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Sprachtests für Kindergartenkinder in Bayern: Chaos oder Segen? – Bayern | ABC-Z

Mit einem Tablett in beiden Händen setzt sich Carolin Heldt-Barthel auf den Teppichboden in den Sitzkreis. Auf dem Tablett hat Heldt-Barthel mehrere Stücke einer Zitrone und Gummibärchen drapiert. „Wie schmeckt das?“, fragt sie, nachdem jedes der fünf Kinder probieren durfte. „Sauer!“, sagt ein Junge und verzieht das Gesicht. „Was macht denn sauer noch?“, fragt sie zurück. Keine Antwort.

Heldt-Barthel möchte den Kindern das Sprichwort „Sauer macht lustig“ näherbringen. „Sagt man das in Spanien auch?“, fragt sie einen Jungen in der Runde. Er schüttelt den Kopf. Und in der Ukraine? Das Mädchen im Sitzkreis schüttelt ebenfalls mit dem Kopf. In etwa fünf Monaten kommen diese Kinder in die Schule, aber ihr Deutsch ist noch nicht gut genug für den Alltag in der ersten Klasse.

Im Vorkurs Deutsch der Kindertagesstätte St. Michael im unterfränkischen Estenfeld arbeitet Heldt-Barthel als Sprachfachkraft und unterstützt Kinder mit zusätzlichen Deutschstunden, bevor sie eingeschult werden. Eineinhalb Jahre lang fördern Erzieher gemeinsam mit Lehrkräften der Grundschule diese Kinder, 240 Stunden lang.

Dieser Vorkurs Deutsch 240 ist bewährt in Bayern, das Konzept gibt es seit 15 Jahren. Neu ist seit diesem Jahr, dass nun alle Kinder im Freistaat vor der Einschulung getestet werden. Also auch Mädchen und Buben, die keinen Kindergarten besuchen. Die Grundschulen schreiben etwa eineinhalb Jahre vor der Einschulung alle betroffenen Kinder ihres Sprengels an. Vom Test befreit sind nur jene, denen der Kindergarten schriftlich bescheinigt, dass sie gutes Deutsch sprechen. Die allerersten, flächendeckenden Sprachtests laufen gerade an Bayerns Grundschulen.

Mit der Einführung dieser Sprachtests wolle man „das Schlimmste“ verhindern, hatte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) im vergangenen Sommer nach dem Ministerrat erklärt. Nämlich, „dass ein Kind die Sprache nicht spricht, sich ausgeschlossen fühlt und im Unterricht nicht mitkommt“. Neben der Grundschulreform mit mehr Deutsch- und Matheunterricht gelten auch diese Sprachtests als Reaktion auf die Pisa-Schlappe. Deutsche Kinder hatten in Mathematik, Lesen und in Naturwissenschaften sehr schlecht abgeschnitten.

Bis Anfang Mai haben Zehntausende Kinder in Bayern nun einen Termin in ihrer Sprengel-Grundschule. Dort werden all jene getestet, die keine Kita-Bescheinigung vorweisen können. Wer nicht besteht, muss einen Sprachkurs besuchen. Im Frühjahr vor der Einschulung werden die Kinder erneut getestet – und wer wieder nicht besteht, muss länger im Kindergarten bleiben.

Über den grundsätzlichen Sinn dieser Sprachförderung herrscht bei Lehrern, Erziehern und Politikern eigentlich Einigkeit, Kritik gibt es allerdings an der Umsetzung und den Rahmenbedingungen. Kitas und Schulen stehen vor organisatorischen Herausforderungen, Fachkräfte sind knapp – und wie es nach den Tests genau weitergeht, scheint nicht überall klar zu sein.

Dass die gemeinsame Sprachförderung von Kitas und Schulen nun mehr Aufmerksamkeit bekomme und die Schulen zusätzliches Stundenbudget dafür erhalten, sei ein Vorteil, findet Eva-Maria Sauer, die beim Evangelischen Kita-Verband für Spachfachberatung zuständig ist. Allerdings gebe es bereits einen deutlichen Mangel an Kita-Plätzen, unter anderem weil Erzieherinnen und Kinderpfleger fehlen. Dieses Problem könnte sich verschärfen, wenn Kinder länger in der Kita bleiben müssen. Oder all jene dann in den Kindergarten gehen, die bisher gar nicht dort waren. Viele sind das laut Sozialministerium allerdings nicht: Insgesamt besuchten „99 Prozent aller Kinder eines Jahrgangs im letzten Jahr vor der Einschulung eine Kindertageseinrichtung“.

