Ukraine-Krieg könnte zum Stellvertreterkrieg zwischen Nord- und Südkorea werden | ABC-Z
Südkoreanische Berichte von Anfang letzter Woche, nach denen sich etwa 3000 nordkoreanische Soldaten in Russland aufhalten, sind von amerikanischen und anderen westlichen Geheimdiensten, aber auch von russischen Experten mittlerweile bestätigt worden.
Demnach befinden sie sich derzeit zu Ausbildungszwecken auf zwei Truppenübungsplätzen in der russischen Fernostregion, nachdem sie per Schiff nach Wladiwostok transportiert worden waren.
Die Vermutung Seouls, dass bis Dezember weitere 10.000 nordkoreanische Soldaten folgen sollen, wurde von westlichen Quellen bisher nicht bestätigt. Dies gilt auch für die Mitteilung des ukrainischen militärischen Nachrichtendienstes (HUR), dass in der Region Kursk bereits vereinzelt nordkoreanische Einheiten gesichtet worden seien.
Sechs nordkoreanische Soldaten bei einem ukrainischen Raketenangriff getötet
In Donetsk seien sechs nordkoreanische Soldaten bei einem ukrainischen Raketenangriff getötet worden. Nicht auszuschließen ist demnach, dass die russische Armee nordkoreanischen Beobachtern Zugang zur Kursker und Donetsker Front gewährt hat. Im Gebiet Kursk sind ukrainische Verbände seit dem 6. August auf russisches Territorium vorgestoßen.
Bisher ist es unklar, zu welchem Zweck die Soldaten Pjöngjangs in Russland eingesetzt werden sollen. Der Kreml hat betont, dass sich die bilaterale militärische Kooperation nicht gegen einen Drittstaat richtet.
Im Westen ist jedoch die Besorgnis groß, dass sich Nordkorea am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine beteiligen könnte. Vorsorglich sind die nordkoreanischen Geschäftsträger in einigen westlichen Hauptstädten einbestellt und vor einem solchen Schritt gewarnt worden.
Doch gibt es dafür noch keine ausreichenden Anhaltspunkte; auch andere Optionen sind denkbar.
Moskau und Pjöngjang haben strategisches Kooperationsabkommen geschlossen
Feststeht allerdings, dass Moskau und Pjöngjang im Juni ein strategisches Kooperationsabkommen abgeschlossen haben, das auch eine militärische Zusammenarbeit sowie eine gegenseitige Beistandsverpflichtung für den Fall beinhaltet, dass einer der beiden Staaten angegriffen wird.
In diesem Rahmen wäre eine Ausbildung nordkoreanischer Soldaten an russischem Militärgerät und an Drohnen denkbar, zumal die Ausstattung der Armee Pjöngjangs wegen der jahrelangen Isolation völlig veraltet ist. Seit 1953 hat sie keinen Krieg mehr geführt und könnte nun von der Kriegserfahrung der russischen Armee profitieren.
Auch größere gemeinsame Manöver wären denkbar, die Russland regelmäßig gemeinsam mit seinen OVKS-Verbündeten (Anm. d. Red.: OVKS steht für Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit), vor allem mit Belarus und Kasachstan, sowie mit dem strategischen Partner China durchführt.
Ab wann ist ein Fronteinsatz nordkoreanischer Soldaten in der Ukraine nicht mehr auszuschließen?
Sollten die Angaben Seouls sich bewahrheiten, dass bis Dezember insgesamt 12.000 nordkoreanische Soldaten nach Russland entsendet werden, so kann ein Fronteinsatz ab Beginn des Jahres 2025 nicht mehr ausgeschlossen werden.
Im Lichte ihrer jüngsten taktischen Erfolge im Donbas dürften die russischen Truppen auf diese Hilfe zwar nicht unbedingt angewiesen sein; und angesichts der Hunderttausenden von Soldaten, die auf beiden Seiten in den Kampf geworfen wurden, würde sie keine operative Kriegswende bringen; gleichwohl hätte dies gravierende strategische und politische Folgen:
Zwei geografisch entfernte Konfliktregionen würden so miteinander verknüpft werden, und der russische Angriffskrieg würde sich auch zu einem Stellvertreterkrieg zwischen Nord- und Südkorea ausweiten.
Südkorea sähe sich im eigenen Sicherheitsinteresse gezwungen, dem aktiv entgegenzutreten
Bisher hat Südkorea die Ukraine direkt nur mit nichttödlicher Ausrüstung unterstützt; indirekt hat es jedoch ihre Versorgung mit Artilleriemunition gewährleistet, in dem sie den USA mit hunderttausenden von 155 mm-Granaten half, ihre Munitionsvorräte aufzufüllen, die sich wegen der Abgaben an die Ukraine verringert hatten.
Diese Lage könnte sich ändern, sollten nordkoreanische Truppen im Fronteinsatz Kriegserfahrung sammeln und an moderneren russischen Waffen ausgebildet werden. Südkorea sähe sich im eigenen Sicherheitsinteresse gezwungen, dem aktiv entgegenzutreten.
Es würde dann vermutlich Kiew direkt mit Waffen und Munition beliefern und möglicherweise auch Ausbilder und Dolmetscher entsenden, um die ukrainische Armee mit der nordkoreanischen Taktik vertraut zu machen und sie auch sprachlich zu unterstützen.
Sollten jedoch nordkoreanische „Freiwillige“ in russischen Uniformen in einer „Fremdenlegion“ Moskaus kämpfen, wäre die Lage komplexer. Völkerrechtlich bliebe ein solcher Verband der russischen Armee zuzuordnen.
Moskau könnte auf ukrainische Fremdenlegionen verweisen
Moskau könnte auf ukrainische Fremdenlegionen verweisen, in denen eine große Zahl von Ausländern dient, insbesondere Polen. Andererseits verweigert Moskau ausländischen Söldnern den Rechtsstatus als Kombattanten und entzieht ihnen somit den Schutz der Genfer Konventionen. Auch eine Teilnahme von Nordkoreanern an Kämpfen auf russischem Gebiet wie Kursk wäre rechtlich anders zu bewerten als ihr Einsatz auf ukrainischem Territorium.
Gleichwohl bleibt aus westlicher Sicht ein ukrainischer Gegenangriff auf russisches Gebiet im Rahmen des Selbstverteidigungsrechts nach Artikel 51 der VN-Charta gerechtfertigt, und eine nordkoreanische Beteiligung auf russischer Seite wäre auch dort illegitim.
Ob der Westen allerdings die Kraft hat, in diesem Fall seine materiellen Anstrengungen zur Verteidigung der Ukraine zu erhöhen, wird auch davon abhängen, wie die Präsidentschaftswahlen in den USA am 5. November ausgehen.
Eine weitere Sorge gilt den Folgen, die sich für das nukleare Nichtverbreitungsregime ergeben. Denn Pjöngjang ist es durch die bilaterale Kooperation mit Moskau gelungen, seine internationale Isolation aufzuweichen und möglicherweise auch das Sanktionsregime zu umgehen.