Kultur

Ukrainischer Drag-Performer: „Ich ziehe die Maske aus, wenn der Krieg zu Ende ist“ | ABC-Z

Verka Serduchka ist die im postsowjetischen Raum allseits bekannte Dragfigur des ukrainischen Komödianten und Sängers Andriy Danylko (geboren 1973). Mit Performances und Hits wie „Vse budet horosho (Alles wird gut!) und „Dolce Gabbana“ hat Danylko Kultstatus erlangt. Ab heute sollte er zwei Konzerte in Deutschland spielen. Allerdings wurde die Tour kurzfristig auf unbestimmte Zeit verschoben, da Danylko als Mann im wehrfähigen Alter keine Ausreisegenehmigung erhalten hat.

taz: Andriy Danylko, nach Ihrer Zweitplatzierung beim ESC 2007 ist Ihre Figur Verka Serduchka auch international bekannt geworden. Welche Leute kommen zu Ihren Konzerten?

Andriy Danylko: Völlig unterschiedlich, von ESC-Fans über die LGBT-Community, von Emigranten aus den 90ern bis hin zu Kriegsflüchtlingen. Alle kennen Serduchka in den ehemaligen Sowjetrepubliken, ob sie aus Usbekistan oder aus dem Baltikum kommen: Die Figur ist allgemein verständlich. Deshalb ist Serduchka keine Lokalheldin. Zu erklären, was das für Auftritte sind, ist schwierig. Das ist so ein Balagan, ein Chaos, im guten Sinne.

taz: Beim ESC performten Sie den Song „Lasha Tumbai“. In Russland wurde Ihnen damals vorgeworfen, Sie hätten „Russia Goodbye“ gesungen, was Sie in letzter Zeit ja auch taten. Hatten Sie das schon immer im Kopf?

Danylko: Darauf wäre ich gar nicht gekommen. Ich habe mir dieses Wort ausgedacht: Lasha Tumbai. Wenn es keinen Text gibt, denkt man sich Abracadabra aus. Lasha Tumbai bedeutet nichts. Man trägt einen Sinn in diese Worte hinein, den man will. Das ist ein Wunsch. Und alle übersetzen es für sich. Wir hatten damals nur ein ­schmales Budget. Alles sehr bescheiden, die Musik haben wir selbst komponiert, die Kostüme selbst geschneidert. Serduchka trägt einen Stern auf dem Kopf, sie und zwei Typen tragen Silber, die Backgroundsänger Gold. Früher hat man die Farben eigentlich nicht gemischt. Aber zu diesem Zeitpunkt gab es in Kyjiw keinen silbernen Stoff. Aus dem, was wir hatten, haben wir unsere Kostüme hergestellt, durch den Mangel wurde es einzigartig. 100 Prozent Wiedererkennungswert. Aus Versehen wurden wir iconic.

taz: Sie haben anfangs verschiedene Charaktere gespielt, aber Verka hat sich durchgesetzt. Worin liegt ihr Geheimnis?

Danylko: Zufall. Verka war eine von vielen Figuren in unseren theatralischen Spektakeln, die wir Anfang der Neunziger aufführten. Es gab auch die Nachbarin, die Alkoholikerin, den Polizisten und so weiter. Aber da ich damals sehr jung aussah, waren all diese Erscheinungen nicht überzeugend. Berühmt wurde Serduchka durch einen Werbeclip für eine Bank. Natürlich hat mich darin keiner erkannt und man dachte, dass es irgendeine Frau ist. Davor haben hübsche Damen Werbung für Banken gemacht, hier ist man ein Risiko eingegangen und hat eine Komödienfigur gewählt. Man fing an, uns zu Konzerten einzuladen, ohne zu verstehen, was wir eigentlich machen. Einfach, um Verka anzuschauen. Bei uns in der Ukraine gab es keine Travestie-Shows, das Thema als solches existierte einfach nicht. Es kam immer ein Haufen Leute, und wir haben nicht verstanden, wieso sie so populär ist.

taz: Eine Serduchkamanie?

Im Moment sind die Leute sehr müde, deshalb gibt es jetzt Konzert-Therapie

Danylko: Ja, eine Serduchkamanie! Die Leute zeichneten Auftritte mit Kassettenrekordern auf und auf den Märkten dröhnte allseits Serduchka aus den Lautsprechern. Das waren ihre lustigen Monologe, damals noch ohne Musik. Es wurde oft etwas schneller abgespielt, um den komischen Effekt zu erhöhen. Von den Tapes wurden auf den Märkten Raubkopien verkauft.

taz: Wann wurde daraus die Kunstfigur Verka Serduchka?

