Ukrainisches Gastspiel am Berliner Ensemble: Verrückte Zerstörung, verrückter Widerstand | ABC-Z

Theater | Ukrainisches Gastspiel am Berliner Ensemble
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Verrückte Zerstörung, verrückter Widerstand
Di 25.02.25 | 11:18 Uhr | Von
Am dritten Jahrestag des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine zeigt die ukrainische Künstlerin Iryna Lazer in ihrem Doku-Stück „Shalene“, wie zwei alte Frauen den Kriegsbeginn überlebt haben. Von Barbara Behrendt
Während am Montagabend kaum einen Kilometer entfernt, am Brandenburger Tor in Berlin-Mitte, etwa 8.000 Menschen mit blau-gelben Nationalflaggen für Frieden in der Ukraine demonstrieren, wird auch im Kleinen Haus des Berliner Ensemble (BE) die Fahne in die Höhe gereckt, das Publikum gibt Standing Ovations und ruft „Slava Ukraini!“
Theater und Gedenken gehen hier fließend ineinander über. Denn die beiden Hauptfiguren in Iryna Lazers dokumentarischem Stück „Shalene / Ver-rückt“, das am dritten Jahrestag der russischen Invasion als Gastspiel am BE gezeigt wird, sind zwei alte Damen, die dem Publikum vom Beginn des Kriegs erzählen. Ania und Ninka lebten in einem Dorf in der Nähe von Kiew, bis sie im April 2022 ihre zerbombte Heimat verlassen mussten.
Ein unerschrockenes Pärchen
Vielleicht sind sie aufgrund ihres hohen Alters ein so unerschrockenes Pärchen, das sich neckt und tröstet und keine große Angst vor den Angreifern hat. Was sie denn hier wollen, fragen sie die finster aussehenden Tschetschenen mit den Maschinengewehren. Die Antwort: „Euch befreien von den Nationalisten! Ihr lebt hier doch so schlecht!“ Ania und Ninka machen Bekanntschaft mit den ersten Drohnen, den ersten Raketen. Ninkas Haus wird getroffen und brennt innerhalb von 20 Minuten nieder. Sie selbst war nur wenige Sekunden zuvor vor die Tür getreten. Das titelgebende „Shalene“ soll, sagt Iryna Lazer, einerseits für die verrückte Zerstörungswut der Russen stehen, andererseits für den verrückten Widerstandsgeist der Ukraine.
Ninka – gespielt von der Autorin, Schauspielerin, Musikerin und Regisseurin Lazer – spricht auf ukrainisch mit uns. Ania – gespielt von Ivan Doan – spricht hingegen deutsch. Das führt das Spiel ein wenig heraus aus dem reinen Realismus und näher ans deutsche Publikum, das an diesem Abend allerdings deutlich in der Minderheit ist.
Ania und Ninka sind reale Menschen
Auf Ania und Ninka ist die Autorin durch die Interviews gestoßen, die ihr Mann in großer Anzahl geführt hat, um mögliche Kriegsverbrechen zu dokumentieren. Die beiden seien so lustig und liebevoll miteinander umgegangen, dass Lazer sie zu den Protagonistinnen ihres Stücks machte. Eingeflossen sind zwar auch Berichte anderer Menschen, doch Ania und Ninka seien trotzdem noch klar erkennbar.
Zudem hat Iryna Lazer Dokumente gesammelt, die seit Beginn der Invasion verschickt worden sind. Vom Kindergarten ihrer Tochter kam die Anweisung, wie man ein Kind während einer Bombenexplosionen beruhigt. Es folgten: Was ist bei einem Angriff durch Phosphorbomben zu tun, wie verhält man sich nach einer Vergewaltigung, wie verlässt man ein von Bomben getroffenes Haus. Diese Dokumente werden in der Inszenierung mit Comicschrift wie in einer Graphic Novel auf eine schwarze Leinwand geworfen. Sie werden vertont und verlesen. Es sind die eindrücklichsten Momente des Abends.
Vor allem die Mischung aus getragener, düsterer, elegischer Volks- und Rockmusik zusammen mit den Zeichnungen von Nebelschwaden, weißen Bäumen und Panzern auf der schwarzen Leinwand, fügen dem Abend eine poetische Dimension hinzu.
Das Düstere, das einen in Stücke reißt
Zu Beginn singt Lazer mit ihrer Band „Mavka“ eine Art Volkslied, über den schrecklichen Traum von etwas Verrücktem („Shalene“), Düsterem, das die Träumerin in Stücke reißen möchte – doch letztlich beißt es sie lediglich. Ob das einen Hoffnungsschimmer andeuten will?
Eine „musikalische Tragikomödie“, wie die Ankündigung besagt, ist der Abend jedoch nicht. Man mag das Alte-Damen-Pärchen ein wenig skurril finden, wie es da auf einem Samtsofa in weißer Tracht vor dem Publikum sitzt und von der absurden Realität erzählt. Doch der Dreh zum Grotesk-Komischen gelingt der Inszenierung nur schwer.
Ein Gedenkabend
Ohnehin berührt der Abend weniger wegen der Qualität des Textes oder seiner ästhetischen Mittel, sondern aufgrund der Tatsache, dass alles, was diese Frauen sagen, wahr ist. Als Ninka erzählt, wie sie auf ein Massengrab mit 91 Soldaten stößt, ist die Stille im Zuschauerraum fast beängstigend.
Das Gedenken steht hier deutlich stärker im Vordergrund als die reine Kunst. Zu Recht an diesem dritten Jahrestag – und angesichts der so ernüchternden Weltlage mit einem Diktator Wladimir Putin, gestützt von seinem mächtigen Kumpel Donald Trump.
Sendung: rbb24 Inforadio, 25.02.2025, 6:55 Uhr