Urteil zu moderner Sklaverei in Ecuador: „Der Präsident ist Sohn des Bananen-Milliardärs“ | ABC-Z
taz: Herr Herrera, das ecuadorianische Verfassungsgericht hat den japanischen Konzern Furukawa wegen „moderner Sklaverei“ verurteilt
. Er hat über Jahrzehnte die Menschenrechte Hunderter Landarbeiter auf Plantagen mit Abacá-Bananenpflanzen verletzt, deren reißfeste Fasern in vielen Produkten wie Seilen, Teppichen und manchen Papiersorten stecken. Was bedeutet das Urteil?
Stalin Herrera: Zuerst einmal ist es überaus positiv, dass die höchste juristische Instanz des Landes ein derartiges Urteil spricht und dass dieses Urteil nicht mehr anfechtbar ist. Der Prozess hat seit 2019 alle juristischen Etappen durchlaufen und ist ein Erfolg für die Arbeitsrechte in Ecuador. 342 Arbeiter:innen hatten sich in der Organisation „Nie wieder Furukawa“ zusammengeschlossen und Klage eingereicht.
Das Verfassungsgericht in Ecuador hat nach einem langwierigen Verfahren den japanischen Konzern Furukawa wegen moderner Sklaverei zu Entschädigungszahlungen in Millionenhöhe verurteilt. Fünf von neun Richtern befanden am vergangenen Donnerstag (Ortszeit) die Firma für schuldig, gegen Arbeitsschutzbestimmungen und damit gegen die Verfassung verstoßen zu haben.
342 Landarbeiter hatten geklagt. Die Richter:innen sprachen ihnen eine Entschädigung von jeweils 120.000 US-Dollar (rund 113.000 Euro) zu. Insgesamt muss Furukawa rund 41 Millionen US-Dollar (knapp 39 Millionen Euro) zahlen. (epd)
taz: Die Liste an Vorwürfen ist lang und furchtbar: kein Zugang zu Trinkwasser, zu grundlegenden sanitären Einrichtungen und Gesundheitsdiensten für die Mitarbeitenden, schwere Arbeitsunfälle wegen Missständen vor Ort. Wie war das überhaupt möglich? Es gibt doch Inspektionsteams der Regierung, Arbeits- oder Gesundheitsministerium hätten die Kontrolleur:innen doch nach Aufkommen der ersten Vorwürfe auf den Plantagen vorbeischicken können oder sogar müssen.
Herrera: Gute Frage. In Ecuador ist zum einen die staatliche Infrastruktur seit 2017 rückgebaut worden. Die von Ihnen angesprochenen Inspektionsteams gibt es nicht mehr in der gleichen Zahl wie noch 2017 oder 2018. Hinzu kommt, dass das Arbeitsministerium den Konzernen sehr nahesteht. So hieß der Arbeitsminister unter Präsident Lenín Moreno von 2017 bis 2021 Raúl Ledesma und ist der Sohn des Präsidenten des wichtigsten Exportgremiums im Bananensektor.
Im Interview:
Stalin Herrera
ist Jahrgang 1975, forscht als Soziologe am Ecuadorianischen Studienzentrum (IEE) und ist Experte für die Arbeitsbedingungen auf Ecuadors Plantagen.
taz: Gewerkschaften hatten damit wohl also einen schweren Stand?
Herrera: Für Gewerkschaftler:innen war mit dieser Nominierung klar, dass es unter dieser Regierung zu keinerlei Fortschritten bei den Arbeitsrechten kommen würde – das Arbeitsministerium galt als de facto unter der Regie der bananenexportierenden Wirtschaft. Die Präsenz der ökonomischen Elite in den politischen Entscheidungsstrukturen ist ein historisches und strukturelles Problem Ecuadors – bis heute. Der heutige Präsident, Daniel Noboa, ist der Sohn des Bananenmilliardärs Álvaro Noboa. Sein Vorgänger war mit Guillermo Lasso ein Vertreter der Finanzbranche.
taz: Machen sich diese Verhältnisse bei den Inspektionsteams der Regierung bemerkbar?
Herrera: Durchaus. Schon ihre Zahl ist im Vergleich zu den Nachbarländern wie Peru oder Kolumbien deutlich geringer. Zudem werden Visiten vorab angekündigt, sodass sich die Unternehmen darauf vorbereiten können. Das konterkariert die Idee der Inspektionen, trägt dazu bei, dass Verstöße gegen die Arbeitsrechte ungeahndet bleiben und die gewerkschaftliche Organisationsquote in Ecuador bei gerade 2,8 Prozent liegt.
taz: Ist der Fall Furukawa die Ausnahme oder ist es einer von vielen Fällen? Es gibt Berichte, denen zufolge Unternehmen die Agrararbeiter:innen über Dekaden in einem System der Leibeigenschaft gehalten und systematisch ausgebeutet haben.
Herrera: Nein, das ist kein Einzelfall, es gibt gut dokumentierte Fälle von den Plantagen, vor allem im Bananenanbau. Besonders an der Küste und dort speziell im Süden des Landes gibt es Fälle vergleichbarer Strukturen. Sie stehen für eine Ausbeutungskultur unter der großgrundbesitzenden Elite, die weit verbreitet ist und die durch wissenschaftliche Studien seit Anfang der achtziger Jahre belegt ist. Neben dem Bananen- geht es etwa auch um den Schnittblumenanbau. Mit dem Fall Furukawa kommt ein weiteres Produkt hinzu, eben die Abacá-Pflanzenfaser. Die dort über einen sehr langen Zeitraum praktizierte Ausbeutung, die mit extremen Arbeitsrechtsverletzungen einherging, ist tatsächlich schockierend.
taz: Ecuador ist ein Land, in dem es kaum noch organisierte Arbeiter:innen gibt. Auf 2,8 Prozent ist die Quote gewerkschaftlichen Bindung gesunken. Woran liegt das?
Herrera: Es gibt einen ganzen Strauß von Gründen: Wir haben es mit einem gewerkschaftsfeindlichen Ambiente zu tun, vor allem auf dem Land. Branchengewerkschaften, die eben nicht an den einen Betrieb gebunden sind, sondern Arbeiter:innen aus der gesamten Branche vertreten, werden behindert. Das zeigt das Beispiel von ASTAC, einer Branchengewerkschaft im Plantagensektor Ecuadors, die auf ein Urteil des Verfassungsgerichts wartet, um legal in Ecuador arbeiten zu können. Hinzu kommt, dass Ecuador mehr und mehr zum Land mit kleiner und mittelständischer Unternehmensstruktur wird. Der Bedarf an klassischen Gewerkschaften, die sich ab 25 Arbeiter:innen organisieren dürfen, ist rückläufig. Hinzu kommt, dass immer mehr Unternehmen mit Sub-Sub-Sub-Angestellten arbeiten, die von Dienstleistern gestellt werden, sich aber erst gar nicht organisieren dürfen.
taz: Sie sprechen von einer gewerkschaftsfeindlichen Kultur: Haben organisierte Arbeiter:innen auch persönlich Nachteile zu befürchten?
Herrera: Wer sich trotzdem organisiert, wird oft entlassen, landet auf schwarzen Listen und wird bedroht. Auch tätliche Angriffe hat es schon gegeben. In Ecuador gibt es wirklich einen enormen institutionellen Widerstand dagegen, sich mit Arbeitsrechten zu beschäftigten oder sie sogar einzufordern. Die gewerkschaftsfeindlichen Strukturen reichen weit in die Institutionen hinein.