefühl hat, er müsse sich verbiegen. Das weiß man bei Klubs und Verbänden, die ihn mal beschäftigt haben. „Nicht mal im Spaß wird man aus seinem Munde den berühmten Satz von Groucho Marx hören: ‚Das sind meine Prinzipien, aber wenn sie ihnen nicht gefallen, habe ich andere‘“, rief die argentinische Zeitung La Nación dieser Tage in Erinnerung.

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