Tuchel-Vorstellung: „Habe leider deutschen Pass. Aber Leidenschaft für England ist weitläufig“ | ABC-Z
In London wird Thomas Tuchel als neuer Nationaltrainer Englands präsentiert. Er versucht, den Kritikern mit einem Bekenntnis den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der smarte Deutsche hinterlässt mächtig Eindruck – und hat ein großes Ziel vor Augen.
Welch große Ehre ihm zuteil wird, macht ein Blick in die Geschichtsbücher des englischen Fußballs deutlich: Thomas Tuchel ist erst der dritte ausländische Trainer, der die „Three Lions“ anleiten darf. Vor ihm war das nur dem kürzlich verstorbenen Schweden Sven-Göran Eriksson (Januar 2001 bis Juli 2006) und dem Italiener Fabio Capello (Dezember 2007 bis Februar 2012) vergönnt gewesen.
Entsprechend gespannt blickten sie also nicht nur im Mutterland des Fußballs aufs Tuchels ersten Auftritt nach der offiziellen Verkündung der Verpflichtung durch den Verband FA am Mittwochmorgen. Nur wenige Stunden später präsentierte sich der smarte Deutsche bei der Vorstellung in London – und hinterließ gleich mal mächtig Eindruck. „Ich bin geehrt, hier als neuer englischer Nationaltrainer vorgestellt zu werden“, begann er sein Statement. Er habe gerade ein Zitat von Pelé gelesen, der sagte, Wembley sei das Herz des Fußballs, insofern freue er sich, an eben jener Stelle in Englands Hauptstadt präsentiert zu werden.
„Ich habe schnell verstanden, dass es ein großer Job ist. Ich habe allerdings auch in der Vergangenheit gelernt, dass man nichts vergleichen soll. Aber es ist ein Privileg, hier zu sein“, fuhr der mit einem grauen Sakko bekleidete 51-Jährige fort. „Die FA hat mir klar gemacht, dass es hier um Fußball geht, und als der Zeitrahmen bis zur WM 2026 ausgesprochen wurde, war ich Feuer und Flamme. Ich liebe, was ich tue, ich bin da wirklich leidenschaftlich. Diese Aufgabe hat mich noch einmal ein bisschen jünger werden lassen – aufgrund der Aufregung. Wir wollen Werte, Prinzipien und Regeln einführen, damit der große Traum erreicht werden kann.“
Ein Mega-Ziel – für Tuchel und England
Der besteht aus Sicht der leidgeprüften englischen Fans noch immer im ersten Titelgewinn seit der WM 1966. Dass nun ausgerechnet ein ausländischer Trainer die lange Wartezeit beenden könnte, war natürlich auch ein Thema bei der Fragerunde am Mittwochnachmittag. „Tut mir leid, ich habe leider einen deutschen Pass. Aber meine Leidenschaft für England und den englischen Fußball generell ist groß“, erklärte Tuchel zu den Vorbehalten einiger Fans und Experten. Was zuletzt aufgebaut worden sei, wolle er fortführen. „Ich werde alles geben, das verlange ich auch von mir selbst“, so Tuchel. Er werde „alles tun, dass wir uns zuallererst für die Weltmeisterschaft qualifizieren und dass wir dann eine erfolgreiche WM haben. Wir werden versuchen, den zweiten Stern auf unser Trikot zu bekommen“.
Zehn Kandidaten seien in der engeren Auswahl für den Job gewesen, teilte die FA während der Pressekonferenz mit. Er wolle sich mit vollem Herzen der neuen Aufgabe widmen, sagte der im Sommer beim FC Bayern geschasste Tuchel – dazu wolle er seinen Wohnsitz auch wieder nach England verlegen. Er liebe ohnehin den dortigen „Way of Life“.
Tuchel hatte am Dienstag einen Vertrag mit einer Laufzeit bis einschließlich der Weltmeisterschaft 2026 in den USA, Kanada und Mexiko unterschrieben. Ob sich der Kontrakt möglicherweise durch einige Klauseln wie einem positiven Abschneiden bei den globalen Titelkämpfen bis auf die EM 2028 ausdehnt, ist bislang nicht bekannt. „Ich habe gute Erfahrungen mit 18 Monaten, leider“, scherzte Tuchel – wohl mit Blick auf seine unfreiwillig zu Ende gegangene Station beim FC Chelsea, die ebenfalls 18 Monate gedauert hatte. Er arbeite daran, länger durchzuhalten, bekräftigte er.
Das Projekt beim seit dem WM-Gewinn 1966 titellosen Verband beginnt am 1. Januar 2025. Bis dato wird die englische Auswahl noch von Lee Carsley interimsmäßig trainiert. Er hatte nach der Demission von Gareth Southgate nach der 1:2-Finalniederlage gegen Spanien bei der EM in Deutschland den Posten übernommen. „Dieser Job verdient einen Weltklassetrainer, der Trophäen gewonnen und alles durchgemacht hat“, sagte Carsley kürzlich – und umriss damit quasi das Profil, das Tuchel erfüllt. Mit dem FC Chelsea gewann der deutsche Coach 2021 die Champions League, hinzu kommen weitere zehn Titelgewinne während seiner Zeit als Profitrainer.
jb