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TV-Kritik zu Markus Lanz: Besuch von der Basis – Medien | ABC-Z

„Parteiloser Politiker“ steht irgendwann in dieser doch etwas länglich geratenen Sendung in der Bauchbinde von Boris Palmer. Was natürlich reichlich untertrieben ist. Palmer, seit fast 20 Jahren Oberbürgermeister Tübingens, ist schließlich einer der bekanntesten und umstrittensten Lokalpolitiker Deutschlands. 2023 trat er nach einem Rassismus-Eklat bei den Grünen aus. Vorher kritisierte er regelmäßig die Migrationspolitik seiner Partei, schrieb ein Buch mit dem Titel „Wir können nicht alle aufnehmen“, kommentierte eine Werbekampagne der Deutschen Bahn, in der Prominente mit Migrationsgeschichte zu sehen waren, mit der Frage, „welche Gesellschaft soll das abbilden?“.

Jetzt hat Palmer wieder ein Buch geschrieben, und da ist es doch ganz praktisch, dass Markus Lanz ihm pünktlich zwei Tage vor dessen Erscheinen einen Talkshowsessel freiräumt. Man wolle heute mal über ein Thema reden, das in der Öffentlichkeit kaum stattfinde, kündigt Lanz am Anfang an, Politik an der Basis, „da, wo’s passiert“. Palmer prophezeit nach wenigen Minuten: „Gemeindefinanzen, des isch ein absoluter Quotenkiller.“

Lanz lässt sich trotzdem nicht abschrecken. Und das Problem ist ja tatsächlich relevant: Die deutschen Städte und Gemeinden haben immer weniger Geld und immer mehr Schulden. Weil sie zusätzliche Aufgaben übertragen bekommen, weil die Steuereinnahmen durch die Wirtschaftskrise sinken. „Da kommen Gesetze von Bund und Ländern, von irgendwo, und dann heißt es: Macht mal“, sagt Jutta Steinruck, die Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen. Während Boris Palmer für seine Verhältnisse zurückhaltend bleibt, ist ihr Auftritt umso prägnanter.

Leider fehlt der Adressat

Fast eine Milliarde Schulden hat Ludwigshafen. Seit 30 Jahren herrsche in der Stadt Sparzwang, so sei kein Haushalt mehr zu machen, sagt Steinruck. „Das Ende der Fahnenstange ist erreicht.“ Nach 27 Jahren ist sie aus der SPD ausgetreten, bei der kommenden Wahl im September will sie nicht mehr antreten. Das sei ihre Form des Protests, sagt sie. Die AfD träumt schon davon, in Ludwigshafen den ersten Oberbürgermeister in Westdeutschland zu stellen. Ihr Kandidat hat nicht die schlechtesten Chancen.

„Das Vertrauen in die Demokratie wird vor Ort gestärkt – oder verloren“, sagt Achim Brötel, der Präsident des Deutschen Landkreistags (CDU). Es geht im Laufe der Sendung dann um neue Brücken, deren Planung mehrere Jahre braucht, um Schwimmbäder, die schließen müssen, weil kein Geld mehr da ist, um Schulen und Kitas, die kein Personal haben, um Kindern Deutsch beizubringen. Es fallen aufregende Wörter wie „Unfallverhütungsvorschrift“, „Einwegkunststoffverpackungsgesetz“, „Planfeststellungsbeschleunigung“.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Alle Gesprächspartner fänden weniger Bürokratie gut, und mehr Geld und Gestaltungsfreiheit für die Kommunen. Nicht schlecht wäre es gewesen, wenn die Gäste ihre Botschaften nicht nur dem verständnisvoll nickenden Lanz, sondern auch an die Bundes- oder Landespolitik direkt hätten richten können. So interessant die Perspektive von der Basis ist, zwischendurch hat man fast das Gefühl, an einem ziemlich unzufriedenen Stammtisch zu sitzen.

Eine gute Nachricht gibt es dann immerhin, Boris Palmer verkündet sie kurz vor Ende der Sendung. Als er beim letzten Mal bei Lanz zu Gast war, hatte der Tübinger Oberbürgermeister noch über Probleme mit dem Ziegenmelker geklagt, einen seltenen Vogel, dessen Existenz es dem Tübinger Uniklinikum lange unmöglich machte, sich durch einen Anbau zu erweitern. Dieses Problem sei inzwischen gelöst, berichtet Palmer.

Damals talkte mit ihm zusammen Bauministerin Klara Geywitz (SPD), die habe nach der Sendung so lange Druck gemacht, bis die Klinik eine Sondergenehmigung für den Anbau bekommen habe. Was Lanz wiederum dazu veranlasst, eine Passage aus Palmers neuem Buch zu zitieren. „Ohne Markus Lanz kannst du solche Probleme auch nicht mehr lösen.“ Herzhaftes Gelächter. Hat sich doch für beide gelohnt, dieser Abend.

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