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Neues Baumgesetz in Berlin: Gewinn für die Demokratie oder populistischer Schachzug? | ABC-Z

Analyse

Neues Baumgesetz – Gewinn für die Demokratie oder populistischer Schachzug?


Mo 03.11.25 | 20:58 Uhr | Von Ann Kristin Schenten

dpa

Video: rbb|24 | 03.11.2025 | Material: rbb24 Abendschau | Bild: dpa

Das Berliner Abgeordnetenhaus hat am Montag die Pflanzung von Hunderttausenden Bäumen beschlossen. Doch CDU und SPD geht es dabei längst nicht nur um eine grünere Hauptstadt. Von Ann Kristin Schenten

  • mehr als 30.000 Berlinerinnen und Berliner hatten für ein Baumgesetz unterschrieben
  • CDU und SPD lehnten Gesetz kürzlich noch aus Kostengründen ab
  • Umschwung unter anderem mit erwarteter Klage von Initiative “Baumentscheid” erklärt
  • Kritiker warnen vor Verwendung von Geldern aus Sondervermögen des Bundes

Stellt man sich Berlin im Jahr 2040 so vor, wie es die Initiative “Baumentscheid” erträumt, flaniert man in 15 Jahren durch eine kühle, grüne Oase. Über eine Million Straßenbäume soll es dann in Berlin geben. Sie sollen steigende Temperaturen abmildern, Schatten spenden und die Luftqualität verbessern. Zudem sind sogenannte Kühlinseln geplant, während versiegelte Flächen in lebenswerte Stadtviertel verwandelt werden sollen.

Mehr als 30.000 Berlinerinnen und Berliner unterstützten diese Vision im vergangenen Jahr mit ihrer Unterschrift – mit dem Ziel, einen Volksentscheid “Baum” herbeizuführen, idealerweise parallel zur Abgeordnetenhauswahl 2026.

Dazu wird es nun nicht mehr kommen. Denn das Abgeordnetenhaus hat das Klimaanpassungsgesetz der Initiative am Montag mit nur wenigen Änderungen verabschiedet. Fast alle Parteien stimmten zu, lediglich die AfD enthielt sich. Für die Abstimmung wurde eigens eine Sondersitzung einberufen – eine spätere Entscheidung wäre nicht mehr fristgerecht möglich gewesen. Damit wird Berlin in den kommenden Jahren Hunderttausende neue Bäume pflanzen. Die Kosten werden derzeit auf rund 3,2 Milliarden Euro geschätzt.

Sondervermögen für Klimaanpassung?

Noch vor wenigen Wochen hatten SPD und CDU das Gesetz aus Kostengründen abgelehnt, ehe sie überraschend umschwenkten. Möglicherweise soll die Finanzierung nun über das Sondervermögen des Bundes erfolgen – endgültig geklärt ist das aber noch nicht.

Kritik kommt bereits, etwa von der Berliner Krankenhausgesellschaft. Sprecher Marc Schreiner kommentierte: “Während Bäume eine Sondersitzung erhalten und Milliarden bekommen sollen, werden die Krankenhäuser abgeholzt.” Auch Manja Schreiner, die Hauptgeschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer (IHK) warnt davor, das Sondervermögen für das Klimaanpassungsgesetz zu verwenden. Mit Blick auf die marode Berliner Infrastruktur sagte sie dem “Tagesspiegel”, dass man die Sanierungsziele nicht erreiche, wenn man 40 Prozent des für Berlin vorgesehenen Sondervermögens in Straßenbäume investiere. Beide dürften nicht die einzigen sein, die die Finanzierung des Gesetzes aufgrund des anhaltenden Spardrucks in Berlin skeptisch sehen.

Sollte ein Wahlkampfthema verhindert werden?

Warum also hat sich die schwarz-rote Koalition letztlich doch für das Gesetz entschieden – trotz absehbaren Gegenwinds? Die naheliegendste Erklärung: Hätte der Senat, wie kurzzeitig angekündigt, ein eigenes Gesetz im Alleingang eingebracht, hätte man mit einer Klage der Initiative “Baumentscheid” rechnen müssen. Um dies zu vermeiden, übernahmen die Fraktionen von CDU und SPD den Entwurf weitgehend unverändert.

Doch natürlich dürfte auch politisches Kalkül eine Rolle gespielt haben. Wäre das Gesetz abgelehnt worden, hätte ein Volksentscheid stattgefunden – ausreichend Unterschriften beim Volksbegehren vorausgesetzt – wahrscheinlich parallel zur Abgeordnetenhauswahl 2026. Damit wäre das Thema Klimapolitik im Wahlkampf sehr präsent gewesen, ein Feld, auf dem die Regierungsparteien gegenüber Grünen und Linken wohl weniger hätten punkten können. Interessanterweise warf CDU-Fraktionschef Dirk Stettner ausgerechnet Grünen und Linken vor, sie hätten das Gesetz im Vorhinein verzögern wollen, um daraus ein Wahlkampfthema zu machen. Steffen Zillich von der Linkspartei intervenierte und erklärte, man habe sich im Hauptausschuss lediglich aufgrund eines unklaren Änderungsantrags enthalten. Fest steht: Der Baumentscheid sorgt schon jetzt dafür, dass sich die Parteien für den kommenden Wahlkampf in Stellung bringen.

Werden Berlins Bäume aus Brandenburg kommen?

Viele junge, frisch gepflanzte Birkenbäume

IMAGO / Jochen Tack

Doch ist das neue Gesetz auch ein Gewinn für die Demokratie? CDU-Fraktionschef Stettner betonte, es sei das erste Mal, dass ein Volksbegehren in so früher Phase angenommen worden sei. Auch Umweltaktivist Heinrich Strößenreuther (Grüne), einer der Initiatoren des Baumentscheids, sagte im Interview mit radioeins, der heutige Tag zeige, dass Bürgerinnen und Bürger Politik aktiv mitgestalten können. Zugleich warnte er, das Gesetz dürfe nun nicht “in den Tiefen der Berliner Verwaltung verschwinden”. Das Mobilitätsgesetz sei ein Beispiel dafür, wie politische Vorhaben versanden könnten. Das Gesetz beruht auf dem “Volksentscheid Fahrrad”, der ebenfalls vom Abgeordnetenhaus abgeräumt wurde, bevor es zu einer Abstimmung kommen konnte. Allerdings werden besonders im Bereich Fahrrad viele Punkte im Mobilitätsgesetz bis heute nicht umgesetzt. Laut Strößenreuther sei das neue Klimaanpassungsgesetz aber vor allem ein Gewinn für den Klimaschutz.

Baumpflanzung dauert Jahre

In zwei Jahren sollen die ersten Bäume gepflanzt werden – vorwiegend Jungpflanzen, da
diese kostengünstiger sind. Bis ein Baum jedoch groß genug ist, um spürbar zur Kühlung
beizutragen, dauert es rund ein Jahrzehnt. Die Berlinerinnen und Berliner werden die Effekte
des Gesetzes also erst in einigen Jahren merken. Voraussetzung ist, dass die Politik ihre
heutigen Versprechen einhält – und die nötigen finanziellen Mittel bereitstellt.

Sendung: rbb24 Inforadio, 03.11.2025, 16:20 Uhr

Beitrag von Ann Kristin Schenten


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