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Ukraine muss jetzt zittern: Reisner: „Was zwischen Trump und Selenskyj ablief, war ein Super-GAU“ | ABC-Z

Was passiert, falls die USA die Unterstützung der Ukraine sofort kappen? Nichts scheint mehr sicher nach dem Disput zwischen US-Präsident Donald Trump und seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj. Oberst Reisner sieht in dem Fall schwarz. Nicht nur für die Ukraine, sondern für ganz Europa.

ntv.de: Zwei Fähigkeiten sind für die Ukraine auf dem Gefechtsfeld enorm wichtig: Die US-Aufklärung durch ISTAR-Sensoren sowie das Satellitennetzwerk Starlink von Elon Musk zur Kommunikation. Falls die USA beides radikal runterfahren – hat die Ukraine dann noch eine Chance?

Markus Reisner: Durch die Aufklärung der ISTAR-Sensoren, also zum Beispiel Satelliten oder spezielle Aufklärungsflugzeuge, können die USA über große Distanz potenzielle Ziele für die Ukraine aufspüren, etwa russische Kommandoposten, Störsender, Fliegerabwehr-Dispositive oder Kräfteansammlungen. Die Daten, die durch ISTAR gesammelt werden, geben die USA an die Ukraine weiter. Basierend auf diesen Koordinaten kann die dann einen Angriff durchführen. Dieses Vorgehen ist gut dokumentiert und immer wieder auch Thema in der US-Berichterstattung.

Markus Reisner ist Historiker und Rechtswissenschaftler, Oberst des Generalstabs im Österreichischen Bundesheer und Leiter des Institutes für Offiziersgrundausbildung an der Theresianischen Militärakademie. Wissenschaftlich arbeitet er u.a. zum Einsatz von Drohnen in der modernen Kriegsführung. Jeden Montag bewertet er für ntv.de die Lage an der Ukraine-Front.

Markus Reisner ist Historiker und Rechtswissenschaftler, Oberst des Generalstabs im Österreichischen Bundesheer und Leiter des Institutes für Offiziersgrundausbildung an der Theresianischen Militärakademie. Wissenschaftlich arbeitet er u.a. zum Einsatz von Drohnen in der modernen Kriegsführung. Jeden Montag bewertet er für ntv.de die Lage an der Ukraine-Front.

(Foto: privat)

Welche Rolle spielt Starlink?

Starlink ist für die Ukrainer wichtig, um an der Front miteinander kommunizieren zu können. Russland ist mittlerweile in der Lage, in Bereichen des elektromagnetischen Spektrums die Funk-Kommunikation der Ukrainer zu stören. Die Satelliten-Kommunikation ist hingegen viel schwieriger zu behindern – vor allem bei dem Starlink-System, das tausende von Satelliten hat. Falls der Ukraine also diese Fähigkeiten genommen werden, hätte das noch direkteren, massiveren Einfluss als ein Stopp der Waffenlieferungen oder der Hilfszahlungen.

Welche Rolle spielt ISTAR?

Ohne die ISTAR-Satelliten hat die Ukraine kein gutes Lagebild mehr, das sie braucht, um auf russische Vorstöße reagieren zu können. Doch durch die fehlende Verbindung mittels Starlink kann sie faktisch nicht mehr die einzelnen Verbände führen und koordinieren. Vor allem beim Einsatz von Reserven oder weiterreichenden Waffen, wie zum Beispiel bei der Artillerie.

Falls Musk und Trump heute entscheiden, die Ukraine von ISTAR und Starlink zu kappen – wie schnell sieht man das auf dem Schlachtfeld?

Wenn Starlink zum Beispiel nicht mehr funktionieren würde, dann würden aufmerksame Beobachter in den sozialen Netzwerken schnell Nachrichten der Soldaten sehen, die das melden. Das war in der Vergangenheit schon zweimal der Fall, als es so schien, als hätte Musk Starlink abgedreht. Das heißt, wir würden das zuerst über die sozialen Netzwerke erfahren. Beim Ausfall der ISTAR-Unterstützung würde es länger dauern, bis die Effekte sichtbar wären. Das würde man gar nicht so unmittelbar merken, sondern erst allmählich durch die Tatsache, dass die Ukrainer immer weniger in der Lage wären, den Russen Paroli zu bieten. Es wären keine Angriffe auf Hochwertziele oder Führungsstrukturen der Russen mehr möglich. Die Russen würden dann erfolgreicher werden.

Und im Vergleich: Was ist wichtiger? ISTAR oder Starlink?

Das Lagebild, das die ISTAR-Sensoren liefern, ist das enorm Wichtige. Dadurch bekommt die Ukraine eine Idee davon, wie die Russen aufgestellt sind – und kann ihr Handeln danach ausrichten. Starlink ist zwar als Kommunikationsmittel äußerst wichtig. Aber die Ukrainer sagen, es gebe gewisse Redundanzen. Falls Starlink abgeschaltet wird, könnten sie einen Teil abfangen, durch Funk oder ähnliches. Dann wäre es für die Russen aber leichter, die Kommunikation zu stören.

Seit Juni 2024 beteiligt sich Rheinmetall an der weltweit größten Flotte von Radar-Aufklärungssatelliten, an ICEYE. Auch die Ukraine erhält Bilder. Könnte das die US-Hilfe schnell ersetzen?

