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Überleben im Profisport: Wie schwer es ist, Golfprofi zu sein | ABC-Z

Der im Jahr 1913 angelegte Kurs bahnt sich buchstäblich seinen Weg durch den Stadtwald. Dass man an Bahn 1 praktisch in den Wald hineingeht und bei Loch 18 wieder hinauskommt, das sei einmalig und gibt es anderswo so nicht, sagt Helen Kreuzer – und die hat rund um den Globus schon unzählige Plätze gespielt.

Der Parcours ihres Heimatvereins Frankfurter Golf Club (FGC) hält am Ende noch ein famoses Finish bereit, das Beste kommt sozusagen zum Schluss: Der Abschlag von Bahn 18 gleicht einer erhöht gelegenen, gräsernen Panoramaterrasse, über den Baumwipfeln lugt die Frankfurter Skyline hervor. Für den Fotografen legt die 26-Jährige viermal einen Ball aufs Tee und schlägt ihn mit ihrem Driver weit hinunter gen Clubhaus – mit diesem ruhigen Aufschwung, der enormen Beschleunigung im Durchschwung und diesem blitzsauberen Treffmoment, der jeden Freizeitspieler schon beim Zusehen beglückt.

Helen Kreuzer ist Profigolferin. Auf dem heimischen Frankfurter Fairway ist sie deshalb nur selten unterwegs, weil viele Monate im Jahr Golfreisende mit Stopps auf allen Kontinenten. Seit knapp vier Jahren spielt sie auf der Ladies European Tour (LET), hält sich im Kreis der zweithöchsten Turnierserie nach der LPGA mit ihren in diesem Jahr 30 Turnieren in 20 Ländern.

Sie gibt sich ganz ihrer sportlichen Leidenschaft hin, die nicht selten harte, mitunter auch schier unbarmherzige Arbeit darstellt – im stetigen Streben nach dem einen LET-Turnier, bei dem ihr ein Topergebnis regelrecht zufliegt, weil in ihrem Spiel – das erleben Golfer wahrlich nicht alle Tage – an den vier Runden von Donnerstag bis Sonntag alles zusammenpasst.

Die Drives vom Abschlag funktionieren, die Grüns aus allen Distanzen werden getroffen, das kurze Spiel sitzt, die Putts fallen, kurzum: die pure Schönheit des Spiels. Die Bensheimerin Kreuzer ist jedes Turnier aufs Neue auf der Suche nach der Superwoche, die all ihren Fleiß belohnt und die sie so noch nicht hatte. Ob das Beste ihrer Karriere noch vor ihr liegt, wie jetzt gerade die herrliche Bahn 18 des FGC? Kreuzer weiß es nicht, sie hofft es.

Fokus auf den Sport: Helen Kreuzer hat es zum Profi geschafft – doch es zu bleiben, ist auch eine Herausforderung.Ben Kilb

Die Leidenschaft für ihren Sport, die es braucht, und den Lebensstil als weltreisende Profispielerin, den es erfordert, seien intakt – bei allen Härten, Hürden und Niederlagen, die Golf auf diesem Niveau mit sich bringt. Schließlich treten bei jedem Turnier 132 starke Spielerinnen gegeneinander an, wovon die Hälfte nach zwei Runden ausscheidet, also den sogenannten Cut nicht übersteht. Für diese untere Hälfte des Tableaus gilt: Außer Spesen nichts gewesen. Doch nur Topergebnisse, zumal bei den besser dotierten LET-Events (etwa zwischen 300.000 und drei Millionen Euro), ermöglichen es, mehr Geld durch Golf zu verdienen als durch Golf auszugeben.

Denn obwohl viele LET-Turniere live im TV bei einem Spartensender übertragen werden, sind Sponsoren über Ausrüstungsgegenstände wie Schuhe, Schläger und Bälle hinaus äußerst rar für Kreuzer und auch die anderen etwa zehn deutschen Spielerinnen, welche fast alle LET-Turniere spielen. In einer Superwoche ließe sich leicht mindestens ein halbes Jahresbudget verdienen. Was freilich Druck erzeugt in einer komplexen Einzelsportart, die prädestiniert dafür ist, zwischen Hochgefühlen und Frusterlebnissen zu changieren.

„Ein Bürojob wäre jetzt schön“

Für Golf und von Golf zu leben, sei ein Privileg und eine Phase in ihrem Leben, die ihr viel gibt und sie enorm viel lehrt, sagt Kreuzer. Auch wenn es natürlich Momente gebe, „an denen ich denke: Ein Bürojob wäre jetzt schön. Man darf sich aber auch im Profigeschäft nicht zu weit vom Spielerischen entfernen. Golf bleibt ein Spiel, das man spielen muss und nicht nur denken und tüfteln“.

