„Und folgt dir keiner, geh lediglich“ | ABC-Z

Jürgen Todenhöfer war keine fünf Jahre alt, als er sich bäuchlings auf die Straße direkt vor einen der amerikanischen Panzer warf, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs durch das zerbombte Hanau rollten. Der Panzer wich zum Glück rechtzeitig aus. Todenhöfers Mutter eilte entsetzt herbei und flehte ihren Sohn an, Derartiges künftig zu unterlassen. Doch „ich wusste, dass ich so etwas nicht versprechen konnte“, schreibt der heute 84 Jahre alte Todenhöfer über sein viereinhalbjähriges Ich. Denn – auch das war ihm schon damals klar – „gegen Panzer, die Kinder am Lachen und Spielen hindern, musste man sich wehren dürfen“.
Wer an dieser Stelle von „Und folgt dir keiner, geh allein“, den Lebenserinnerungen Todenhöfers, tatsächlich noch nicht verstanden haben sollte, dass es sich beim Ich-Erzähler um einen geborenen Widerstandskämpfer und Ausnahme-Idealisten handelt, dem wird es auf 450 Seiten wieder und wieder erklärt. Folgt man Todenhöfer, gibt es in seinem zweifelsohne ereignisreichen Leben – von den obligatorischen Sturm-und-Drang-Jahren der Studentenzeit einmal abgesehen – keine Phase, die nicht voll und ganz im Dienst einer großen Mission gestanden hätte. Ob als junger Strafrichter, als Politiker (von 1972 bis 1990 saß er für die CDU im Bundestag, 2020 gründete er „Team Todenhöfer“), als Manager des Burda-Medienkonzerns, stets folgte er kompromisslos seinen beiden obersten Maximen: Wahrheitssuche und Weltverbesserung.
Notorischer Schlachtenbummler und selbst ernannter Friedensbote
Deswegen unternahm Todenhöfer unzählige Reisen in Kriegs- und Krisengebiete, deswegen verschenkte er den größten Teil seines Vermögens an die Verdammten dieser Erde. Weil er einfach nicht anders konnte als dem Weg zu folgen, den sein Gewissen vorschrieb, hatte er Neid, Drohungen, Ausgrenzungen, Karriereeinbrüche zu erdulden und musste sich als Demagoge, Israelhasser, als Diktatoren- und Terroristenfreund beschimpfen lassen.
So kennt man ihn aus seinen Büchern und öffentlichen Auftritten seit knapp zwei Jahrzehnten. Todenhöfer macht seinem Ruf als hemmungsloser Selbstdarsteller alle Ehre und trägt einmal mehr im heroischen Enthüllergestus seine abgestandene Kritik am heuchlerischen, imperialistischen Westen vor. Für die Weltlage hat er schlichte Weisheiten parat: Krieg ist böse, Interventionen und Waffenlieferungen auch, Verhandlungen sind besser, egal mit wem. Dabei stützt sich der notorische Schlachtenbummler und selbst ernannte Friedensbote auf seine Augen- und Zeitzeugenschaft und zelebriert den Gestus des heldenhaften Unbequemen, der ausspricht, was sich hierzulande niemand traut.
Nur: Wie ist Todenhöfer, der einst ganz andere Ansichten vertrat, so geworden? Die Beantwortung der in einer Biographie ja durchaus naheliegenden Frage bleibt aus. Stattdessen wird vor lauter Selbstbeweihräucherung die allseits bekannte Tatsache vernebelt, dass Todenhöfer in den Siebziger- und Achtzigerjahren ein glühender Nachrüstungsbefürworter, Amerikafreund, Kommunistenfeind und als Mitglied der CDU-„Stahlhelm“-Fraktion ein nationalkonservativer Hardliner war. Zwar findet sich einmal ein verdruckster Hinweis, dass der Irakkrieg entscheidend für seinen Gesinnungswandel zum Chefankläger des Westens war, ansonsten jedoch präsentiert Todenhöfer seine abenteuerliche ideologische Entwicklung als makellos lineares Geschehen.
Ein „Super-Versailles“?
