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Unionspolitiker erwägen Schulden für Verteidigung und Kiew | ABC-Z

Eigentlich wollte Sahra Wagenknecht einen doppelten Sieg: In Brandenburg, Sachsen und Thüringen sollten sowohl SPD als auch CDU nach ihrer Balalaika tanzen und Waffenlieferungen an die Ukraine kritisieren. In Brandenburg, wo die SPD regiert, kam Ministerpräsident Dietmar Woidke ihr entgegen. Er nahm dabei in Kauf, dass die gemeinsamen kritischen Worte zu neuen amerikanischen Waffen in Deutschland seinen Parteifreund Olaf Scholz desavouierten.

In Thüringen dagegen, wo Wagenknecht von der CDU verlangte, sich vom angeblich kriegslüsternen Parteichef Friedrich Merz zu distanzieren, ging der Plan nicht auf. Der Landesvorsitzende Mario Voigt sagte Nein, und jetzt geht das BSW trotzdem mit ihm in Koalitionsverhandlungen.

Diese Festigkeit bei der CDU war nicht selbstverständlich. In Ostdeutschland nämlich bekommen auch manche Christdemokraten ein flaues Gefühl, wenn (meist westliche) Parteifreunde auf Putins Aggression gegen die Ukraine aus ihrer Sicht allzu hart reagieren.

Die CDU-Führungen in Berlin und Erfurt mussten deshalb gemeinsame Formeln finden, die einerseits stark genug sind, um Wagenknechts Spaltungsversuche abzuwehren, und andererseits beiden Seiten Raum lassen. Dass dieser Versuch zumindest für den Augenblick geglückt ist, hat sich in dem Moment gezeigt, als Voigt es ablehnte, sich von Merz zu distanzieren.

Zwei Texte der letzten Wochen haben den Konsensraum der Union definiert. Der erste ist eine Rede von Friedrich Merz im Bundestag. Darin forderte er am 16. Oktober den Bundeskanzler auf, Wladimir Putin klar und deutlich zu sagen, dass man die Reichweitenbegrenzung für westliche Waffen in der Ukraine aufheben werde, wenn Russland weiter „Krankenhäuser und Kindergärten“ angreife. Außerdem, fügte Merz hinzu, müsse man Putin sagen, dass Berlin auch Taurus-Marschflugkörper liefern werde, „wenn er nicht innerhalb von 24 Stunden aufhört, die Zivilbevölkerung in der Ukraine zu bombardieren“.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Merz hat diese Rede als Leitlinie für die gesamte Union begriffen, und die Reaktionen aus CDU und CSU zeigen, dass fast alle ihm folgen. Es gibt zwar an der Spitze der Unionsparteien die Sorge, dass ein zu starker Akzent auf Waffen für die Ukraine Olaf Scholz helfen könnte, sich im Wahlkampf als „Friedenskanzler“ zu stilisieren. Dem wird aber entgegnet, mit klarer Kante gegen Putin könne die Union sich gegen den erwarteten Vorwurf wappnen, sie sei nur eine „AfD light“. Mit Standhaftigkeit werde man deshalb mehr gewinnen als verlieren. Dementsprechend haben die Fachpolitiker mit Führungspositionen in der Unionsfraktion, Johann Wadephul und Jürgen Hardt von der CDU sowie Florian Hahn von der CSU, der F.A.S. bestätigt, dass sie Merz’ Formulierungen vom 16. Oktober als Leitlinie anerkennen.

Ein Bogen von Kiesewetter bis Laschet

Genauso wichtig ist, dass auch andere profilierte Abgeordnete, etwa Roderich Kiesewetter oder der frühere Kanzlerkandidat Armin Laschet, zustimmen. Kiesewetter, einer der entschlossensten Freunde der Ukraine im Bundestag, war noch im Juni mit Merz aneinandergeraten, weil er verlangt hatte, Deutschland müsse Schulden aufnehmen, wenn dieser Krieg gewonnen werden sollte, und die Ukrainer müssten auch Ziele in Russland angreifen dürfen. Jetzt aber sagte er der F.A.S., er stimme dem Chef und seinen „klaren Worten“ „vollständig zu“. Die Union solle Merz „den Rücken stärken“.

Von der anderen Seite applaudierte Laschet. Dem werfen die Ukraine-Unterstützer eigentlich vor, er verwende viel zu oft Worte wie „Diplomatie“ und „Verhandlungen“ – also Vokabeln, die man sonst eher von der SPD oder Wagenknecht hört. Jetzt aber lobt auch er den Vorsitzenden. Laschet gefällt, dass Merz nicht einfach nur mehr Waffen fordert, sondern Putin zugleich sagt, unter welchen Umständen geliefert wird – nämlich dann, wenn die Terrorbombardements nicht aufhören. Diese „Methode der Konditionierung“, sagt Laschet, sei eben „intelligenter, als immer nur den Taurus zu fordern, ohne eine politische Strategie damit zu verbinden.“

Tatsächlich ist Merz den Zögerern in der Union trotz harter Worte entgegengekommen. Denn erstens hat er die Drohung mit dem Taurus nicht mit Maximalforderungen wie dem Rückzug aller russischen Truppen aus der Ukraine verknüpft, sondern nur das Ende der russischen Bombenangriffe verlangt. Und zweitens hat er durch den Vorschlag, dem russischen Präsidenten das alles zu „sagen“, auch dem Wunsch nach „Verhandlungen“ Rechnung getragen – allerdings ohne das Wort in den Mund zu nehmen. Wadephul, sein für Außenpolitik zuständiger Fraktionsvize, sagt, dadurch habe Merz der Forderung nach mehr Waffenhilfe eine „politische Dimension gegeben“. Das habe „viele überzeugt“.

