TV-Kritik „Hart aber ritterlich“ zum Milliardenpaket von CDU und SPD | ABC-Z

Wenn es eine Erkenntnis gab nach dieser zerfahrenen wie fahrigen Diskussion bei „Hart aber fair“, dann war es keine besonders überraschende: Sie lag darin, dass die neuen Koalitionäre und ihre neue Opposition noch nach der bestmöglichen Position suchen, von der aus sie unter dem Zeitdruck der Situation operieren. Lässt man die harten Töne des Wahlkampfs so schnell wie möglich hinter sich, weil man die, die man eben noch für unzurechnungsfähig erklärt hat, jetzt dringend braucht? Oder erinnert man doch noch etwas länger an die Parolen und Beschimpfungen von vor Tagen und Wochen, um daraus mehr Spielraum zu gewinnen?
Bei Louis Klamroth markierten diese Positionen einerseits Herbert Reul, CDU-Innenminister von Nordrhein-Westfalen, und andererseits der Grünen-Bundesvorsitzende Felix Banaszak, der aber nur anfangs kurz zugeschaltet war. Es gehörte dann zum Interessantesten an diesem Abend, die beiden Politiker zu beobachten, wie nah sie sich dabei kamen, nicht mehr von gestern reden zu wollen.
Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Reul, weil es nicht angenehm ist, an die harten Attacken auf die Grünen und das kategorische Nein zur Lockerung der Schuldenbremse erinnert zu werden, mit dem sein Chef Merz noch bis vor kurzem Wahlkampf gemacht hat. Und Banaszak, weil es souverän aussieht, über solche Attacken erhaben zu wirken, indem man an die Sachfragen erinnert. Und so arbeiteten sie sich voran, für jeden deutlicheren Satz einen vageren.
Union und SPD haben ein atemberaubendes Verteidigungs- und Infrastrukturpaket vorgelegt. Sie wollen die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben aussetzen und ein 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen auflegen. Das geht nur mit einer Grundgesetzänderung und also einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag, es geht also nur mit den Stimmen der Grünen – wenn es denn überhaupt gelingt, das Paket noch im alten Bundestag zur Abstimmung zu bringen. Die Grünen hatten dem Plan noch am Nachmittag vor dem Abend dieser Sendung eine Absage erteilt und stattdessen ein eigenes Gesetzespaket vorgelegt.
Die Welt steht in Flammen, aber die Klimakrise ist nicht gemeint
„Ich kann verstehen, dass die stinkesauer sind“, sagte Reul jetzt also bei „Hart aber fair“, woran man seine Herkunft aus Nordrhein-Westfalen schön erkennen konnte. Dort regiert seine CDU seit Langem mit den Grünen, er verstehe es also, es sei jetzt aber eine andere Zeit: „Die Welt steht in Flammen und die pokern!“, rief Reul, und kurz war man da ganz irritiert, aber er meinte mit den Flammen gar nicht die Klimakrise, sondern den amerikanischen Präsidenten Trump.
Die „Verlässlichkeit“, sagte der Innenminister, sei nicht mehr gegeben, man befinde sich in einer „verdammt gefährlichen Situation“ und einer „neuen Lage“ unter Trump, die aber ja eigentlich, wer erinnert sich noch an die erste Novemberwoche, zeitgleich mit dem Platzen der Ampel eingetreten war. Es brauchte dann Michael Bröcker, den Chefredakteur von Table Media, Reul daran zu erinnern, dass man die Aggressivität und die Kehrtwende von Friedrich Merz „keinem Deutschen mit Trump erklären könne“, da wurde dann auch einmal kurz das Publikum im Studio laut.
„Wir wollen dieses Deutschland wieder fit machen!“, erklärte die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger, die für die SPD im Sondierungsteam sitzt, früh in der Sendung, und sie tat das mit all dem Nachdruck, den man aufbringen kann, wenn man dieses offenbar unfitte Deutschland bis vor fünf Minuten noch regiert hat.
Wo die Sozialdemokratin Rehlinger sitzt
Rehlinger saß direkt neben Reul, als der „innere Sicherheit, Terrorismus und Migration“ in einem Atemzug und in dieser Reihenfolge aufzählte. Die Sozialdemokratin suchte aber eben auch nach der Position mit dem größtmöglichen Deutungsspielraum für ihre Partei. Sie berief sich bei den geplanten Migrationspolitikverschärfungen einerseits auf europäisches Recht, andererseits appellierte sie an das Verhandlungsgeschick von Merz gegenüber den deutschen Nachbarn, später teilte sie auch die Sorgen der Friedensaktivistin Gesa Lonnemann, die Klamroth zu den steigenden Verteidigungsausgaben befragte.
Solche Kurzgespräche am Rande der Runde gehören ja zur Dramaturgie der meisten Politiktalkshows. An diesem Abend aber trug das Zwischenspiel nur weiter zur Zerfahrenheit des Ganzen bei. Und auch der Auftritt des ARD-Korrespondenten in der Ukraine, Vassili Golod, den man für seine Arbeit und Klarsicht nur bewundern kann, brachte dann letztlich leider nur noch ein Element mehr in ein Gespräch mit lauter an- und abgerissener Gedanken ein. Wenn auch ein dramatisches.
Die Wirtschaftswaise Veronika Grimm erinnerte (nicht zum ersten Mal) daran, dass stabiles Finanzwirtschaften für Europa auch eine Sicherheits- und Verteidigungsfrage ist. Jan van Aken von den Linken räumte immerhin ein, dass Putin ein Imperialist ist. Aber als der Abend dann zu Ende ging, fragte man sich eigentlich nur, mit wem der Grünen-Bundesvorsitzende Felix Banaszak wohl als nächstes geredet hat, nachdem er Klamroths Sendung nach zwanzig Minuten Schalte wieder verlassen hatte. Der Zeitdruck ist enorm, man spürte es daran, wie undeutlich hier diskutiert wurde.