Wohnen

Urlaub mit Kleinkind – Gesellschaft | ABC-Z

Es ist Ende Juli und große Teile unseres Sommerurlaubs sind noch nicht gebucht. Für die ungebundene, jüngere Version meiner selbst wäre das eine Verheißung. Heute führt es mir explizit vor Augen, dass ich die Kontrolle über mein Leben verloren habe.

Wie viele andere fahre ich zwar morgens zur Arbeit, sobald ich meine dreieinhalbjährige Tochter davon überzeugt habe, dass sich die Gesellschaft auf das Tragen von Klamotten verständigt hat. Ich gebe meine Steuererklärung ab, gehe zu Vorsorgeuntersuchungen und freitags werde ich manchmal mit dem Lastenrad beim Wocheneinkauf gesichtet, wobei ich bestimmt eine atmungsaktive Jacke trage. Voll in der Mitte der Gesellschaft angekommen, höre ich die ungebundene, jüngere Version meiner selbst stöhnen.

Dieser hart erarbeitete Schein hält exakt so lange, bis das Gespräch auf das Thema Urlaub kommt. Leider kommt das Gespräch pausenlos auf dieses Thema, ja, ich wage die These, dass permanent alle über Urlaub sprechen, liegt daran, dass die tradierten Statussymbole hinfällig sind. Mit dem Auto anzugeben ist out, ein Haus kann sich keiner leisten. Das Urlaubsgespräch jedenfalls, es beginnt harmlos: „Wo wart ihr an Pfingsten?“, streift dann die Meta-Ebene: „Es ist alles so teuer geworden“, um final den Dolch anzusetzen: „Wir fahren mit Freunden nach Sardinien, wie immer.“ Wie immer! Ich versuche, cool zu bleiben, und beglückwünsche die Menschen zu ihrem vorausschauenden Reiseverhalten. Bis jemand fragt, eiskalt: „Und ihr?“

Wir? Wir waren an Pfingsten nirgendwo. Wenn ich anfange durchzurechnen, was drei Wochen in der Nebensaison mit Mietwagen, Hotel und Fähre kosten und wie anstrengend diese drei Wochen werden, höre ich sofort auf mit dem Rechnen. Und, sensibelster Punkt: Wir hätten auch gern so ein „Wie immer“. Bei uns wird jede Saison aufs Neue ausgedealt, wo wir die großen Ferien verbringen, wobei erschwerend hinzukommt, dass ich mich bisher bei jedem Urlaub mit Kleinkind gefragt habe: Was machen wir nur hier? In unserem vierten Jahr als Familie sind Fortschritte zu erkennen, weder haben wir ein seelenloses Familienhotel gebucht, noch stehen wir komplett planlos da, eine Woche fahren wir mit Freunden an die Adria. Wie schön allein, das hinzuschreiben.

Wenn es um die restlichen zwei Wochen geht, kommen mein Freund und ich über eine Internetrecherche vom Ausmaß einer mittelmäßigen Magisterarbeit nicht hinaus. Zu weit weg vom Meer, zu einsam, zu voll, zu viele Münchner, schlechtes Essen, nicht kindgerecht: Irgendwas fällt uns immer ein, um die Sache zu vertagen, bis wieder Juli ist. Und wir die Letzten sind, die mit dem Endgegner Booking kämpfen.

Aber wie luxusproblemorientiert kann man sein? Wieso empfinde ich eine genuin tolle Erfindung wie Urlaub als Belastung und wünsche mir oft, wir würden einfach zu Hause bleiben? Und warum fahren wir nicht spontan los, statt uns von Algorithmen kirre machen zu lassen, denen zufolge die Schönheit dieser Welt an unseren Reisedaten nicht verfügbar ist? Es wird doch einen Ort geben, an dem das Kind zwischen Pinien herumwuselt, mein Freund seinen Fisch grillt und ich einen Roman nach dem anderen lese und alle sich irgendwann so fühlen, als habe man die Kontrolle verloren, im Guten verloren.

Heute Abend buche ich den Mietwagen. Wirklich.

In dieser Kolumne schreiben Patrick Bauer und Friederike Zoe Grasshoff im Wechsel über ihren Alltag als Eltern. Alle bisher erschienenen Folgen finden Sie hier.

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