Der Querschläger wird eingebunden

Der zweite Text, der zur Konsolidierung der CDU beitrug, war ein Aufsatz, den die ostdeutschen CDU-Spitzenpolitiker Michael Kretschmer und Mario Voigt zusammen mit dem Sozialdemokraten Woidke am 3. Oktober in der F.A.Z. veröffentlicht haben. Kretschmer galt bis dahin als Querschläger in der CDU. Führende Außenpolitiker wie Kiesewetter und Hardt haben ihn immer wieder angegriffen, weil er Waffenhilfen für die Ukra­ine als sinnlos und teuer darstellt. Der Text in der F.A.Z. schien denn auch beim ersten Lesen den Eindruck vom „Putin-Versteher“ zu bestätigen. Die Vokabeln „Waffenstillstand“ und „Verhandlungen“, die sonst eher aus den Echokammern zwischen AfD und BSW schallen, spielten eine wichtige Rolle und trugen den Autoren den Vorwurf ein, sie machten einen Kotau vor Wagenknecht.

Merz allerdings mied scharfe Worte, und der F.A.S. hat er jetzt gesagt, er gehe an die Sichtweise von Michael Kretschmer und anderer in Ostdeutschland „mit großem Einfühlungsvermögen heran“, auch wenn er „bei manchen Fragen zu einem anderen Ergebnis“ komme.

Der Hintergrund dieser milden Töne: Kretschmer und Voigt hatten sich vor der Veröffentlichung ihrer umstrittenen Stellungnahme bis ins Detail mit Merz, Wadephul und anderen abgesprochen. Der Berliner Führung war es dabei nicht nur um das gegangen, was in dem Text wörtlich drinstehen würde. Genauso wichtig war ihnen, was nicht drinstehen durfte. Vor allem durfte Kretschmers Forderung nach einem Ende der Waffenhilfe nicht wiederholt werden. Diesem Wunsch wurde entsprochen. Merz sprach mit Kretschmer und Voigt, und in seiner Umgebung heißt es, am Ende sei er mit der Publikation einverstanden gewesen.

Zusammen, aber nicht im Gleichschritt: Mario Voigt, Michael Kretschmer und Friedrich Merz bei einer Wahlkampfveranstaltung im September.dpa

Heute sehen führende CDU-Leute in Berlin mit Erleichterung, dass diese Brücke für die Freunde im Osten offenbar hält. Anders als Woidke in Potsdam hat sich Voigt in Erfurt vom BSW nicht bewegen lassen, den eigenen Kanzlerkandidaten zu beschädigen. Im Gegenzug bestätigt der Obmann der Union im Auswärtigen Ausschuss, Jürgen Hardt, im Gespräch mit der F.A.S., der gemeinsam mit Kretschmer und Woidke veröffentlichte Text bewege sich „innerhalb des Spektrums“ der CDU. „Eine Linie wäre dann überschritten, wenn aus der CDU heraus gefordert würde, die Waffenlieferungen an die Ukraine zu reduzieren.“

Zumindest an der Oberfläche ist der Parteifriede damit gesichert. Manche Freunde der Ukraine warnen zwar im Stillen immer noch davor, Kretschmer oder Laschet nach dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ allzu viel Vertrauen zu schenken, aber öffentlich folgt man dem Motto „leben und leben lassen“. Kretschmer zum Beispiel sagte unlängst dem „Tagesspiegel“, es gebe zwar unterschiedliche Meinungen über den Weg zum Frieden, aber das sei „legitim“ und eine Auszeichnung für die „Volkspartei CDU“.

Am anderen Ende des Spektrums rät auch Kiesewetter, „Differenzen in der Tonlage“ nicht allzu wichtig nehmen. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende An­dreas Jung, der mit Kretschmer im Parteipräsidium sitzt und mit Kiesewetter in der Landesgruppe Baden-Württemberg, kommt zu der salomonischen Bewertung, beide stünden „inmitten der Partei, nicht irgendwo am Rand“. Merz aber habe „für seine klare Linie zur Unterstützung der Ukraine eine breite Mehrheit in der Union“.