Die USA haben als Militärmacht unvergleichliche Fähigkeiten. Die Europäer können die nur ansatzweise ersetzen, das gilt für die Aufklärung durch Satelliten genauso, wie zum Beispiel für die Munitionsproduktion. Darum ist die Sorge vor dem Ausfall des ISTAR-Lagebildes und von Starlink berechtigt. Generell sind die USA Europa militärisch weit voraus. Das wird daran deutlich, dass sich die Europäer in allen internationalen Missionen der letzten zwei Jahrzehnte, an denen sie sich beteiligten, in einem extrem hohen Maß auf die USA stützen mussten. Bei der Intervention alliierter Truppen in Libyen 2011 stammte zum Beispiel über 90 Prozent des ISTAR-Inputs von den USA.

Immer wieder denkt die US-Regierung laut darüber nach, die Militärhilfen für die Ukraine einzustellen. Wie viele Waffen und Munition würden mit der letzten Lieferung, die Ex-Präsident Joe Biden noch veranlasste, ankommen?

Die Lieferungen, die jetzt noch zugesagt sind, werden im Zeitraum eines halben Jahres geliefert. Waffen und Munition im Wert von etwa fünf Milliarden US-Dollar werden dann noch in die Ukraine geschickt. Es wird wieder der übliche Mix sein an unterschiedlichsten Waffensystemen und Munition, etwa für die HIMARS-Systeme oder die Patriot-Batterien.

Und sind diese Hilfen für die Ukrainer noch sicher?

Offenbar wird jetzt im Weißen Haus geprüft, ob die Lieferung nicht sofort eingestellt werden kann. Das sind die Nachwehen des Treffens von Trump, seinem Stellvertreter J.D. Vance und Selenskyj, das in einer Katastrophe geendet hat. Ein Ende der US-Militärhilfe wäre vor allem aufgrund der Qualität der Systeme schmerzlich für die Ukraine. Das HIMARS-System hat etwa im Sommer 2022 einen Unterschied gemacht. Es dauerte Monate, bis die Russen sich dagegen durch Störmaßnahmen wehren konnten.

Sind die Europäer jetzt aufgeschmissen, weil sie den USA militärisch hinterherhinken?

Zunächst müssen die Europäer die Frage beantworten, was ihr Ziel ist: Erstens, die Unterstützung der Ukraine oder zweitens, was auch wichtig wäre, die Absicherung des eigenen Territoriums. Zum Beispiel wurden die Patriotbatterien, die von den europäischen Streitkräften an die Ukraine geliefert wurden, noch nicht ersetzt. Das zeigt, dass Europa seinen eigenen Luftraum nicht gut schützen kann. Die Frage, ob die Europäer genug Fähigkeiten für ihren eigenen Schutz und den der Ukraine haben, stellt sich schon seit drei Jahren. Man hat sich mit dieser Frage nicht befasst, weil man davon ausgegangen ist, dass die Sanktionspakete und Hilfslieferungen vor allem der USA schlussendlich zu einem Einknicken der Russen führen würden. Das ist aber nicht passiert. Man hat erkennen müssen, dass die Russen nicht allein kämpfen, sondern Unterstützung haben von China, Indien, Nordkorea und dem Iran. Das sind Länder, die in der Lage sind, viel zu liefern.

Trump und Vance haben Selenskyj vor laufenden Kameras im Oval Office regelrecht abgekanzelt. Dennoch: Bei derartiger Abhängigkeit – hätte Selenskyj das einfach runterschlucken müssen?

Das ist genau der Punkt. Wenn ich weiß, dass ich mit dem Rücken zur Wand stehe und mein wichtigster Lieferant damit hadert, ob er mich weiter unterstützen soll, ist es nicht klug, in der Diskussion solche Emotionen entstehen zu lassen. In dem Video von dem Eklat schwenkte die Kamera kurz zur ukrainischen Botschafterin. Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen, als sie zuschaute. Was zwischen Trump und Selenskyj ablief, war ein Super-GAU vor aller Welt. In dem Gespräch haben sich Selenskyj, Trump und Vance gegenseitig hochgeputscht. Trump ist es aber völlig egal, was der Rest der Welt über ihn denkt. Es geht ihm nur darum, seinen Wählern zu zeigen, wie er versucht, ein Wahlkampfversprechen umzusetzen, nämlich einen schnellen Friedensschluss zwischen Russland und der Ukraine. Am Ende des Streits sagte Trump, es sei gut gewesen, dass die Kameras mitgelaufen seien, die Amerikaner hätten jetzt genug gesehen.

Ist Selenskyj in Trumps Falle getappt?

Ja. Er hätte sich devoter geben können. Hat er aber nicht. Es mag vielleicht den Ukrainern zunächst gefallen, dass er Widerstand geleistet hat. Aber das Problem ist: Trump sitzt eindeutig am längeren Hebel – und die Europäer können einen US-Ausfall kaum kompensieren. Nicht nur die Ukrainer, auch die Europäer müssen schnellstens die massiven Folgen erkennen. Trump fordert bereits von den Verbündeten, fünf Prozent ihrer Wirtschaftskraft in die Rüstung zu stecken, damit die Amerikaner weniger für die Nato bezahlen. Und Trump hat in dem Auftritt mit Selenskyj erneut deutlich gemacht, dass die USA im Alleingang mit den Russen über den Frieden verhandeln wollen, ohne die Ukrainer und die Europäer. Jetzt hat die Ukraine auch den Deal mit Trump über die seltenen Erden ausgeschlagen. Wir sehen von Tag zu Tag eine Zuspitzung der Situation.

Mit Markus Reisner sprachen Lea Verstl und Frauke Niemeyer

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