Danylko: Wir haben angefangen, diese Figur weiter zu entwickeln. Ich gab als Verka Serduchka Interviews. Langsam fing sie an, ein Eigenleben zu führen, wurde zu einem Charakter. Dann kam die Fernsehshow dazu. Verka als Zugbegleiterin setzte sich zu den Gästen der Show ins Abteil. Und um den Weg zu verkürzen, tranken sie echten Alkohol und rauchten. Wir haben bis zu vier Sendungen pro Drehtag gemacht, und es gab Programme, die ich nicht zu Ende bringen konnte, weil ich zu besoffen war. Sie war derart populär, dass sie ein neues Genre begründete. Was das ist, kann bis heute niemand sagen.

taz: Welche Phasen hat die Figur Verka Serduchka durchgemacht?

Danylko: Wissen Sie, wir alle werden erwachsener, es gibt eine Entwicklung. Sie war Zugbegleiterin, dann hostete sie eine Show, dann war sie Sängerin, Künstlerin, dann ein Star, dann kam der ESC, schließlich die Politik, am Ende eine Goodbye-Tour. Jetzt spielen wir eine Legende. Die aktuellen Konzerte unterscheiden sich sehr von denjenigen zu Kriegsbeginn 2022.

taz: Inwiefern?

Danylko: Das waren Konzerte zur Unterstützung, mit einer aggressiven Antwort auf das Geschehen. Raus aus der Ukrai­ne, Moskowiter! Im Moment sind die Leute aber sehr müde, deswegen gibt es jetzt Konzert-Therapie. Serduchka, das ist die Erscheinung, die sie aus ihrer Kindheit kennen – als man klein war und die betrunkenen Eltern zu Serduchka tanzten. Die Zeit, als alle in Frieden lebten und am Leben waren. Ende der Neunziger, Anfang der nuller Jahre. Serdurchka war wie eine musikalische Begleitung dieser Zeit, wir nostalgieren. Die Leute kommen zum zweistündigen Konzert und die Aufgabe lautet: Die Stimmung ändern, ein Lächeln bewirken, die Spannung rausnehmen.

taz: Vor mir sitzt jetzt Andriy im Adidas-Look, nicht Verka. Wieso tragen Sie in letzter Zeit eigentlich immer dasselbe Outfit?

Danylko: Ich habe bei der TV-Sendung „The Masked Singer“ mitgemacht. Eigentlich hatte ich keine Lust, aber man hat mich irgendwie dazu überredet. Und ich habe mich gefragt: Wie kann ich es so einrichten, dass ich mich nicht ständig für jedes neue Programm umziehen muss? Aus Faulheit, und außerdem kostet das einen Haufen Geld. Und so habe ich mir dieses Outfit aus Basecap, Adidas-Sweatshirt und Maske zugelegt. Der Moderator fragte mich, wieso ich immer eine Maske aufhabe. Und ich antwortete: Wie heißt denn die Show?

taz: Das ist jetzt Ihre Uniform.

Danylko: Wie ein Arzt mit seinem weißen Kittel. Seit Beginn der russischen Großinvasion bin ich oft im Fernsehen und kriege da auch immer wieder die Frage zur Maske. Und ich habe da einmal geantwortet: Ich ziehe die Maske aus, wenn der Krieg zu Ende ist. Aber ich hatte nicht gedacht, dass das sich so hinzieht.

taz: Bekommen Sie Hass ab, weil Ihre Songs zum Großteil auf Russisch, wenn auch mit ukrainischem Einschlag, sind?

Danylko: Es gibt immer irgendwelche Aktivisten. Sehen Sie, ich bin in der Sowjetunion geboren, in der zentralukrainischen Stadt Poltawa. Die russische und ukrainische Sprache existierten parallel, im Alltag sprach man eine Mischung, Surschyk. Jetzt herrscht Krieg und das ist ein sensibles Thema. Meine alten Lieder, die ich selbst komponiert habe, habe ich nicht übersetzt.

taz: Und was Sie jetzt ­schreiben, das ist schon auf Ukrainisch?

Danylko: Ja, Abracadabra-Ukrainisch, so was wie bei meinem Song „Dancing Lasha Tumbai“: 77 Aj Lju Lju. Serduchka ist ja international, deswegen hat sie schon immer Wörter aus verschiedenen Sprachen verwendet. Ich finde, besonders auf ­Italienisch klingt sie sehr schön. Ich habe am Anfang des Krieges gesagt: Schaut mal, wenn euch nicht gefällt, dass ich meine alten Songs nicht ins Ukrainische übersetze, dann kommt nicht zu meinen Konzerten. Wenn ihr unbedingt Übersetzungen wollt, macht sie selbst. Aber das ist eben nicht Serduchka, sie hat ihre ganz eigene Terminologie.

taz: Wann bekamen Sie Probleme in Russland, wo Sie früher oft auftraten?

Danylko: Erst mit dem ESC fing das an, Serduchka war die Erste, die politisch angegriffen wurde. Nach der Annexion der Krim haben wir alle unsere Konzerte in Russland abgesagt, obwohl wir dort erfolgreich waren. Ich bin für die Ukraine und für Gerechtigkeit.

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