Unicredit kauft Anteil des Bundes an der Commerzbank und mehr | ABC-Z
Am 10. September nachmittags ließ die Bundesregierung ihrer Ankündigung aus der vorigen Woche Taten folgen. Mithilfe der mandatierten US-Bank J.P. Morgan bot der Bund an diesem Dienstagnachmittag ein erstes Aktienpaket aus seinem Bestand institutionellen Investoren wie Versicherern und Pensionskassen an: Ein Anteil von 4,5 Prozent an der Commerzbank soll in einem ersten Schritt verkauft werden, „diskriminierungsfrei“, wie es die EU-Kommission verlangt. Denn sie hat die Stützung der Commerzbank durch den Staat vor 16 Jahren mit 18,2 Milliarden Euro als Beihilfe gewertet. Beim Rückzug bewegt sich der Bund daher auf rechtlich dünnem Eis.
Vor einer Woche hatte der Bund noch offengelassen, ob er seinen Bestand von 16,5 Prozent an der Commerzbank verringert, indem er sich mit immer wieder eingestreuten Aktienverkäufen über die Börse davon trennt; oder ob größere Aktienpakete geschnürt und im außerbörslichen Handel Angebote dafür von institutionellen Investoren in einem „accelerated bookbuilding“ eingeholt und dann die Aktien aus dem Paket an mehrere Anleger mit den höchsten Geboten zugeteilt werden.
„Was für ein schlechtes Timinig“
Kurz nachdem sich der Bund entschieden hatte, Gebote einzuholen, und darüber auch kurz vor 18 Uhr am Dienstag die Öffentlichkeit informiert hatte, platzte kurz danach diese Nachricht in den Handelssaal: Der seit Anfang 2021 amtierende 59 Jahre alte Vorstandschef Manfred Knof, der die Commerzbank saniert hat, verzichtet aus nicht näher ausgeführten „persönlichen Gründen“ auf eine zweite Amtszeit und steht dem Kreditinstitut nur noch bis Ende 2025 zur Verfügung. Ein Beteiligter, der beim Aktienverkauf des Bundes durch das Bookbuilding dabei war, erzählt: „Wir haben uns angeschaut und gestöhnt: was für ein schlechtes Timing. Aber dann haben wir uns gesagt: Das ziehen wir jetzt durch.“
Es bleibt nicht der einzige Zufall und die einzige Überraschung an diesem Abend. Denn die vom Bund angebotenen Aktien werden nicht wie geplant breit gestreut an verschiedene Aktionäre verkauft. Vielmehr geht das Paket mit 4,5 Prozent aller Commerzbank-Aktien an einen einzigen Bieter: Unicredit. Die italienische Bank habe alle übrigen Angebote institutioneller Investoren deutlich überboten, teilte die Deutsche Finanzagentur, die das Kapitalmarktgeschäft des Bundes betreut, gut eine Stunde nach Mitternacht mit. Als die Nachricht am Mittwochmorgen am Finanzmarkt gerade die Runde machte, wird die Überraschung noch größer. Unicredit teilt mit, die italienische Bank besitze nicht nur 4,5 Prozent, sondern sogar „ungefähr 9 Prozent“ an der Commerzbank.
Unter Umgehung der 3-Prozent-Meldeschwelle hat Unicredit offenbar fast gleichzeitig mit dem Kauf der Aktien vom Bund weitere Commerzbank-Aktien über die Börse gekauft. Für die erste Hälfe zahlte sie dem Bund 13,20 Euro je Commerzbank-Aktie. Das ist deutlich mehr als der letzte Börsenkurs am Dienstag von 12,60 Euro.
Üblicherweise lassen sich größere Aktienpakete nur mit einem Abschlag bei Anlegern unterbringen. So waren die vom Bund beauftragten Investmentbanken dem Vernehmen nach mit einem Zielkurs von 12,48 Euro je Commerzbank-Aktie in den Markt gegangen. Dank des großen Interesses von Unicredit nimmt der Bund nun nicht 663 Millionen Euro, sondern 702 Millionen Euro. Das ist in etwa die Hälfte dessen, was der Bund über die Jahre für die Commerzbank bezahlt hat, gut 26 Euro im Durchschnitt je Aktie. So weit, so erfreulich.
Aber darüber hinaus stellen sich für den Bund jetzt Fragen: Wie soll es weitergehen mit dem verbliebenen Staatsanteil von 12 Prozent an der Commerzbank, nachdem Unicredit nun mit 9 Prozent zu einem fast genauso großen Aktionär herangewachsen ist? Zwar hat sich der Bund verpflichtet, erst einmal 90 Tage lang keine weiteren Commerzbank-Aktien zu verkaufen. Doch Unicredit hat, zur Untermauerung des Interesses an weiteren Aktienpaketen, schon einmal bei der Finanzaufsicht den Antrag gestellt, den Anteil an der Commerzbank auf mehr als 9,9 Prozent ausdehnen zu dürfen. Wie steht man dazu in Berlin? Es gibt dazu eine lange Vorgeschichte: Bisher war Unicredit schlicht nicht erwünscht.
Wie der Bundesregierung nahestehende Finanzkreise der F.A.Z. berichten, haben Vertreter der italienischen Bank erst im vergangenen Jahr im Bundesfinanzministerium Interesse am Kauf des gesamten Staatsanteils der Commerzbank signalisiert – und sind abgeblitzt. Dass Unicredit, zu der die Münchener Hypo-Vereinsbank gehört, die Commerzbank immer mal wieder kaufen wollte, ist bekannt. Investmentbanker erinnern sich, dass sie schon vor der Finanzkrise mit Unicredit-Vertretern einen Kauf der Commerzbank durchgespielt haben. Insofern werden diese Übernahmespekulationen nun konkret, zur Freude der Börse. Dort stieg der Aktienkurs der Commerzbank am Mittwoch um satte 17 Prozent auf 14,75 Euro.
