Union und SPD mit kuriosem Streit um Flüchtlinge – wegen eines Wortes | ABC-Z

Berlin. Die künftigen Koalitionäre wollen Flüchtlinge an den Grenzen zurückweisen. Aber sie sind sich nicht einig, was genau sie vereinbart haben.
Es ist ein einziges Wort – doch es hat die Kraft, die Regierungsbildung von Union und SPD zu blockieren: Soll Deutschland Asylsuchende zur Not gegen den Willen der Nachbarländer an der Grenze zurückweisen? Das entscheidende Wort im Sondierungspapier sorgt jetzt für Streit – und zwar bevor überhaupt die Koalitionsgespräche begonnen haben. Wir erläutern, was dahinter steckt.
Flüchtlinge: Auf welche Maßnahmen haben sich Union und SPD geeinigt?
„Wir werden Migration ordnen und steuern und die irreguläre Migration wirksam zurückdrängen“, heißt es im Ergebnispapier von Union und SPD von diesem Wochenende. Insgesamt 13 Maßnahmen sollen dazu dienen – die umstrittenste ist Nummer zwei. Unter dem Punkt „Zurückweisung an den Staatsgrenzen“ heißt es: „Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen. Wir wollen alle rechtstaatlichen Maßnahmen ergreifen, um die irreguläre Migration zu reduzieren.“ Das entscheidende Wort heißt „Abstimmung“.
Warum gibt es jetzt Streit zwischen Union und SPD?
Weil die Einigung Spielraum bei der Deutung lässt: Viele in der Union hatten sich einen deutlich schärferen Kurs in der Asylpolitik gewünscht und deuten nun die Formulierungen in diese Richtung. Zurückweisungen an den Grenzen sollen „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“ passieren. Das soll ausdrücklich auch Asylsuchende betreffen, die nach aktuellem Recht zunächst ins Land gelassen werden müssen und erst nach Prüfung des Falls in das nach EU-Recht zuständige Land zurückgeschickt werden können. Neu wäre, dass man Asylsuchende direkt abweist – dazu müssten aber Länder wie Österreich oder Polen bereit sein, die Menschen zumindest vorerst auf dem eigenen Staatsgebiet zu behalten. Sollte die „Abstimmung“ darüber scheitern, wäre Merz‘ Wahlversprechen, irreguläre Migration durch harte Zurückweisungen zu beenden, gescheitert.
Die vier von der Groko: CDU-Chef Friedrich Merz (vorne links), die SPD-Chefs Saskia Esken und Lars Klingbeil sowie der CSU-Vorsitzende Markus Söder am Wochenende in Berlin. Nach den Sondierungen sollen jetzt Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden. Beim Thema Migration gibt es noch viel Gesprächsbedarf.
© Hans Christian Plambeck/laif | Hans Christian Plambeck/laif
Aus diesem Grund versucht nun der eine oder andere „Abstimmung“ als „einfach mal reden“ abzuschwächen. Einvernehmen sei nicht zwingend nötig. CDU-Vize Jens Spahn geht davon aus, dass es Zurückweisungen von Asylbewerbern künftig notfalls auch gegen den Willen der europäischen Partner geben werde. „Da steht nicht zustimmen, sondern in Abstimmung“, so Spahn. „Wir machen uns nicht abhängig von der Zustimmung der anderen Länder.“ Auch Merz selbst schloss deutsche Alleingänge nicht aus: Das stehe durchaus im Raum, sagte der CDU-Chef am Sonntag „Ich möchte einen gemeinsamen europäischen Weg gehen, aber für uns steht immer an erster Stelle die Sicherheit des eigenen Landes.“
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Was sagt die SPD dazu?
SPD-Chefin Saskia Esken reagierte alarmiert: Eine Zurückweisung von Asylbewerbern ohne Einverständnis der betroffenen Nachbarländer sei „brandgefährlich“, es widerspreche europäischen Vereinbarungen. „Wir haben etwas anderes vereinbart, und dabei bleiben wir auch.“
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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Esken wies damit die Lesart von Spahn ausdrücklich zurück. Sie warnte die Union vor dem Versuch, in der Migrationspolitik „mit dem Kopf durch die Wand zu gehen“. Das Thema müsse beim nächsten Treffen von Union und SPD geklärt werden. Die SPD fühle sich dabei von den Formulierungen zur Migrationspolitik in den Sondierungsergebnissen bestärkt: „Wir haben ein Sondierungspapier, in dem das ganz klar geregelt ist.“ Esken warnte zudem davor, dass unabgestimmte Zurückweisungen an den Grenzen schweren Schaden bei der europäischen Zusammenarbeit anrichten könnten. „Ich will sehr klar sagen, dass wir gerade in diesen Zeiten mit Putin auf der einen und Trump auf der anderen Seite es dringend notwendig haben, dass die Europäische Union geeint bleibt und geeint agiert.“

Ähnlich äußerte sich SPD-Innenministerin Nancy Faeser. Sie sagte dieser Redaktion, bei Zurückweisungen müsse Deutschland das europäische Recht beachten und in Abstimmung mit den Nachbarstaaten handeln. „Das ist entscheidend, damit diese Zurückweisungen nicht binnen kurzer Zeit von Gerichten gestoppt werden und damit sie auch praktisch funktionieren. Denn wenn unsere Nachbarstaaten Personen nicht zurücknehmen, scheitern die Zurückweisungen.“ Faeser betonte überdies, dass die Bundespolizei schon jetzt eng mit den Grenzpolizeien der Nachbarländer zusammenarbeite und dadurch unerlaubte Einreisen verhindere, Schleuser stoppe und Kriminelle an den Grenzen festnehme. „Nationale Alleingänge würden genau das aufs Spiel setzen.“

Personenkontrolle an der deutschen Grenze: Die Union um Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) will Asylbewerber umgehend in die Nachbarländer zurückweisen. Die Sozialdemokraten haben rechtliche und politische Bedenken.
© dpa | Peter Kneffel
Was ist rechtlich möglich?
Das müssen im Zweifel Gerichte entscheiden. Die noch amtierende Bundesregierung – inklusive der beteiligten Ministerien – sind der Auffassung, dass Zurückweisungen gegen den Willen der Betroffenen und der Nachbarstaaten nicht mit dem deutschen und dem europäischen Asylrecht zu vereinbaren sind. Beides erfordert, dass ein Asylantrag zumindest geprüft wird. Die Union ficht das nicht an. Sie hatte vor der Bundestagswahl stets argumentiert, dass Deutschland eine „Notlage“ erklären könne, um Menschen an den Grenzen zurückzuweisen.
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Was sagen die europäischen Partner?
Österreichs Regierung machte bereits deutlich, dass sie die deutschen Pläne zur Rückweisung von Asylbewerbern an der Grenze ablehnt – trotz grundsätzlicher Zustimmung zu einer restriktiveren Zuwanderungspolitik. Österreich werde solche Personen nicht annehmen, teilte das Innenministerium in Wien mit. Das ist bedeutend, weil viele Flüchtlinge versuchen, über den Balkan nach Zentral- und Westeuropa zu gelangen.