Unglück in Dresden: Warum Deutschlands Brücken zerbröseln | ABC-Z
Der Einsturz der Dresdner Carolabrücke hat drastisch vor Augen geführt, was passieren kann, wenn die Infrastruktur marode ist. Der Bundestag steckt mitten in schwierigen Verhandlungen um den Haushalt 2025, die Kassen der Kommunen sind klamm, da liegt die Frage nahe: Hat dieser Umstand vielleicht dazu beigetragen, dass jetzt passierte, was irgendwann einmal passieren muss, wenn zu wenig in die Infrastruktur investiert wird? Der Deutsche Städtetag widerspricht dieser Vermutung entschieden. „Unsere Brücken in Deutschland werden regelmäßig und gründlich überwacht“, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy der F.A.Z. Er spricht von einem unglaublichen Glück, dass bei dem Brückeneinsturz in Dresden niemand verletzt wurde. Für ihn hat jetzt die Ursachenprüfung Priorität.
Die Carolabrücke stammt aus den Siebzigerjahren, wurde also in der DDR-Zeit gebaut. Dass sie in keinem guten Zustand ist, war hinlänglich bekannt. Schon seit Jahren wird sie abschnittsweise saniert, der nun eingestürzte Abschnitt sollte im nächsten Jahr saniert werden. Außerdem waren Bauarbeiten zur Fahrbahnerweiterung im vollen Gange. Derzeit wird vermutet, dass Korrosionen verantwortlich sein könnten. Eigentlich gehören Brücken zu den am besten kontrollierten Bauwerken im Land: Alle drei Jahre werden sie eingehend geprüft und zweimal im Jahr gründlich in Augenschein genommen. Weshalb dies einen Zusammenbruch nicht verhindern konnte, ist noch unklar.
Die Politik dürfte der Vorfall nicht unvorbereitet treffen – auch wenn ein Einsturz nur sehr selten vorkommt. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) dürfte sich an den Beginn seiner Amtszeit erinnert fühlen, als in Nordrhein-Westfalen die Talbrücke Rahmede innerhalb weniger Stunden gesperrt werden musste, nachdem eine Routinekontrolle zu schwerwiegenden Sicherheitsbedenken führte. Die zuständige Autobahn GmbH ist die notwendige Sprengung der Autobahnbrücke und den sich daran anschließenden Neubau zügig angegangen; für die Menschen vor Ort ist das jedoch nur ein kleiner Trost: Seit Dezember 2021 versinken das Sauerland und insbesondere die Stadt Lüdenscheid im Verkehrschaos.
4000 Brücken sollten saniert oder erneuert werden
Zu Wissings Zuständigkeitsbereich gehört die Autobahn GmbH, die alle Autobahnen und Bundesfernstraßen verwaltet, instand hält und erneuert – inklusive rund 40.000 Brücken. Wie viele solcher Bauwerke es insgesamt in Deutschland gibt, ist unklar. Auf kommunaler Ebene kommen noch einmal 67.000 hinzu, zudem weitere von der Deutschen Bahn und den Ländern. Aufgescheucht durch die Zustände im Sauerland hat Wissing eine Bestandsaufnahme erstellen lassen, die zum Ergebnis kam, dass in den nächsten zehn Jahren rund 4000 Brücken in Deutschland entweder saniert oder erneuert werden müssen. Das „Brückenprogramm“ läuft seitdem auf Hochtouren: In diesem Jahr werden rund 220 Bauwerke fertiggestellt, heißt es bei der Autobahngesellschaft.
Der Fall der Dresdner Carolabrücke ist davon jedoch nicht erfasst. Als kommunales Bauwerk fällt es in die Zuständigkeit der Stadt Dresden. Ähnlich wie im Bund ist auch hier die Not groß: Sowohl der Zustand der Bauwerke als auch die Finanzlage der Kommunen sind nicht gut. Im vergangenen Jahr verschlechterte sich die Situation der kommunalen Haushalte um 8 Milliarden Euro, sie rutschten damit spürbar ins Defizit. Die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben betrug 6,2 Milliarden Euro. In diesem Jahr erwarten die kommunalen Spitzenverbände ein Rekorddefizit von 13,2 Milliarden Euro, und in den nächsten beiden Jahren dürfte es weiter steigen. Neue Investitionen können nach Einschätzung der kommunalen Spitzenverbände praktisch nicht mehr beschlossen werden. Gerechnet wird mit einem stärkeren Rückgang der kommunalen Bauinvestitionen: von 34,5 Milliarden Euro in diesem Jahr auf weniger als 29,7 Milliarden Euro im Jahr 2027.
Das Deutsche Institut für Urbanistik sieht zugleich in den deutschen Städten, Landkreisen und Gemeinden einen riesigen Investitionsbedarf, was Erhalt und Erweiterung von Schienennetzen, Straßen und Wegen betrifft. Es beziffert ihn auf rund 372 Milliarden Euro bis 2030. In der Studie, die das Institut vor einem Jahr veröffentlicht hat, heißt es: Der Zustand der kommunalen Straßenbrücken habe sich gegenüber dem Jahr 2013 nicht wesentlich verbessert. „Fast jede zweite Straßenbrücke ist in keinem guten Zustand.“ Immerhin: Der Befund bei den Brücken des öffentlichen Personennahverkehrs ist besser. „Der bauliche Zustand von etwa zwei Dritteln der ÖPNV-Ingenieurbauwerke ist neuwertig oder gut“, schrieb das Institut.
Viele Brücken aus den Siebzigerjahren
Auch die Interessensverbände der Bauwirtschaft klagen seit Langem über einen „gigantischen Sanierungsstau“. Dass die Sanierungen nur schleppend vorangingen, liege entgegen landläufigen Meinungen nicht an den Unternehmen, klagte der Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (HDB), Peter Hübner, schon vor zwei Jahren im Gespräch mit der F.A.Z. „Die öffentlichen Bauverwaltungen müssen viel effizienter werden, die Bürokratie ist unerträglich“. Die öffentlichen Auftraggeber lenkten von der eigenen Misere ab. An Brennpunkten wäre nach Hübners Worten auch Bauen-rund-um-die-Uhr kein Thema: „Aber es passiert nicht, weil es den öffentlichen Auftraggebern zu teuer ist und weil sie selbst für Sonntage oder nachts keine Bauüberwachung hinbekommen, auch nicht digital.“
Die meisten Brücken, die jetzt im Eiltempo saniert werden müssten, seien erst in den Siebzigerjahren gebaut worden. „Damals wurden Brücken leider hyperoptimiert. Die Betondeckung auf dem Stahl war viel zu gering. Der Stahl ist dann auch schnell gerostet. Das würde man heute ganz anders bauen“, sagte Hübner. Ein weiteres Problem: Seitdem hat der Verkehr erheblich zugenommen, und die Lkws sind wesentlich schwerer geworden. Das führt dazu, dass die Bauwerke deutlich schneller sanierungsbedürftig sind als ursprünglich geplant.