Die Commerzbank reagierte in einer Mitteilung allerdings äußerst zurückhaltend auf den neuen Aktionär, mit dem es in Deutschland durch die im Süden und Norden starke Hypo-Vereinsbank Überlappungen im Filialnetz und im Firmenkundengeschäft gibt. Die Gewerkschaft Verdi lehnt daher auch eine Übernahme der Commerzbank durch Unicredit ab und fordert den Bund auf, diese mit seinem verbliebenen Anteil zu verhindern. Verdi befürchtet einen Stellenabbau und Filialschließungen, schließlich hat Unicredit die Hypo-Vereinsbank gerade erst zum Jahresende 2023 von einer Aktiengesellschaft in eine günstigere Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) umgewandelt. „Bundesfinanzminister Christian Lindner muss jetzt ein klares Bekenntnis zum Standort Deutschland abgeben und sich der drohenden Übernahme der Commerzbank durch die Unicredit entgegenstellen“, sagte Verdi-Chef Frank Werneke.
Tatsächlich wären die Größenverhältnisse klar: Unicredit ist an der Börse 60 Milliarden Euro wert, die Commerzbank 17 Milliarden Euro. Unicredit versprach allerdings in seiner Mitteilung, Mehrwert für alle Interessengruppen in beiden Banken durch Zusammenarbeit schaffen zu wollen. Die Aktie von Unicredit legte anfangs am Mittwoch etwas zu, am Mittag war der Kurs mit 37 Euro nahezu unverändert.
Dabei hätte ein Kauf der Commerzbank auch für Unicredit Vorteile, meinen Aktienanalysten. Aus der Sicht der US-Bank KBW etwa macht ein kompletter Kauf der Commerzbank durch Unicredit strategisch und finanziell Sinn. So werde die Commerzbank stärker unter Buchwert gehandelt als Unicredit, und Unicredit habe trotz der Tochtergesellschaft Hypo-Vereinsbank in Deutschland einen für ihre Verhältnisse kleinen Marktanteil.
Der Unicredit-Vorstandsvorsitzende Andrea Orcel wird denn auch seit Jahren nach möglichen Übernahmen gefragt. Im März sagte er auf einer Konferenz, dass er nach Verwendungen suche, die mindestens eine „interne Rendite“ von 15 Prozent bringen. Wenn er keine entsprechende Verwendung finde, würde er sein Überschusskapital an die Aktionäre zurückgeben – so wie er das in den vergangenen Jahren in großem Umfang getan hat. „Aber ich wäre enttäuscht, wenn es so enden würde, denn das würde bedeuten, dass ich keinen rentablen Weg gefunden habe, es zu investieren“, sagte Orcel. Der italienische Bankmanager, der bis zu seinem Antritt bei Unicredit vor fast dreieinhalb Jahren viele Jahre das Investmentbanking der Schweizer Bank UBS verantwortete, bezifferte das Überschusskapital Unicredits im März auf 6 bis 7 Milliarden Euro unter Berücksichtigung der Eigenkapitalregeln „Basel IV“.
Damit ist das Kapital gemeint, das eingesetzt werden kann, ohne Mindestwerte der finanziellen Reserven zu unterschreiten. Tatsächlich wird immer wieder behauptet, Beteiligungen an anderen Banken seien für Banken seit der Finanzkrise nicht mehr attraktiv, weil sie mit teurem Eigenkapital unterlegt werden müssen.
Unicredit verfügt aber eben über sehr umfangreiche Mittel für Transaktionen wie den Einstieg bei der Commerzbank. Diese Operation senke das Kerneigenkapital (CET1) von zuletzt 16,2 Prozent nur um 0,15 Prozentpunkte, teilte die Bank mit. Die aktuelle Dividendenpolitik und die seit Langem verfolgte Strategie des Aktienrückkaufs werde dadurch nicht beeinträchtigt, hieß es.
Im ersten Halbjahr erzielte Unicredit einen Umsatz von 12,7 Milliarden Euro, wovon gut 22 Prozent von der HVB stammten. Etwa im gleichen Umfang trug die deutsche Tochtergesellschaft auch zum Nettogewinn bei, der im Konzern 7,3 Milliarden Euro erreichte. Das zweite Quartal 2024 war das 14. Quartal hintereinander, in dem die Unicredit ihren Gewinn erhöhte. Die Bank macht ihren größten Gewinn in Italien, danach folgt Deutschland. Zudem ist die Unicredit mit der Bank Austria in Österreich sowie in mehreren osteuropäischen Ländern vertreten. In Polen, wo die Commerzbank mit der M-Bank vertreten ist, hat Unicredit gerade die Präsenz mit dem Kauf einer Bank erweitert.
Die größten Überlappungen gibt es in Deutschland, wo sich das Geschäft von Unicredit zuletzt etwas eingetrübt hat. Im zweiten Quartal ging der Umsatz der HVB gegenüber dem Vorquartal um 4,6 Prozent auf 1,4 Milliarden Euro zurück. Der Nettogewinn ließ in diesem Zeitraum um 7,5 Prozent auf 773 Millionen Euro nach.
An der Börse eilt die Unicredit von Erfolg zu Erfolg. Seit Jahresbeginn liegt die Aktie mit 45 Prozent im Plus; die Anleger bewerten die Bank derzeit mit 60 Milliarden Euro; in Italien ist nur der Konkurrent Intesa Sanpaolo mehr wert. Seit der Ernennung von Orcel zum Unicredit-Chef hat sich der Wert der Bank an der Börse mehr als verdreifacht.