Wie sie einst mit Teamkameradinnen in Bensheim oder später mit Mitstudentinnen am College in Florida nur für den Extrathrill um kleine Beträge je Bahn gezockt habe, dies sei der Herangehensweise als Profi gar nicht unähnlich. Natürlich gehe es um Geld. Aber in der Kategorie, dass dieser oder jener Putt auf der Tour nun Hunderte Euro wert sei, denke sie nicht. „Ich will den Ball einfach einlochen, egal ob im Training oder im Turnier“, sagt Kreuzer. „Ich liebe den Wettkampf, rauszugehen, und es geht um etwas.“

„Die Atmosphäre und das Miteinander“, sagt Helen Kreuzer, „ist besser als unter Amateurgolferinnen.“
„Die Atmosphäre und das Miteinander“, sagt Helen Kreuzer, „ist besser als unter Amateurgolferinnen.“Ben Kilb

Ihre vier Abschläge auf der schnurgeraden Bahn 18 des FGC liegen alle nahe beieinander mitten auf dem Fairway. Welch eine Konstanz! Zumal sie auf der Tour zu den Spielerinnen gehört, die den Ball vom Tee weit schlagen können. 220 bis 250 Meter erreichen ihre Abschläge. Was gute Voraussetzungen schafft, aber freilich nicht mal die halbe Miete für ein erfolgreiches Spiel ist. Es bedarf international auf der Tour auch einer besonderen Anpassungsfähigkeit. Kein Golfplatz gleicht einem anderen, allein die Grüns unterscheiden sich vom Gefälle bis hin zur Grassorte.

Windböen von 60 bis 70 Kilometern in der Stunde, wie sie beispielsweise in Südafrika aufbrausten, „kennen Kontinentaleuropäer auf ihren Plätzen kaum“, sagt Kreuzer. Dazu kommen Faktoren wie Tagesform, Selbstvertrauen, Spielglück, Momentum, Flow oder auch nur (sich ändernde) Wetterbedingungen. Die Kunst ist es nicht, einzelne Traumschläge zu schaffen, sondern ihr Spiel über vier Runden an vier Tagen, also fast 300 Schläge, stabil und fehlerarm zu halten.

Denn zwischen einer Nullrunde durch einen verpassten Cut, einem kleinen Trostbetrag oder einem Hauptpreis liegen bei den LET-Turnieren meist nur wenige Schläge. Unlängst bei den Tipsport Czech Ladies Open spielte Kreuzer die erste Runde einen Schlag unter Platzstandard, die zweite zwei über Par – und verpasste damit knapp den Cut.

Eine kleine Plüschkuh soll Glück bringen.
Eine kleine Plüschkuh soll Glück bringen.Ben Kilb

Auf der Bahn 18 (Par 4) in Frankfurt greift Kreuzer für ihren zweiten Schlag zu einer Wedge. Der Ball hebt ab, fliegt 90 Meter und landet keine vier Meter vom Loch entfernt auf dem leicht erhöht liegenden Grün, wo er dank des Spins, den sie ihm mitgegeben hat, sofort zum Stillstand kommt. Birdiechance! Das kurze Spiel ist ihre Stärke – auch weil es der Teil des Golfsports ist, in dem man durch Training, Fleiß und immerwährende Wiederholungen am meisten herausholen kann. Etwa 300 Bälle täglich auf der Driving Range und unzählige, die sie Pitchen und Putten widmet, gehören zu ihrem täglichen Trainingspensum. Und in diese Arbeit hat sich Kreuzer schon von Beginn an gerne gestürzt auf dem Golfplatz.

Kaum in der Nähe von Preisgeld

Ihre Eltern sind beide von Beruf Tennislehrer in Bensheim und nebenher begeisterte Golfer. Die kleine Helen begann wie selbstverständlich mit Tennis und machte auch früh ihre ersten Golfschläge. Mit zwölf Jahren spielte sie ihr erstes Golfturnier, das sie prompt gewann. Mit 14 war sie Teil des Hessenkaders und wurde auch schon in der Zweiten Bundesliga eingesetzt. Ihr Talent wurde erkannt und gefördert. Einen großen Leistungssprung machte sie nach dem Entschluss, ihr Studium in den USA aufzunehmen. Dem College-Golf sind schon viele große Karrieren entsprungen. In ihrem dritten Jahr an der Lynn University in Florida gewann sie drei Turniere innerhalb eines Halbjahres.

Viereinhalb Jahre verbrachte sie insgesamt in Amerika – wurde während ihrer Heimataufenthalte deutsche Meisterin, Teil des Nationalkaders und schloss sich der Erstligamannschaft des Frankfurter Golf Clubs an. „Es ging buchstäblich Schlag auf Schlag“, sagt Kreuzer lachend. Mit einem finalen Knalleffekt ihrer amerikanischen Studentenzeit: In ihrem letzten Einsatz wurde sie im Einzel NCAA National Champion (Division II). Zurück in Florida wurde sie mit Ehrungen überhäuft, ein großes Banner auf dem Campus kündete von ihrem Erfolg. Und es keimte der Wunsch in ihr, es mal zu versuchen: auf die harte Tou auf der Profitour. Der an der Uni erworbene MBA in Marketing verschafft ihr die Sicherheit, dass von ihren Leistungen auf Gras nicht ihre Zukunft im Leben abhängt.

