Kuriose Fälle am Amtsgericht Fürstenfeldbruck: ein Richter erinnert sich – Fürstenfeldbruck | ABC-Z

Wie tief Gerichte ins Leben von Menschen eingreifen – im positiven wie negativen Sinn – und welche Verantwortung sie tragen, das ist Christoph Schütte bereits in seinen ersten Jahren am Amtsgericht sehr klar geworden. Bevor das Entmündigungsverfahren Anfang der Neunzigerjahre vom Betreuungsverfahren abgelöst wurde, war dem Richter für Zivil- und Familiensachen der Fall einer jungen Frau vorgelegt worden, in dem es um die Aufhebung einer Entmündigung ging. „Die Geschichte war eigentlich sehr ergreifend.“ Als Mädchen im Alter von vielleicht sechs oder acht Jahren war sie auffällig geworden. „Heute würde man sagen, die hatte halt eine Aufmerksamkeitsstörung.“
Ein Gutachter stuft sie als geistig minderbemittelt ein, die Eltern scheinen überfordert. Und so gerät sie in die Mühlen der Justiz, wird entmündigt und in einer Klostereinrichtung untergebracht. Der Status wird zwar alle paar Jahre überprüft. Aber rückblickend habe er den Eindruck, dass da ein Gutachter vom anderen abgeschrieben hat, sagt Schütte. Ergebnis: „Die junge Frau ist immer dort geblieben und wurde auch nicht wirklich gefördert.“
Dass mit Anfang 20 doch noch ihr sehr wohl vorhandenes Potenzial erkannt wird und der Fall erneut vor Gericht landet, hat die Frau einem hartnäckigen Ehepaar zu verdanken, an das sie als Arbeitskraft vermittelt worden war. Die Entmündigung wird aufgehoben. Sie holt den Schulabschluss nach. Für Schütte ein prägender Fall, der nie hätte passieren dürfen. „Es ist die Aufgabe der Gerichte, genauer hinzuschauen.“
Der gebürtige Münchner Christoph Schütte blickt zurück auf solche außergewöhnlichen Fälle in seinen 35 Jahren als Richter am Amtsgericht in Fürstenfeldbruck. Der Sohn eines Fürstenfeldbrucker Rechtsanwalts, der in diesem Jahr in den Ruhestand verabschiedet worden ist, beginnt mit Mietsachen, Nachbarstreitigkeiten, Verkehrsunfällen. Zum Zivil- kommt bald Familienrecht.
Und nach der Jahrtausendwende übernimmt der heute 67-Jährige auch noch Nachlasssachen. Ein herausfordernder Bereich, in dem man tief in Familiengeschichten eintaucht, wenn es um umstrittene oder gefälschte Testamente geht oder darum, ob ein Erblasser noch in der Lage war, eigenverantwortlich seinen den letzten Willen niederzuschreiben oder zu ändern.
Wenn islamisches und deutsches Recht kollidieren, kann es kompliziert werden
Schütte erinnert sich an den Fall eines verstorbenen Marokkaners. Gemäß der in seinem Vaterland zulässigen Erbfolgeregeln hatte dieser festgelegt, dass seine Töchter und ein Adoptivkind nichts erben sollten und seine Söhne aus der zweiten Ehe mehr als die aus erster Ehe. Das ausländische, in diesem Fall islamische Recht muss bei Entscheidungen sehr wohl beachtet werden. Ebenso aber die im deutschen Grundgesetz verbrieften Rechte, die im Zweifelsfall Priorität genießen – wie die Gleichbehandlung nicht ehelicher und ehelicher Kinder sowie von Männern und Frauen.
Manchmal stellt sich eine vom Erblasser getroffene Regelung als beim besten Willen nicht erfüllbar heraus. So hatte eine ältere Dame, aufreibender Diskussionen in der Familie leid, jedes ihrer vier Kinder als Alleinerbe eingesetzt. Sie händigte vier Versionen des Testaments mit gleichem Datum aus, die sich nur in den Namen der begünstigten Empfänger unterschieden. Letztlich tritt die gesetzliche Regelung in Kraft und jedes Kind erhält ein Viertel des Nachlasses. Schütte: „Besser wäre es natürlich, man sucht vorher einfach das Gespräch mit der ganzen Familie und versucht da eine Regelung zu finden, die für alle transparent ist. Aber die Frau hat offensichtlich keinen anderen Ausweg gewusst.“

Ganz leer geht eine ältere Dame aus, die sich jahrelang rührend um ihre pflegebedürftige vermeintliche Schwester gekümmert hatte. Als diese stirbt, scheint klar, dass sie erbt. Denn beide Frauen sind alleinstehend und kinderlos. Dann aber stellt sich nach Durchsicht der Familiendokumente heraus, dass die beiden Frauen gar keine Schwestern sind. Die ältere Dame war einst als Pflegekind aufgenommen worden.
Das freilich haben die Eltern nie kommuniziert und die beiden Frauen immer im Glauben gelassen, Schwestern zu sein. Deshalb waren diese überzeugt, auf ein Testament verzichten zu können. Die ältere Dame geht letztlich leer aus. „Das war für sie ein großer Schock.“ Aber so sieht es das Erbrecht vor, wenn nicht beizeiten ausdrücklich eine andere Regelung getroffen wird. Da ist die Rechtsprechung klar.
Früher war das Richterkollegium fast ein reiner Männerklub, heute sind die Frauen in der Mehrheit
Schütte, der zehn Jahre Sprecher des Amtsgerichts war, streicht durchaus positive Veränderungen bei der Entwicklung zu einer transparenten und den Menschen nahen Justiz heraus. Das Richterkollegium ist deutlich weiblicher geworden: Lediglich drei der aktuell 14 Richterstellen sind von Männern besetzt. Als Schütte nach Fürstenfeldbruck kam, war das noch anders: „Damals gab es hier einen regelrechten Herrenklub und nur eine Dame.“ Der damalige Direktor habe offen eingeräumt, er versuche zu verhindern, dass Frauen ans Gericht kommen, weil die wegen Schwangerschaft ausfallen könnten.





















