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TSV Dachau: Muhammed Hami bei der Taekwondo-Weltmeisterschaft in China – Dachau | ABC-Z

Ein Vormittag im Oktober, es ist kühl. Doch Muhammed Hami öffnet die Tür seiner Wohnung in Holzkirchen in kurzen Hosen. Er trägt Sportkleidung, nachher geht es direkt zum Training. Das findet jetzt jeden Tag statt, vor allem so kurz vor der Weltmeisterschaft. Zweimal am Tag trainiert der junge Sportler, vormittags in einem Fitnessstudio, abends geht es dann nach Dachau. Dort ist Hami für den TSV gemeldet, eine der besten Adressen für den Taekwondo-Sport in Deutschland. Der junge Mann Anfang 20 nennt sich in den sozialen Medien auch Hami Potter, angelehnt an die berühmte Romanfigur Harry Potter aus den Büchern von Joanne K. Rowling. „Einer meiner früheren Trainer hat mich so genannt“, erinnert sich Hami. Und weil sich Harry Potter gegen alle Widerstände behauptete, gefiel ihm der Vergleich. Schließlich ist auch seine eigene Geschichte voller Kämpfe, zum Teil ums Überleben.

Geboren in einem Dorf in der Nähe von Aleppo in Syrien erlebte Hami als Kind, wie der Bürgerkrieg in seinem Land ausbrach. Noch heute erinnert er sich an den Tag, als er sah, wie eine Rakete seine Schule traf und einen Mitschüler schwer verletzte. Eineinhalb Jahre lang hatte er die Schule besucht, dann endete mit dem Beginn des Krieges Hamis Bildungsgeschichte. Sein Vater hatte noch versucht, die Kinder des Dorfes eine Zeit lang zu unterrichten, später war dies nicht mehr möglich. Hamis Vater war es auch, der ihn zum Kampfsport brachte. Selbst begeisterter Karatekämpfer hatte er seinem Sohn früh die Techniken dieses Sports beigebracht. „Ich habe aber immer auch Taekwondo gemacht“, erzählt Hami am Küchentisch seiner Wohnung. „Mein Vater meinte, ich bin gut darin“, ergänzt er und lacht.

Als Elfjähriger musste Hami seine Heimat verlassen. Während seine Eltern von Terroristen entführt wurden, gelang ihm zusammen mit seiner älteren Schwester die Flucht nach Konya in der Türkei. Doch anstatt Sicherheit habe ihn dort ein entbehrungsreiches Leben erwartet, erzählt er. Hami musste arbeiten, um die Kosten für das Heim aufzubringen, in dem er untergekommen war. In dem Elektrobetrieb, für den er arbeitete, sei er oft geschlagen worden, erinnert er sich. Und ein Job reichte nicht, er musste zusätzlich in einem Restaurant, später in einer Apotheke arbeiten.

„Es war sehr schwierig“, fügt Hami mit leiser Stimme hinzu. Abends habe er oft geweint, auch an Selbstmord gedacht. Dennoch praktizierte er damals weiterhin Karate und Taekwondo. „Ich bin frühmorgens in den Park und habe trainiert“, erzählt der Kampfsportler. Sein Ziel: eines Tages bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften zu kämpfen, das habe er seinem Vater versprochen. Seinem Vater, der in den Händen von Terroristen in Syrien zurückgeblieben war.

Eindrucksvolle Sammlung: Muhamed Hamis Medaillen, die er bei nationalen und internationalen Wettberwerben gewonnen hat. (Foto: Manfred Neubauer)

Als syrischer Flüchtling konnte er in der Türkei zwar trainieren, durfte aber nicht bei Wettkämpfen antreten. Auch dies war einer der Steine, die ihm in den Weg gelegt worden waren. Überhaupt erlebte Hami in dieser Zeit viel Rassismus, erinnert er sich, als Syrer habe er nicht viel gegolten. Aus Scham habe er den anderen im Training erzählt, er gehe zur Schule – als Jugendlicher wollte er einfach dazugehören.

