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Ungleichheit: So ungerecht ist Deutschland | ABC-Z

Was ist schon gerecht? Allein über diese Frage zerbrechen sich Philosophen seit Jahrhunderten den Kopf. Ist es beispielsweise fair, wenn ein paar Menschen einen großen Teil des weltweiten Vermögens auf sich vereinen? Die einen sagen „Ja“, immerhin haben diese Superreichen (oder ihre Vorfahren) häufig ein Risiko auf sich genommen, zum Beispiel ein Unternehmen gegründet, und damit Arbeitsplätze geschaffen. Nein, zu viel ist zu viel, sagen die an­deren.

Die Emotionen gehen hoch her, sobald sich eine Bevölkerungsgruppe benachteiligt fühlt – und das beschränkt sich nicht nur auf die Ärmsten im Land. Die Mittelschicht sorgt sich, dass sie ihren Status verliert. Die Reichen be­klagen, dass die Steuerlast übermäßig hoch ist.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Auch im Wahlkampf schwang die Frage der Gerechtigkeit immer ­wieder mit, auch wenn sie selten explizit angesprochen wurde. Wie hoch darf das Bürgergeld höchstens sein, damit genug Anreiz zum Arbeiten besteht? Wer soll für Aufrüstung und Infrastruktur be­zahlen?

In der Frage um die Gerechtigkeit ­stehen in der Wissenschaft drei Messgrößen im Fokus: Einkommen, Vermögen und Aufstiegschancen. Zum Teil wird Deutschland gerechter, aber eben nicht überall.

Die Vermögen – dazu zählen neben dem verfügbaren Geld auf dem Konto auch Immobilien, Aktien oder sonstige Sachwerte – werden in Deutschland nicht ungleicher. Das Verhältnis zwischen Arm und Reich stagniert, entgegen der oft vorgetragenen Behauptungen. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Vermögen in Deutschland ungleicher verteilt sind als im europaweiten Schnitt. 

Betrachtet man die Entwicklung der Löhne über die ver­gangenen Jahrzehnte hinweg, zeigt sich dagegen Erfreuliches. Besonders die unteren zehn Prozent der Einkommen haben deutliche Steigerungen gesehen, wie eine Analyse des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW verdeutlicht. In den vergangenen zehn Jahren hat diese Gruppe überdurchschnittlich von Lohnzuwächsen profitiert. Arbeitskräfte waren schließlich gefragt, das hat sehr geholfen, auch der Mindestlohn wurde eingeführt.

Die Löhne haben sich also angeglichen, das verfügbare Einkommen aber ist ungleicher geworden. Die reicheren Haushalte haben deutlich mehr Geld zur Verfügung als früher, die ärmeren haben nur leicht gewonnen. Das überrascht, würde man doch eigentlich meinen, dass die Lohnzuwächse die Lücke zwischen den Einkommen reduzierten. Verteilungsforscher Markus Grabka kennt die Gründe. So zählt zum Einkommen nicht nur der Lohn, sondern auch Einkünfte aus Kapitalanlagen wie Aktien und aus Vermietung. Diese haben in den vergangenen Jahren stark an Wert gewonnen.

Vor allem die Wohlhabenderen können es sich leisten, einen relativ großen Teil ihres Geldes an der Börse anzulegen, und profitieren so von den Wertzuwächsen. Und noch ein weiterer Punkt spielt eine Rolle, nämlich die hohe Zuwanderung. Viele Migranten müssen warten, bis sie einer Arbeit nachgehen dürfen, ihre Berufsabschlüsse anerkannt werden und sie die Sprache erlernt haben. Dadurch ist ihr Haushaltseinkommen nicht sonderlich hoch.

Doch die Lage dürfte sich bessern: Die positive Entwicklung bei den Löhnen schlage immer mehr auf die Haushaltseinkommen durch, sagt Grabka. Dadurch könne sich der Unterschied zwischen den Einkommensklassen verkleinern.

Die Lösung scheint in der öffentlichen Diskussion ohnehin oft klar zu sein: Wer mehr Geld haben möchte, soll einfach mehr arbeiten. In einer Analyse sind Forscher des Ifo-Instituts deshalb der Frage nachgegangen, inwiefern sich Arbeit lohnt – und wie sinnvoll es ist, ein höheres Einkommen anzustreben, etwa durch mehr Arbeitsstunden oder einen Jobwechsel. Die Experten haben dazu für Alleinstehende und Familien verglichen, wie viel ihnen von unterschiedlichen Bruttoeinkommen tatsächlich im Geldbeutel bleibt.

Das Ergebnis: In vielen Gehaltsstufen lohnt es sich deutlich, mehr zu arbeiten. Doch gerade bei den mittleren Einkommen ist die Abwägung oft nicht so klar, so auch in folgendem Beispiel: Ein Paar mit zwei Kindern entscheidet, dass beide Partner arbeiten gehen. Sie zahlen eine mittlere Miete und erhalten die ihnen zustehenden staatlichen Unterstützungen wie etwa Kindergeld. Bei einem gemeinsamen Bruttoeinkommen von 3500 Euro haben sie 3139 Euro zur Verfügung. Steigern sie ihr Einkommen um 1500 Euro, haben sie nur etwas mehr als 100 Euro zusätzlich in der Tasche. Ob sich das angesichts des Aufwands für die Kinderbetreuung lohnt, lässt sich diskutieren.

Wie sehr kann man sich den sozialen Aufstieg und ein hohes Vermögen erarbeiten? Das britische ­Magazin „Economist“ rief jüngst den Übergang in eine Erbengesellschaft aus, in der Erbschaften wichtiger werden als die Karriere. Auch in Deutschland erben einige wenige Leute sehr viel, ein großer Teil erhält von den Eltern relativ geringe Beträge. Nur ein Prozent erbt mehr als fünf Millionen Euro. An dieser Entwicklung dürfte sich auch künftig wenig ändern, zumal Erbschaften immer höher ausfallen.

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Wohlhabende können ihrem Nachwuchs auch leichter den ­Zugang zu höherer Bildung ermöglichen. Dass Kinder aus gebildeten oder wohl­habenden Familien eher Abitur machen, hat eine Studie bestätigt, die im Jahr 2024 ver­öffentlicht wurde. Gleichzeitig aber ändert sich etwas zum Positiven. Kinder aus einkommensschwachen Familien sind zumindest stärker auf dem Gymnasium vertreten als früher, so die Studie.

Zudem gaben im vergangenen Jahr 14,4 Millionen Menschen an, dass sie ihre eigene soziale Stellung besser einschätzen als die ihrer Eltern. Das ist eine Million mehr als 2023. Wenn das mal kein kleiner Hoffnungsschimmer ist.

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