Für Golf und von Golf zu leben, sei ein Privileg und eine Phase in ihrem Leben, die ihr viel gibt und sie enorm viel lehrt, sagt Helen Kreuzer.
Für Golf und von Golf zu leben, sei ein Privileg und eine Phase in ihrem Leben, die ihr viel gibt und sie enorm viel lehrt, sagt Helen Kreuzer.Ben Kilb

Seit ihrer College-Zeit beschriftet Kreuzer alle ihre Bälle mit einem filigranen schwarz-rot-goldenen Streifen – die Fortsetzung ihrer amerikanischen Angewohnheit, da es ihre Mitspielerinnen aus aller Welt ebenso machten, in ihren jeweiligen Landesfarben. Einer dieser Bälle liegt nun auf dem Grün von Bahn 18 im Frankfurter Stadtwald. Kreuzer puttet – verfehlt das Loch haarscharf, kein Birdie.

Von einem Birdie mehr oder weniger kann bei einem Turnier alles abhängen. Ob sie nach Anreise (in der Regel montags), Proberunden und intensivem Studium des Platzes (dienstags und mittwochs) nach den Auftaktrunden (Donnerstag und Freitag) noch auf den finalen Schlussrunden um Preisgeld dabei ist.

Seit ihrem hoffnungsvollen Saisonstart 2025 kommt Kreuzer nach der Rückkehr der LET-Tour nach Europa kaum noch in die Nähe von Preisgeld. Sieben Turniere in Serie ist sie nun mal knapper und mal deutlicher am Cut gescheitert. Kurz vor dem Interviewtermin mit der F.A.Z. spielte sie die Hulencourt Women’s Open in Belgien. Der Platz liegt wenige Kilometer von Waterloo entfernt. Nicht dass Kreuzer dort ihr persönliches Waterloo erlebte, aber eine verpatzte Auftaktrunde beraubte sie schon fast aller Chancen.

Mehrbettzimmer und Mietwagen

Auch beim German Masters und beim LET-Abstecher nach Irland lief es zuletzt nicht besser. „Leider ist es im Golf schwierig, etwas mit purem Willen oder Kraft zu erzwingen“, sagt Kreuzer schmunzelnd. Nun geht es für sie erst in vier Wochen in Schweden weiter. Nicht ausgeschlossen, dass es ihre letzten Monate auf der Tour werden, falls sie die Berechtigung für die Saison 2026 nicht erlangen sollte. Die Hessin lässt durchblicken, dass sie sich schwertäte, sich in der eine Klasse tiefer operierenden LETAS-Tour durchzuschlagen.

Um im LET-Ranking zu klettern, braucht es Punktgewinne. Bei der Verteilung der Punkte und des Preisgeldes ist im Golf vieles auf die ganz vorderen Platzierungen zugeschnitten. Es sei daher lohnender, so Kreuzer, „drei Wochen schlecht und eine Woche sehr gut zu spielen, als vier Wochen lang okay“. Auf der LET ist ein elfter Platz aus dem Jahr 2022 in Irland ihr bestes Resultat, vergoldet mit immerhin 8400 Euro, einer ihrer höchsten Einnahmen überhaupt. Nur, wer ständig auf Reisen ist, auf Dutzende Flüge, Hotelübernachtungen und Mietwagenkilometer angewiesen ist, weiß, dass auch die Fixkosten dementsprechend hoch sind.

Von Februar bis April, zu Saisonstart, bleibt der Tross gleich drei Monate am Stück in Übersee. Aus März 2024 stammt auch der größte Erfolg von Kreuzers Profikarriere. Sie gewann die Fidelity ADT Ladies Challenge, einen Stopp der unterklassigen südafrikanischen Turnierserie Sunshine Ladies Tour. Im Stechen bewahrte Kreuzer die Nerven, lochte einen Birdie-Putt aus drei Metern ein.

„Es gibt genug Mädels da draußen, denen es nie vergönnt sein wird, ein Profiturnier zu gewinnen“, sagt Kreuzer, die nun abwägen muss, ob sie ihren Sport weiter auf höchstem Niveau ausüben will und sich dabei den Stress weiterer LET-Saisons mit ihren Anforderungen und Entbehrungen antun möchte, aber so auch weiterhin in den Genuss der schönen Gemeinschaft mit einigen Spielerinnen kommen wird.

Um Kosten zu sparen, buchen sich befreundete Spielerinnen auf Reisen gerne gemeinsam in Hotel-Mehrbettzimmern oder Ferienwohnungen ein, legen auch bei Mietwagenbuchungen oder Taxi-Transfers am Turnierort zusammen. Wer den Cut nicht übersteht, übernimmt oft noch den Job des Caddy (Taschenträgerin) bei Kolleginnen. „Die Atmosphäre und das Miteinander“, sagt Kreuzer, „ist besser als unter Amateurgolferinnen. Der gegenseitige Respekt ist groß, weil jede ermessen kann, wie lange es dauert und wie viel man investieren muss, ehe man hier ankommt.“

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