Allerdings ist immer noch einiges zu klären. Merz nämlich betont immer wieder, dass Deutschland angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine alles tun muss, um bei den Wehrausgaben das Zweiprozentziel der Nato zu halten. Und er nennt auch Zahlen: Nach seiner Ansicht muss der Verteidigungsetat in den nächsten fünf Jahren um 40 Milliarden Euro auf fast das Doppelte wachsen, wenn die Marke nicht verfehlt werden soll.

Das Schuldentabu wackelt

In der Union wird jetzt darüber diskutiert, wie das gehen soll. Die Standardantwort ist heute, Deutschland müsse nur an anderen Stellen sparen und außerdem die Wirtschaft ankurbeln, dann könne man das Geld schon aufbringen. Die Schuldenbremse, eines der Markenzeichen der Union, bliebe dabei intakt. Es gibt aber auch abweichende Meinungen. Kiesewetter zum Beispiel hat schon im Frühjahr festgestellt, Russlands Krieg gegen die Ukraine lasse sich nur „mit Schulden“ gewinnen. Diese Äußerung war damals einer der Gründe für seinen bis heute nicht ganz ausgeheilten Disput mit Friedrich Merz.

Jetzt aber zeigt sich, dass Kiesewetter nicht allein ist. Nur wenige Stunden, nachdem Merz im Bundestag seine programmatische Rede gehalten hatte, sagte kein Geringerer als dessen Stellvertreter Wadephul auf einer Ukraine-Veranstaltung des „Zentrums Liberale Moderne“, man müsse sich angesichts der heutigen Lage fragen, „ob wir nicht neue Mittel aufnehmen müssen“.

Näheres wollte Wadephul damals auch auf Nachfrage nicht sagen, aber andere Unionsabgeordnete haben sich seither ähnlich geäußert. Zu ihnen gehört bei der CDU Knut Abraham, der Obmann der Union im Ausschuss für Menschenrechte, und bei der CSU Thomas Silberhorn, Fachsprecher der Fraktion für transatlantische Beziehungen und gewesener Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Abraham sagt über das Für und Wider künftiger Kredite zur Finanzierung der Bundeswehr, seiner Ansicht nach dürfe man „nichts ausschließen“. Man dürfe sich nicht „die Hände binden“, und alle Varianten müssten „durchdacht“ werden. „Wenn man vorher alles Mögliche ausschließt, nimmt man sich politischen Spielraum.“

Friedrich Merz zu Besuch beim ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Mai 2022.dpa

Silberhorn, der vielleicht erfahrenste Verteidigungspolitiker der CSU im Bundestag, weist darauf hin, dass das 2022 beschlossene „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr mittlerweile „fast vollständig verplant“ ist. Wenn das Zweiprozentziel der NATO erreicht werden solle, müsse man ab 2026 den Wehretat mehrere Jahre lang jährlich „um zehn Milliarden Euro aufstocken“. Weil aber „kein Mensch“ bisher erklärt habe, „wo dieses Geld in so kurzer Frist herkommen soll“, sei für die „Differenz“ eine „Interimsfinanzierung“ nötig. „Wie man das macht, müssen wir noch sehen.“

Solche Überlegungen sind bei Weitem nicht Konsens in der Union. Der Sprecher der Fraktion im Verteidigungsausschuss zum Beispiel, ein CSU-Mann namens Florian Hahn mit großer Nähe zu Parteichef Markus Söder, will von Krediten oder Extratöpfen nichts wissen. „Wir sind hier sehr klar“, sagt er der F.A.S. „Neue Sondervermögen oder neue Schulden lehnen wir auch zur Finanzierung der Landesverteidigung oder der Hilfen für die Ukraine ab.“ Wenn Deutschland durch eine „Verschuldungsspirale“ den Euro ruiniere, würde Putin sich „auf die Schenkel hauen“.

Das klingt, als seien sich alle einig. Mittlerweile hinterlässt die Diskussion aber selbst in der CSU Spuren in offiziellen Texten. CDU-Abgeordneten ist aufgefallen, dass die bayerische Schwesterpartei auf ihrem Parteitag Anfang Oktober einen Leitantrag beschlossen hat, der zwar neue „Sondervermögen“ zur Finanzierung der Bundeswehr ausschließt, aber zu sonstigen Krediten gar nichts sagt.

Wie die F.A.S. erfahren hat, ist das kein Zufall. Ursprünglich nämlich hatte Hahn als zuständiger Fachpolitiker für den CSU-Leitantrag einen Satz vorgeschlagen, der sowohl „Sondervermögen“ als auch sonstige „Kredite“ abgelehnt hätte. Einige Fachleute, unter ihnen Silberhorn, haben dann aber darum gebeten, „Kredite“ nicht auszuschließen, und tatsächlich wurde das Wort gestrichen.

Und Merz? Der gemeinsame Fraktionschef von CDU und CSU hält sich bedeckt. Auf die Frage der F.A.S., ob auch er darüber nachdenke, zur Unterstützung der Ukraine „neue Mittel“ aufzunehmen, teilte ein Sprecher mit: „Wir bitten höflich um Verständnis, dass Friedrich Merz sich dazu derzeit nicht äußern möchte.“

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