Deutschlands nächster Gegner bei der Frauen-EM: Bonjour, ein Turnierfavorit – Sport | ABC-Z

Tief in der zweiten Halbzeit hallte die Marseillaise durch den Basler St. Jakob Park. Diese martialische Hymne, in der von blutgetränkten Äckern und Waffen gesungen wird, sie klang fein und zart aus dem mehrheitlich weiblich besetzten französischen Fanblock, der dieses Spiel inzwischen akustisch untermalte. Die sonst so stimmgewaltige Fraktion in Orange auf der gegenüberliegenden Seite war verstummt, denn längst stand fest, dass die Niederlande nicht mehr nach links und rechts tanzen, sondern nach Hause fahren würden. Lieder sangen nur noch die vielen Französinnen und Franzosen, die über die nahe Grenze gekommen waren. Sie widmeten sogar einzelnen Spielerinnen Gesänge – den Protagonistinnen eines Teams, wie es Frankreich im Frauenfußball lange nicht mehr gesehen hat. Und das nun im EM-Viertelfinale (Samstag, 21 Uhr) die deutsche Mannschaft kennenlernen wird.
Mit drei Siegen sind die Französinnen durch die Vorrunden-Gruppe D marschiert, sie waren, im besten Sinne der Marseillaise, kaum aufzuhalten: 2:1 gegen England, 4:1 gegen Wales und 5:2 gegen die Niederlande – das Wort Todesgruppe haben sie in Frankreich jetzt offiziell aus dem Dictionnaire gestrichen.
:„Wir liegen im Moment ein bisschen am Boden“
Bloß weg und Frust bewältigen: Bei der höchsten deutschen EM-Niederlage der Geschichte wird deutlich, was den DFB-Frauen fehlt. Das 1:4 gegen die Schwedinnen stellt auch die Taktik von Trainer Wück infrage – im Viertelfinale gibt es zudem ein Problem.
Vier Minuten des Zweifelns fand man am Sonntagabend, wenn man sich denn auf die Suche danach begeben wollte. Zum dritten Mal im dritten Spiel waren die Französinnen in Führung gegangen, in der 22. Minute durch Kapitänin Sandie Toletti. Aber danach war ihnen das Spiel ein wenig entglitten: Durch den Ausgleich von Victoria Pelova und ein Eigentor von Selma Bacha in der 41. Minute gerieten sie in Rückstand. England, im Parallelspiel gegen Wales früh überlegen, übernahm kurzzeitig Platz eins in der Gruppe D, zwei weitere Tore der Niederlande hätten nun sogar gereicht, um Frankreich noch auf Platz drei zu verdrängen. Bis zur Halbzeitpause konnte man die Anspannung spüren und einer jungen Mannschaft beim Nachdenken zusehen, die sich dann aber in der Kabine wieder selbst aufrichtete.
Delphine Cascarino merkt man an, dass sie in ihrer Jugend mal Rugby gespielt hat
Delphine Cascarino benötigte dann nur sechs Minuten, um die Partie zu entscheiden: Eine Vorlage und zwei Tore gelangen ihr zwischen der 61. und der 67. Minute, man durfte das als Bewerbungsschreiben für den Titel als beste Spielerin der EM-Vorrunde auffassen. Insbesondere das 4:2 beschrieb die Qualitäten der 28-Jährigen eindrücklich: Wuchtiger als jede andere kann Cascarino Anlauf nehmen, man merkt in diesen Situationen, dass sie in ihrer Jugend Rugby gespielt hat. Die Niederländerinnen jedenfalls gerieten zu Statistinnen auf Cascarinos Weg, der vor dem Strafraum mit einem Distanzschuss ins Eck endete und schließlich in einer Jubeltraube auf der Bank.
Schlechte Nachrichten für Deutschland folgten auch nach dem Spiel: „Ich glaube, es steckt sogar noch mehr in Delphine“, sagte Frankreichs Trainer Laurent Bonadei. Dabei denkt der 55-Jährige ungern in Einzelleistungen, nichts ist ihm wichtiger als die Mannschaft. Bis auf eine Feldspielerin und zwei Torhüterinnen setzte Bonadei in der Vorrunde jede Spielerin ein, er wolle „jeder die Chance geben, sich zu beweisen“, sagte er nach dem 5:2.
Heraus kommt dabei eine radikal verjüngte Mannschaft aus nicht elf, sondern eher 15, 16 rotierenden Stammspielerinnen. Die Französinnen waren ohne ihre alten Heldinnen Wendie Renard und Eugenie Le Sommer in die Schweiz gereist, was kontrovers diskutiert wurde und dazu führte, dass sie schwer einzuschätzen waren: Mit Renard und Le Sommer war Frankreich immer ein Kandidat für einen großen Titel gewesen – aber beachtlicherweise sind sie das jetzt ohne sie mehr denn je. Die Unberechenbarkeit ist im besten Wortsinne zur Identität von Bonadeis Team geworden: Wer ins Dribbling geht, wer auf welcher Seite herumläuft, das alles obliegt der Kreativität der technisch herausragenden Spielerinnen, die sich auch aus engsten Situationen spielerisch befreien können.

Dass dabei auch Phasen entstehen, in denen Frankreich das Spiel etwas entgleitet, ist kalkuliertes Risiko. Überhaupt gelang es außer den Spanierinnen keiner Mannschaft in der EM-Vorrunde, dauerhaft zu dominieren. Eine der Erkenntnisse der ersten Turnierwochen ist, dass die Mehrheit der Spiele von Höhen und Tiefen auf beiden Seiten geprägt sind, wie auch alle Betrachter der deutschen Spiele wissen. Und so liegt die wohl größte Hoffnung der deutschen Elf vor dem Viertelfinale darin, dass auch Frankreich nicht ganz frei ist vom defensiven Laissez-faire und sich schwertut, zu null zu spielen.
Noch fünf Tage Zeit hat das DFB-Team, um sich einen Plan zu überlegen, der die Französinnen zumindest ernsthaft herausfordert. Dann folgt die Rückkehr in den St. Jakob Park nach Basel. Man wird hören, wer dort nach dem Viertelfinale singt.