Das Hauptproblem aber sehen Sauer und auch die großen Bildungsverbände in mehr Verwaltungsaufgaben und der zusätzlichen Kommunikation mit den Eltern. Zudem bestünde Konfliktpotenzial, sollten Kinder zu einem Kita-Besuch verpflichtet werden.

„Aus der Praxis wissen wir, dass Eltern einerseits völlig überfordert sind mit dem, was da passiert, und andererseits ganz vehement gegen die Stigmatisierung ihrer Kinder eintreten“, sagt auch Kathrin Frieser, Lehrerin an einer Grundschule und Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Nach GEW-Erhebungen nehme nur zwischen einem Drittel und der Hälfte der betroffenen Kinder überhaupt an den Tests teil. Die Elternschreiben sind aus Sicht der Gewerkschafter zu unverständlich. Der „wahnsinnige Aufwand“ stehe in keiner Relation zum Ertrag.

Die SPD im Landtag kritisierte schon im Herbst die „überstürzte Einführung“ der Tests, die Grünen sprachen von einem „Bürokratie-Monster“ und bemängelten, dass die Zahl der Vorkurse an Schulen in den vergangenen Jahren sogar zurückgegangen sei.

Für die Kita in Estenfeld bringt die neue Sprachtest-Pflicht keine großen Veränderungen mit sich, sagt die Sprachfachkraft Heldt-Barthel.  Schon seit Jahren werden die Kinder mit Analysebögen geprüft, aber bisher besuchten Mädchen und Buben mit Förderbedarf freiwillig die Kurse. Die Kita St. Michael ist zudem eine Sprachkita, die zusätzliches Budget für die sprachliche Förderung bekommt. Das Urteil von Christoph-Rupert Schneider, dem Rektor der Estenfeler Partner-Grundschule, fällt dagegen deutlich schärfer aus: Zusätzlicher Verwaltungsaufwand, Zeitmangel und fehlende Fachkräfte für die Ausführung der Sprachscreenings und der anschließenden Kurse seien große Probleme.

„Alleine der Test nützt mir nichts, ich brauche im Anschluss ideale Fördermaßnahmen“

„Die von Kultusministerin Anna Stolz versprochene Entbürokratisierung hat durch die überhastete Einführung Anfang dieses Jahres jedenfalls einen ordentlichen Dämpfer erfahren“, sagt Schneider, der auch Kreisvorsitzender im Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband ist. Erst Mitte Januar hätten die Schulen die notwendigen Formulare, Elternbriefe und die Einladung zur Sprachstandserhebung bekommen. Das hätte Schulleitungen unter massiven Druck gesetzt.

Zwar verliefen die Sprachtests an der Grundschule Estenfeld in den vergangenen Tagen reibungslos, was Schneider auf die geringe Zahl an Tests zurückführt. Seine Lehrkräfte mussten nur acht Kinder begutachten. Im Schullandesbezirk Würzburg Stadt und Land seien jedoch ungefähr 900 testpflichtige Kinder zu erwarten, schätzt er. Wie es mit ihnen nun weitergeht, sei unklar.

„Alleine der Test nützt mir nichts, ich brauche im Anschluss ideale Fördermaßnahmen“, sagt Schneider. Und die seien nicht gegeben. Es fehle an zusätzlichem Fachpersonal, um die Kinder optimal begleiten zu können. Elf bis zwölf Kinder waren es bereits vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes in den Vorkursen, dabei wäre höchstens die Hälfte sinnvoll. Nun rechnet er mit noch volleren Gruppen. Es bleibe wohl nichts, als abzuwarten, ob genug Lehrer dafür gefunden werden.

Im Kultusministerium sieht man das entspannter: Zum kommenden Schuljahr kommen rein rechnerisch mehr Grundschullehrer aus den Universitäten, als man an den Schulen benötige, heißt es. Diese könnten dann entsprechend eingesetzt werden. Auch die Sprachtests für die angehenden Vorschulkinder seien gut angelaufen, heißt es. Für eine Bilanz sei es aber noch zu früh.

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