Ungeschönter Blick auf das Leben auf dem Land: „Milch ins Feuer“ | ABC-Z

Berlin. Mit „Milch ins Feuer“ ist der Regiedebütantin Justine Bauer ein sehr ungewöhnlicher Film gelungen, mit einer ganz eigenen Bildsprache.
„Ha, so isch’s halt.“ Wann wurde zuletzt so Dialekt gesprochen im deutschen Film? Wenn das auch nur im Ansatz geschieht, ist das eigentlich immer ein Indiz für eine Komödie. Für Stereotype, und meist noch für engstirnige Figuren. Nicht jedoch in „Milch ins Feuer“, der am 7. August startet und wohl einer der ungewöhnlichsten Filme sein dürfte, die dieses Jahr ins Kino kommen.
„Milch ins Feuer“: Blick auf drei Generationen von Frauen auf einem Hof
Ungewöhnlich, weil er vom Leben auf dem Land erzählt. Fast dokumentarisch. Und ohne jeden Heimatfilmschmelz. Rau geht es hier zu. Zupacken muss man. Und zimperlich darf man nicht sein. Und doch lohnt sich das alles kaum. Wir erleben das Alltagslaben auf einem Hof, auf dem drei Generationen von Frauen leben. Katinka ist die älteste von drei Töchtern und gerade mit der Schule fertig.
Sie möchte wie die Mutter Marlies auf dem Hof arbeiten und geht ihr schon jetzt beim Melken, Heuen und selbst beim Kastrieren der Alpakas zur Hand. Doch anders als die meisten Bauern wünscht sich die Mutter eine andere Zukunft für ihre Tochter. Als Verkäuferin im Supermarkt hätte sie ein besseres Leben, so ihre ernüchternde Erkenntnis. Wo doch immer mehr Höfe aufgeben, weil die Landwirtschaft nicht mehr rentabel ist.
Lesen Sie auch: Schauspielerin Fritzi Haberlandt über ihren neuen Film „Wilma will mehr“
Dennoch arbeiten sie traut zusammen. Verbringen auch sonst viel Zeit miteinander. Und mit der Großmutter. Weit und breit aber ist kein Mann zu sehen. Und scheint hier auch niemandem zu fehlen. Der Bauer von nebenan macht nur Scherereien. Wie seine Verzweiflungstat, dass er Strohballen anzündet und dann mit der eigenen Milch löscht, um gegen den Preisverfall für Milch zu protestieren.
Es gibt nur wenige Männer hier, und auf die kann man nicht zählen
Ein Schrei, der verhallt, weil kaum ein Pressevertreter dafür rausfährt. Weshalb der Bauer bald mit einem Strick zum Baum geht. Was die Frauen eher stoisch hinnehmen. Weil der Bauer eh etwas schräg war. So wie das die wenigen Männer hier alle scheinen. Auch der Junge, der Rebekkas beste Freundin Anna geschwängert hat, scheint damit überfordert. Und benimmt sich fast selbst noch wie ein Kind.
Ein sehr genauer und sehr desillusionierender Blick auf das Landleben, ein krasser Kontrapunkt zur grassierenden Romantik der Stadtflucht. Und obendrein ein sehr weiblicher Blick auf ein Gewerbe, das immer noch weitgehend erst mal mit Männern in Verbindung gebracht wird. Man könnte den Film lange für eine Doku halten. Würde man nicht Johanna Wokalek als Bäuerin erkennen.
Lesen Sie auch: 50 Jahre „Jaws“: An diesem Haifisch nagt kein Zahn der Zeit
Gedreht wurde im veralteten 4:3-Format, in dem die Figuren absichtsvoll angeschnitten werden.
© Filmperlen | Filmperlen
„Milch ins Feuer“ ist das Spielfilmdebüt von Justine Bauer, die an der Kunsthochschule für Medien Köln (KMK) Regie und Drehbuch studiert hat und diesen Film als Abschlussarbeit vorlegte. Ihr Nachname klingt fast ironisch, aber Bauer weiß genau, was sie da geschrieben und gedreht hat. Sie wuchs auf einer Straußenfarm auf. Sie kennt sich in der Landwirtschaft aus. Weiß auch von deren Krisen. Und spart sie nicht aus.
Und dann geht der Bauer mit dem Strick zum Baum
Präzise beobachtet Bauer ihre Figuren. Nicht in Spannungsdramaturgie. Sondern in einzelnen Alltagsbeobachtungen, die sie nüchtern nebeneinander stellt. Dabei verwendet sie das veraltete 3:4-Bildformat, wie um die Welt ihrer Protagonistinnen auch formal einzuengen. Und lässt sie dabei doch aus dem Rahmen fallen. Buchstäblich – wenn die Figuren teils außerhalb des Bildes agieren oder stark angeschnitten sind. Und im übertragenen Sinn, wenn die Mädchen kleine Ausbruchsversuche wagen.
Wie Katinkas Freundin, die eigentlich weg will, aber dann durch ihre Schwangerschaft an den Vater und damit an die Gegend gebunden scheint. Da wird dann schon mal von Kastration gesprochen. Oder wie man sich eines Katzenwurfs entledigt. Kleine Katzen werden hier auch wirklich mal ins Fass gesteckt. Ein Schock. Aber Anna klettert dann selbst mit rein: und rollt mit ihnen den Hang hinab. Spätpubertäre Tollerei. Und zugleich ein versuchter Schwangerschaftsabbruch.
Lesen Sie auch: Schauspieler Aaron Altaras über den Film „Rave On“: „Ich bin bis an meine Grenzen gegangen“

Mit „Milch ins Feuer“ legt Justine Bauer ein starkes Filmdebüt vor.
© Filmperlen | Filmperlen
Damit ihr Film so authentisch wie möglich wird, hat Bauer lange auf dem Land gecastet. Und für ihre Katinka schließlich das Laientalent Karolin Nothacker gefunden. Deren Schwestern werden von ihren wirklichen Schwestern gespielt, um auch hier so viel Realität und Vertrautheit wie möglich zu erzeugen. Und als Oma hat Bauer einfach ihre eigene Großmutter besetzt.
Die Regidebütantin beweist hier einen klaren Willen zu Stil und Inhalt
Deshalb auch die Entscheidung, Dialekt zu sprechen, in diesem Fall Hohenlohisch, eine Sprache, die nur noch auf dem Land gesprochen wird, und auch das immer seltener. Umso stärker der Kontrast, dass mit Johanna Wokalek ein echter Star in diesem Film mitwirkt. Sie hat sich freilich ganz zurückgenommen, und nicht nur den Dialekt, sondern auch den Alltag auf dem Hof lange trainiert.
Der Wochenend-Newsletter der Berliner Morgenpost
Bestellen Sie hier den wöchentlichen Newsletter mit Tipps zum Wochenende in Berlin
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der
Werbevereinbarung
zu.
„Milch ins Feuer“ blickt wie durch ein Brennglas auf eine Lebenswelt, die den meisten kaum mehr vertraut sein dürfte. Wo man noch ganz eins ist mit der Natur und deren Stimmungen zu deuten weiß. Wo man sich abrackern muss, damit die Milch im Supermarkt landet. Aber man selbst kaum davon leben kann. Ein Blick ohne jede Verklärung oder Beschönigung. Wobei aber auch ganz sinnliche Bilder gelingen, denen eine gewisse Poesie innewohnt. Ein starkes Regiedebüt: Bauer beweist hier einen klaren Willen zu Stil, Form und Inhalt.
Filmdrama, Deutschland 2024, 80 min., von Justine Bauer, mit Karolin Nothacker, Johanna Wokalek, Paula Bollinger