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TSV 1860 München: Empörung nach 0:4 gegen Verl – Sport | ABC-Z

Die Pfiffe zum Schluss fielen nur deswegen nicht so laut aus, weil viele Zuschauer schon gegangen waren. Nach jedem weiteren Gegentor in der zweiten Halbzeit standen Menschen auf, winkten ab, verabschiedeten sich. Das 0:4 der Sechziger am frühen Samstagabend gegen den SC Verl war ein Zeitraffer der vergangenen Monate, eine immer weiter um sich greifende emotionale Entkopplung von der Darbietung da unten auf dem Rasen. Schon zwischen dem 0:2 (76.) und dem 0:3 (77.) waren die ersten „Trainer raus“-Rufe zu hören. Übrigens war es auch von Anfang an gar nicht voll gewesen. In den sozialen Medien nehmen es einige dem Verein jetzt auch schon krumm, dass die Zuschauerzahl mit 15 000, also ausverkauft, deklariert wurde.

Die Fans sind womöglich gar nicht in erster Linie sauer, weil die Löwen schon wieder verloren haben. Sondern weil sie sich veräppelt vorkommen, wenn vieles, was Spieler und Funktionäre sagen und dann tun, einfach nicht zusammenpassen will. Trainer Argirios Giannikis, der am Sonntag noch nicht „raus“ war, hatte immer wieder betont in den vergangenen Wochen, dass daheim einfach auch das Spielglück fehle, Spieler hatten mehrmals betont: Ach, man muss doch nur einfach mal wieder in Führung gehen, Glück erzwingen, Bock umstoßen, solche Dinge.

Was die Zuschauer dann aber jedes Mal aufs Neue zu sehen bekommen, sind äußerst zaghafte Löwen. „Verl ist kein Leichtgewicht in ihrer Spielweise“, sagte Giannikis zur Begründung nach der höchsten Saisonniederlage. Man müsse da geduldig sein, dürfe sich nicht rauslocken lassen von so einer spielerisch starken Mannschaft. Fast schon empört gab Max Reinthaler nach dem Spiel zu Protokoll: „Ich glaube, die einzige Torchance bis zur 30. Minute haben wir.“ Es war tatsächlich die einzige, wenngleich eine Doppelchance von Julian Guttau und Thore Jacobsen (15.). „Verl ist nicht so, dass man die aus dem Stadion schießt“, merkte er noch an.

Es verstößt klar gegen die Löwenehre, das Spiel so stark nach einem, nun ja, Außenseiter auszurichten. Obendrein offenbarten sich zwischenzeitlich dann eben doch so große Lücken in der Defensive, wie sie auch oben auf den Tribünen zu sehen waren. Unmittelbar vor dem 0:2 hatte Sechzig eine der wenigen gefährlichen Strafraumszenen in Unterzahl gehabt. Der Gegenangriff lief in 15 Sekunden über sechs Stationen, in denen kein einziger Verler mit Ball angegriffen wurde. Dann schob Lars Lokotsch locker ein, Torwart und Fan-Liebling Marco Hiller sah dabei auch nicht gut aus. Julian Stark erhöhte, Leroy Kwadwo erzielte dann noch ein zum Abend passendes Eigentor (86.).

Nach Kozuki sieht Geschäftsführer Werner auch noch Rot

0:4 verlieren, das könnte man auch mit bedingungslosem Angriffsfußball, aber dann wäre wenigstens was los gewesen im Stadion. Diesmal hatte Giannikis aber sogar noch mit einer Systemumstellung versucht, noch mehr Stabilität (bzw. Langeweile) zu kreieren; so fand sich der 19-jährige, bemitleidenswerte, ordentlich auftretende Sean Dulic in der Mitte einer Dreierkette wieder, weil sich Raphael Schifferl am Freitag im Training verletzt hatte. Er bekam zwar eine frühe gelbe Karte (9.), aber „ich finde, er hat es sehr gut gemacht, an ihm lag’s nicht“, so der Trainer. Wahrscheinlich würden die Fans sogar eine Jugendwahn-Attacke des Trainers in Verbindung mit einer Niederlage besser verdauen als die Vorstellung gegen Verl. „Das hat mit Fußball nichts zu tuuuun“, sang gegen Ende jemand auf der Haupttribüne. Irgendwo in der Nähe des Besuchers Michael Köllner übrigens, der mit seinem 1,73-Punkteschnitt in 133 Sechzig-Spielen mittlerweile wirkt wie ein vom Hof gejagter Fußballweiser.

Kurz schien es, als ob dieses zunehmend leblose Grünwalder Stadion so etwas wie eine Wagenburg-Atmosphäre entwickeln könnte. Die Empörung war groß, als Soichiro Kozuki nach einer halben Stunde Rot sah, weil er Yari Otto über dem Knöchel getroffen hatte (30.), nach einem „Umschaltmoment“, wie Giannikis später sagte – man hätte auch sagen können, Kozuki hatte sich nach einem verdaddelten Sololauf selbst in die Situation gebracht. Geschäftsführer Christian Werner, der ja kürzlich einen Brief an den DFB geschrieben und darin von Wettbewerbsverzerrung gesprochen hatte, sah dann gleich nach Kozuki auch noch Rot, offenbar wegen einer Beleidigung des Schiri-Assistenten.

Von der Tribüne aus sah er das 0:1 für Verl durch Dominik Steczyk (43.). Doch die Empörung verpuffte, großen Rückhalt erfuhr die Mannschaft nicht. Nach dem Spiel folgte ein kurzer, von Pfiffen begleiteter Spieler-Abschied von der Westkurve, wo während des Spiels noch ein Banner mit „Frohe Weihnachten allen Löwenfans“ zu sehen war. Vielleicht ist es ja so bei Sechzig: Wenn die stade Zeit vorbei ist, wird’s vielleicht auch mal wieder ruhiger.

Giannikis-Fußball kann durchaus auch erfolgreich sein, das hat der Deutschgrieche, der zum 10. Januar den Job übernahm, auch schon gezeigt, und der Kader ist auf dem Papier stark genug, um in der dritten Liga oben mitzuspielen. Wie aber der Giannikis-Fußball jetzt noch diese Begeisterung wecken soll, die seine Fans so dringend brauchen wie der Löwe rohes Fleisch, das ist ein großes Rätsel. Zumal vor der Pause nur noch ein Spiel bei Erzgebirge Aue ansteht.

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