Auch nutzt er ausgiebig die Gelegenheit, mit einer Reihe von Personen abzurechnen, die ihn irgendwann einmal öffentlich kritisiert oder nicht ausreichend beachtet haben. Dazu gehören Angela Merkel, Papst Franziskus, Charlotte Knobloch, eine ganze Schar an Journalisten und eine „Clique“ von Wikipedia-Autoren. Besonders ausdauernd arbeitet er sich an Helmut Kohl ab: Demnach sei vor allem er, Todenhöfer, es gewesen, der für die deutsche Einheit gekämpft habe. Kohl hingegen habe die Wiedervereinigung als Leitidee der CDU in den Achtzigern eigentlich aufgeben wollen, es sich aus machtstrategischem Kalkül kurz nach dem Fall der Mauer plötzlich anders überlegt und so die historischen Lorbeeren eingeheimst. In diesem verworrenen Versuch, dem „Kanzler der Einheit“ nachträglich einen Teil der Show zu stehlen, bleibt vieles unerwähnt.
Beispielsweise verliert Todenhöfer kein Wort darüber, dass das vereinte Deutschland, wie es ihm damals vorschwebte, in den Grenzen von 1937 wiederauferstehen sollte. Noch im Sommer 1990, kurz vor Ende seiner Abgeordnetenlaufbahn, sprach er sich im Bundestag entschieden gegen die offizielle Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und damit gegen den endgültigen Verzicht auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete aus: „In der beabsichtigten Grenzanerkennungserklärung“, so Todenhöfers Stellungnahme auf der Bundestagssitzung vom 21. Juni 1990, „geben nur die Deutschen etwas. Ist das wirklich fair und gerecht?“ Müssten nun nicht auch die Polen einen Beitrag leisten? Andernfalls drohe eine nationale Demütigung, womöglich gar ein „Super-Versailles“.
Für wen wurde dieses Buch geschrieben?
Mag Todenhöfer diese revanchistischen Äußerungen heute noch so konsequent beschweigen, insbesondere wenn er den Nahost-Erklärer gibt, scheint er an seine alten Überzeugungen anzuknüpfen: So ist die Hamas, die Israel von der Landkarte getilgt sehen will, für Todenhöfer keine Terrororganisation, sondern eine „Widerstands- und Befreiungsbewegung“, die nun mal „leider auch mit Mitteln des Terrors arbeitet“. Denn: „Aus Sicht der Palästinenser hatte man ihnen bei der Gründung des Staates Israel schlicht ihr Land geraubt.“ Folglich seien die Anschläge vom 7. Oktober „nur als Akt totaler Verzweiflung erklärbar. Man kann Völker nicht endlos demütigen“, schreibt einer, der schließlich aus eigener Erfahrung weiß, wie es schmerzt, um Schlesien und Pommern betrogen worden zu sein.
Krieg in der Ukraine? Der hätte für Todenhöfer längst beendet sein können, wenn nicht die USA so rücksichtslos auf der Durchsetzung ihrer machtpolitischen Interessen beharren würden. „Die USA wollen, das weitergekämpft wird. Bis zum letzten Ukrainer.“ Dass die USA heute wieder von Trump und nicht mehr von Biden regiert werden und dass damit Todenhöfers propagandistisch verdrehte Ausführungen zum Ukrainekrieg selbst nach seinen eigenen verschwörungstheoretischen Maßstäben sinnlos sind, macht die Sache auch nicht besser.
Grundsätzlich stellt sich die Frage, für wen dieses Buch geschrieben wurde. Wer wirklich etwas über Jürgen Todenhöfer als eine der Symbolfiguren des spezifisch deutschen Querfront-Populismus erfahren will, wird enttäuscht werden. Allenfalls eingefleischte Anhänger des Autobiographen, die einmal mehr bestätigt haben wollen, was sie eh schon zu wissen meinen, könnten auf ihre Kosten kommen. Nur gibt es davon auch nicht mehr allzu viele. Bei den letzten beiden Bundestagswahlen kam „Team Todenhöfer“ nicht einmal in den Schatten des Verdachts, die Fünfprozenthürde zu erreichen. Für seinen gescheiterten Versuch, als Parteipolitiker noch einmal durchzustarten, hat Todenhöfer allerhand abenteuerliche Erklärungen parat. Sein narzisstisches Gekränktsein verbirgt er notdürftig. Mit seinem Buch zollt er sich vor allem selbst die Anerkennung, die ihm seiner Meinung nach zusteht.
Jürgen Todenhöfer: „Und folgt dir keiner, geh allein“. Geschichte eines Lebens. C. Bertelsmann Verlag, München 2025. 464 S., geb., 24,– €.