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Unicredit plant womöglich Commerzbank-Entgegennahme: Bundesregierung überrumpelt | ABC-Z

Der Griff der Unicredit nach der Commerzbank hat das Zeug zu einem politischen Wirtschaftskrimi. Die Italiener stellen ihr Vorgehen als natürlichste Sache der Welt dar, die niemanden überrascht haben dürfte, der mit der Materie befasst gewesen sei – auch nicht das politische Berlin. Doch dort sorgte diese Darstellung der Dinge für erstaunten Verdruss. „Die Bundesregierung hat vom Bestehen eines Anteils der Unicredit an der Commerzbank erst erfahren, als die Finanzagentur die Auktion bereits unumkehrbar gestartet hatte“, heißt es am Freitag in ihren Kreisen.

Auch eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums bestritt auf Nachfrage, dass es Kontakte mit Unicredit gegeben hat. „Ich kann keine Gespräche seitens der Bundesregierung bestätigen.“ Es sei Sache der Commerzbank, gegebenenfalls mit Anteilseignern zu sprechen.

Das passt nur zusammen, wenn der Bund tatsächlich erst zwischen Start und Abschluss des im Finanzjargon Accelerated Bookbuilding („ABB“) genannten Verkaufsverfahrens darüber informiert worden wäre, dass die italienische Bank schon Aktien besaß und mit dem Anteil des Bundes ihre Beteiligung an der Commerzbank auf ungefähr neun Prozent ausbauen würde – was nun die Tür für eine mögliche Übernahme durch die Italiener öffnet.

Der Bund hat sein Ziel nicht erreicht

Genau diesen Ablauf bestätigte der F.A.Z. am Freitag die Sprecherin der Behörde, die für den Bund die Kapitalmarkttransaktionen tätigt: „Die Finanzagentur hat gegen 17.30 Uhr das Bookbuilding gestartet. Erst kurz vor Closing hat die Finanzagentur davon Kenntnis erlangt, dass Unicredit bereits eine 4,5-prozentige Aktienbeteiligung an der Commerzbank hält. In einem solchen diskriminierungsfreien Verfahren, wie es eine ABB-Transaktion ist, kann eine solche Information keinen Einfluss auf die Zuteilung haben. Diese erfolgte allein nach wirtschaftlichen Kriterien. Die Unicredit hat bekanntermaßen das mit Abstand höchste Gebot abgegeben.“

Investmentbanker in Frankfurt geben zu, dass es für den Bund schwierig gewesen wäre, dem Höchstbietenden nicht den Zuschlag zu erteilen. Aber es sei auch offenkundig, dass der Bund sein eigentliches Ziel – die Commerzbank-Aktien an viele Anleger zu verkaufen und damit breit zu streuen – nicht erreicht hat. Der Bund hätte vielleicht vorher als Regel des Verkaufsverfahrens explizit festhalten sollen, dass kein Aktionär mehr als eine bestimmte Anzahl Aktien erhält. Stattdessen gingen alle Aktien an Unicredit, und die Commerzbank hat nun einen neuen Aktionär im Haus, der mit neun Prozent Anteil fast so viele Aktien besitzt wie der Bund selbst. Ihm gehören noch zwölf Prozent.

Unicredit konnte sich vorbereiten

Offenkundig hat Unicredit mit dem mit allen Wassern gewaschenen Investmentbanker Andrea Orcel an der Vorstandsspitze geschickt operiert. Das Wertpapierhandelsgesetz sieht vor, dass jemand, der Stimmrechtsanteile einer natürlichen oder juristischen Person aus Deutschland überschreitet oder unterschreitet, dies sowohl dem Emittenten als auch der Finanzaufsicht unverzüglich mitzuteilen hat. Unverzüglich heißt allerdings: spätestens innerhalb von vier Handelstagen. Die erste Schwelle bei drei Prozent hätte Unicredit also schon Ende vergangener Woche überschreiten können, ohne bis Dienstag eine Meldung abgeben zu müssen.

Unicredit konnte sich zudem vorbereiten. Der Bund hatte am 3. September, also eine Woche vor dem Aktienverkauf, angekündigt, dass er sich von seinem vor 16 Jahren in der Finanzkrise zur Stützung der damals taumelnden Commerzbank gekauften Staatsanteil von 16,5 Prozent schrittweise trennen wolle. Die Art und Weise, wie dann der Bund allerdings eine Woche später den Verkauf organisieren ließ, ruft in Frankfurt hinter vorgehalter Hand kritische Stimmen hervor. Schließlich zeige allein die Aktienkursreaktion der Commerzbank – ihr Wert legte nach dem bekannt gewordenen Einstieg von Unicredit um rund 20 Prozent zu –, dass der Bund seine Aktien zu einem höheren Preis hätte verkaufen können, allerdings nur, wenn er einer anderen Bank seine Aktien komplett verkauft.

