Untersuchungsausschuss: Und dann äußert Scholz leise Zweifel an Habecks ergebnisoffener Prüfung der Atom-Frage | ABC-Z
Als letzter Zeuge muss der Bundeskanzler im Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg aussagen. Er inszeniert sein Machtwort zur kurzen Laufzeitverlängerung als einsame Entscheidung. Und er lässt Zweifel daran durchblicken, dass Habeck tatsächlich ergebnisoffen geprüft hat.
Eigentlich rechnet niemand mehr mit Neuigkeiten im Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg, als um 20.15 Uhr am Donnerstagabend der Bundeskanzler den Saal 4.900 im Paul-Löbe-Haus des Bundestages betritt. Mehr als 350.000 Seiten Akten hatten die Abgeordneten gewälzt, 39 Zeugen waren gehört worden, doch ein Beweis dafür, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Frühjahr 2022 wider besseres Wissen längere Laufzeiten für die letzten drei Atomkraftwerke abgelehnt hätte, gab es noch immer nicht.
Daran hatte auch die Befragung von Habeck selbst am Donnerstag nichts geändert. Seit Monaten drehte sich im Ausschuss fast alles um den sogenannten Prüfvermerk von Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) vom 7. März 2022. Darin hatten die beiden Minister längere Laufzeiten für die letzten drei Atomkraftwerke zunächst abgelehnt und das mit technischen und rechtlichen Hürden begründet. Aber hatten sie davor wirklich ergebnisoffen geprüft oder stand das Ergebnis bereits fest?
Dieser quasi amtliche Bescheid ist das Schlüsseldokument für den Untersuchungsausschuss. Umso überraschender ist die Einschätzung, die Kanzler Olaf Scholz (SPD) nun zum Besten gibt. Er lehnt schon die Bezeichnung „Vermerk“ oder „Prüfvermerk“ für das Papier der beiden grünen Minister ab. Das sei seiner Auffassung nach eher eine Art „Positionspapier“ gewesen. „Ich habe das erst mal als Standpunkt wahrgenommen, der natürlich erarbeitet worden ist, alles andere zu unterstellen, wäre nicht in Ordnung“, sagt der Kanzler gewohnt umständlich.
Für ihn sei das Papier auch keineswegs eindeutig gewesen in der Schlussfolgerung, dass man die Atomkraftwerke nicht länger laufen lassen könne. „Wenn man sich den Prüfbericht vom 7. März mit einem gewissen juristischen Sachverstand anschaut, dann merkt man, da steht ja gerade nicht drin: Das geht nicht“, sagt der Jurist Scholz. Er sei immer davon ausgegangen: „Wenn das notwendig ist, kriegen wir das auch hin“. Er habe auch zur Kenntnis genommen, dass die Beamten im Kanzleramt die Ergebnisse des sogenannten Prüfvermerks durchaus für plausibel hielten. Zu eigen gemacht habe er sich das persönlich deshalb aber noch lange nicht. „Meine Einschätzung war: Mal schauen“, sagt Scholz.
Nicht einmal ein klares Bekenntnis, dass der Kanzler als Chef des Kabinetts davon ausging, dass seine Minister tatsächlich ergebnisoffen an die Frage herangegangen waren, ist Scholz an diesem Abend zu entlocken. Auf die Frage eines Parteifreundes im Ausschuss, ob er von einer ergebnisoffenen Prüfung ausgegangen sei, antwortet der Kanzler: „Darauf muss man ja setzen.“ Er müsse davon ausgehen, dass Auskünfte aus dem Wirtschaftsministerium „faktenbasiert erarbeitet werden“. Wirklich überzeugt klingt Scholz nicht.
Der Kanzler als einsamer, entschlossener Entscheider
Doch entscheidend sei die Position der grünen Minister für ihn in der Atomfrage ohnehin nicht gewesen, behauptet Scholz. Glaubt man dem Kanzler, traf er die Entscheidung im Herbst 2022, die drei letzten AKW doch noch dreieinhalb Monate länger laufen zu lassen, quasi im Alleingang. Es ist seine Lieblingsrolle, die Scholz auch im Untersuchungsausschuss beschreibt: der Kanzler als einsamer, aber entschlossener Entscheider.
Doch daran gibt es inzwischen erhebliche Zweifel: WELT AM SONNTAG hatte berichtet, dass das Machtwort zur Laufzeitverlängerung tatsächlich ein politisches Tauschgeschäft war. Der Kanzler hatte seinen Koalitionspartnern angekündigt, dass er die Richtlinienkompetenz nutzen werde. Sowohl FDP als auch Grüne bekamen im Gegensatz kleinere Zugeständnisse: Für die Grünen sollte ein Energieeffizienzgesetz beschlossen werden, die Liberalen verbuchten als Gewinn, dass alle drei Atomkraftwerke weiterlaufen sollten und nicht, wie ursprünglich geplant, nur die beiden in Süddeutschland.
FDP-Chef Christian Lindner hatte das bei seiner Aussage am Mittwoch so bestätigt. Auch Habeck dementierte nicht entschieden. Scholz bleibt dabei, dass er alleine entschieden habe, einen Handel habe es nicht gegeben, beide Koalitionspartner hätten signalisiert, dass man sie zwingen müsse. „Es ging bei beiden Ministern und den dahinterstehenden Parteien nicht, die Entscheidung zu treffen, die ich dann getroffen habe, das musste ich dann schon auf meine eigene Kappe nehmen“, sagt Scholz. Aber er räumt ein, dass er „alle Wünsche, die alle Beteiligten hatten“ gekannt habe, bevor er sein Machtwort gesprochen habe. Er sei dabei auch „sehr höflich geblieben“. „Ich habe immer versucht, die Koalition zusammenzuhalten und allen zu ermöglichen, dass sie sich wohlfühlen“, sagt der Kanzler. Man muss nach dem vorzeitigen Ampel-Aus festhalten, dass ihm das keineswegs immer gelungen ist.
Am Ende sei er selbst nach Gesprächen mit den drei Atomkraftwerks-Betreibern, die er zusammen mit Habeck und Lindner geführt habe, zu der Entscheidung gekommen, dass der sogenannte Streckbetrieb für dreieinhalb zusätzliche Monate notwendig gewesen sei – mehr aber auch nicht. Er habe in den Gesprächen mit den Betreibern nämlich auch erfahren, dass man neue Brennstäbe nicht nur für wenige Monate zur Energiegewinnung einsetzen könne, sondern sie dann über viele Jahre hätte abbrennen müssen. „Die Anschaffung neuer Brennstäbe wäre keine Entscheidung für einen Winter gewesen, sondern eine Entscheidung für dieses Jahrzehnt“, sagt Scholz. Doch eine so lange Laufzeitverlängerung sei für ihn nicht infrage gekommen. Grundsätzlich halte er den Atomausstieg weiter für richtig. Nach dem Gespräch mit den Betreibern habe seine Entscheidung daher festgestanden: „Wir lutschen die Brennstäbe aus bis zum 15. April und dann ist Schluss mit der Atomkraft.“