Damit sei Schluss gewesen, nachdem ein Trainer ihn um sein Erspartes betrogen habe: Hami zog, noch immer minderjährig, weiter nach Kocaeli in die Nähe von Istanbul. Dort sah er eines Tages einem Taekwondo-Wettbewerb zu. „An einem Tisch sah ich dann Trainer des deutschen Teams, die aber Türkisch sprachen“, berichtet er. Demirhan Aydin war einer von ihnen, Trainer beim TSV Dachau. Hami sprach ihn kurzerhand an und erzählte, er wolle unbedingt Taekwondo trainieren und bei Wettkämpfen antreten. Aydin habe ihm daraufhin eine Visitenkarte gegeben und ihn aufgefordert, sich zu melden, wenn er in Deutschland sei, erzählt Hami.

Kurze Zeit später machte er sich auf den Weg nach Deutschland – allein, mit wenig Geld in der Tasche, einer Wegbeschreibung von Google Maps und angetrieben vom Wunsch, Taekwondo-Kämpfer zu werden. „Ich muss das schaffen“, habe er sich immer wieder gesagt. In die Weltspitze aufsteigen, an Olympischen Spielen teilzunehmen. Dazugehören. Weil er wusste, dass der Seeweg gefährlich war, nutzte er Busse und ging zu Fuß, wo es nötig war, um sicher weiterzukommen. Zwölf Tage habe die Reise gedauert: Über Bulgarien, die Ukraine und Polen ging es nach Berlin und schließlich ins Ankerzentrum in Regensburg. Dort schickte man ihn als anerkannten Geflüchteten bald weiter nach Holzkirchen. „Eigentlich wollte ich gerne nach Dachau, um dort zu trainieren, aber von Holzkirchen aus geht das ganz gut“, sagt Hami.

Hier habe er es anfangs nicht immer leicht gehabt, berichtet der junge Sportler. Die teils traumatischen Erfahrungen aus der Vergangenheit forderten ihren Tribut, mehrfach habe der Notarzt helfen müssen. In Miesbach besuchte Hami eine Schule, um Deutsch zu lernen und danach den Mittelschulabschluss zu erlangen. Obwohl ihm gesagt wurde, dass er mindestens zwei Jahre dafür brauche, habe er den Abschluss nach einem Jahr in der Tasche gehabt, erklärt er stolz.

Inzwischen ist Hami in eine Wohngemeinschaft gezogen. Hier könne er sich auf die anstehenden Weltmeisterschaften konzentrieren, sagt er. Tägliches Training, ein strenger Ernährungsplan und möglichst wenig Ablenkung: Damit will er sein Ziel, eine Medaille zu gewinnen, erreichen.

Muhamed Hami, geboren in Syrien, lebt nun in Holzkirchen und trainiert in Dachau.
Muhamed Hami, geboren in Syrien, lebt nun in Holzkirchen und trainiert in Dachau. (Foto: Manfred Neubauer)

Und der Erfolg scheint Hami recht zu geben. Zwischenzeitlich belegte er Rang 13 auf der Taekwondo-Weltrangliste und erkämpfte sich mehrere Medaillen bei nationalen und internationalen Wettbewerben. Seit Anfang 2025 ist er Mitglied im Olympischen Flüchtlingsteam, für das anerkannte Geflüchtete antreten, die dies nicht für ihr Heimatland machen können. Zudem hat Hami einen Sponsoringvertrag von Adidas erhalten und ist als Sport-Influencer in den Sozialen Medien tätig. Auf Instagram folgen ihm 384 000 Menschen.

Dennoch sei es ihm wichtig, seinen Lebensunterhalt nicht nur mit Sport zu verdienen, betont Hami. Er hat eine Lehre zum Medizinischen Fachangestellten absolviert und wird nach den Weltmeisterschaften, die am 25. Oktober beginnen, in einer Holzkirchner Arztpraxis arbeiten. Nächstes Jahr startet sein eigenes Unternehmen, mit dem er Nachwuchssportler unterstützen möchte. Und 2028 will er zu den Olympischen Spielen nach Los Angeles fahren. Kein kleines Ziel, aber auch Harry Potter, Hamis Vorbild, hat große Ziele erreicht.

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