Genau das wollte der Bund aber in den letzten 16 Jahren nicht – trotz vorhandenem Interesse nicht nur von Unicredit, sondern auch von französischen Banken wie BNP Paribas und Société Générale. Und das wollte der Bund allem Anschein nach auch am Tag des Verkaufes noch nicht.

Goldman Sachs und J.P. Morgan

Schließlich sind üblicherweise bei der vom Bund gewählten ABB-Auktion keine strategischen Investoren zugelassen. „Das Ziel des Verkäufers beim Accelerated Bookbuilding ist ganz klar: Er will seine Aktien breit streuen“, sagte am Freitag das Vorstandsmitglied einer Bank, die sich auch als eine den Verkauf orchestrierende Bank beworben hatte, aber nicht zum Zuge gekommen ist. Dass kein strategischer Investor zum Zuge kommen sollte, zeigt seiner Ansicht nach auch die ursprüngliche Mandatierung von Goldman Sachs neben J.P. Morgan als leitender Investmentbank des Verkaufsverfahrens. Goldman zog sich aber in dem Moment zurück, als Unicredit auftauchte. Denn Goldman berät gleichzeitig die Commerzbank strategisch – etwa wie sie sich gegen die Übernahme eines Konkurrenten wehren kann.

Dass sich Goldman Sachs den Verkauf für den Bund dennoch zutraute und im Voraus Verträge mit dem Bund unterschrieb, dass keine Interessenkonflikte bestehen, deutet nach Ansicht von Investmentbankern auch darauf hin, dass ein Verkauf an viele Anleger geplant war. Die Sprecherin der Finanzagentur sagte dazu der F.A.Z.: „In solchen Verfahren erfolgt die Auswahl der ,Bookbuilder‘ immer am Tage der Transaktion kurzfristig durch Ansprache von einer Vielzahl, in diesem Fall zehn, Investmentbanken, die grundsätzlich geeignet sind, eine solche Transaktion durchzuführen. Die Bank(en), die das beste Angebot abgeben, erhalten danach unmittelbar den Auftrag, die Transaktion durchzuführen. Ein Defense-Mandat für Goldman von der Commerzbank war der Finanzagentur nicht bekannt.“

Die Bundesregierung war und ist gehalten, beim Verkauf von Anteilen an der Commerzbank bestimmte Regeln peinlichst genau einzuhalten: Erstens muss sie die Interessen der Steuerzahler im Auge haben. Sie muss das Gebot der Wirtschaftlichkeit beachten. Zweitens muss sie alle Interessenten gleich behandeln. Der Verkauf muss diskriminierungsfrei über die Bühne gehen. Das ist eine Vorgabe aus dem EU-Beihilferecht. Kurzum, die Regierung darf die im Besitz des Bundes befindlichen Anteile nicht nach Gutdünken verkaufen. Und sie darf nicht einzelne Interessenten bevorzugen oder benachteiligen. Sie muss in dem ganzen Verkaufsprozess auf strikte Neutralität achten und grundsätzlich dem höchsten Angebot den Zuschlag geben.

Die Bundesregierung hat sich bisher bedeckt gehalten, was sie zu den weitergehenden Ambitionen der Italiener meint. Ohnehin ist erst einmal Unicredit am Zug. Bankchef Orcel hat die Commerzbank zur Zusammenarbeit eingeladen und deutlich gemacht, dass er sich einen Komplettkauf vorstellen kann. Die Bundesregierung hat sich allerdings verpflichtet, in den nächsten 90 Tagen keine weiteren Commerzbank-Aktien zu verkaufen. Unicredit kann allerdings an der Börse weiter zukaufen. Würde das den ungewünschten Ausverkauf eines Dax-Unternehmens bedeuten?

Wenn die deutsche Lufthansa bei Italiens Airline ITA einsteigen darf, warum sollte dann eine Bank aus Mailand nicht nach der Commerzbank greifen? Die Wirtschaftswissenschaftlerin Ulrike Malmendier wirbt für diesen Schritt. „Wenn Europa auf dem globalen Finanzmarkt mithalten will, darf die Branche nicht mehr so kleinteilig organisiert bleiben“, sagte sie. „Ich finde diese Kombination aus italienischer und deutscher Bank ganz schön.“

Die in Amerika lehrende Professorin, die Mitglied des Sachverständigenrates ist, hofft auf eine positive Rückkopplung: „Wenn sich die Banken schon selbst länderübergreifend organisieren, dann kann das die Kapitalmarkt- und Bankenunion in der EU anschubsen.“ Die Regierung dürfte auch darüber nachsinnen, was ein Verkauf über die Grenze für die Finanzaufsicht und Finanzstabilität bedeutet.

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