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Trumps Vorschlag für Gazastreifen: Was, wenn aus Trumps Mar-a-Gaza doch etwas Sinnvolles entsteht? | ABC-Z

Außer Trump selbst hält kaum jemand seinen Vorschlag für realistisch, im Gazastreifen nach einer Übernahme der USA eine „Riviera“ des Nahen Ostens aufzubauen. Im Vorstoß des US-Präsidenten sehen aber einige liberale Stimmen in Israel die Chance, eine Debatte anzustoßen.

Donald Trump hat eine einfache Sicht auf die Dinge. Wenn der US-Präsident über einen der kompliziertesten Konflikte der Welt redet, klingt er wie der Immobilienentwickler, der er einst war. Trump löste mit seinem Vorstoß, die USA würden den Gazastreifen „langfristig in Besitz nehmen“ und alle dort lebenden Palästinenser umsiedeln, um das Gebiet anschließend in die „Riviera des Nahen Ostens“ zu verwandeln, weltweit massive Kritik aus. Sowohl die UNO als auch mit den USA verbündete Staaten und Palästinenservertreter wiesen die Pläne scharf zurück.

Auch viele Experten bezeichnen Trumps Vorschlag für den Gazastreifen als gefährlich und vollkommen abwegig. „Auf der Pressekonferenz am Dienstag behauptete Trump, jeder, mit dem er darüber gesprochen habe, habe gesagt, dies sei eine fantastische Idee. Das wirft die Frage auf: Mit wem hat er da gesprochen? Denn die komplette Welt, außer vielleicht einige Israelis, sagt, das sei nicht realisierbar“, sagt Nahost-Experte Peter Lintl von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), im Gespräch mit ntv.de.

Die US-Demokraten spotten bereits über Trump: Er habe zu viel Zeit auf seinem luxuriösen Anwesen in Mar-a-Lago in Florida verbracht, weshalb er jetzt von einem Mar-a-Gaza träume. Dazu passt Trumps Aussage in seiner Pressekonferenz mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, die USA würden im Gazastreifen als „Eigentümer“ ein Mekka für Arbeitsplätze und Tourismus schaffen. Folgte Trump einer Impulshandlung, als er mit Netanjahu vor die Presse trat und seinen abenteuerlichen Plan verkündete? Es scheint so.

Laut Berichten in US-Medien waren sogar viele Mitglieder seines Kabinetts nicht in Trumps Pläne eingeweiht. Trumps Sprecherin Karoline Leavitt versuchte anschließend in Washington, den abenteuerlichen „Riviera“-Vorstoß ihres Chefs wieder einzufangen. Dabei betonte sie vor allem, die USA würden sich finanziell nicht am Wiederaufbau des Gazastreifens beteiligen und auch keine US-Truppen in das Gebiet schicken. Dem Einsatz von US-Truppen im Gazastreifen erteilte daraufhin auch Trump eine Absage.

Rubio: Trump will Staaten mit Vorstoß „aufrütteln“

Sein Außenminister Marco Rubio legte aber nach, indem er versuchte, Trump als unkonventionellen Denker mit frischen Ideen darzustellen. „Ich habe den Eindruck, dass viele Staaten in der Welt ihre Besorgnis über den Gazastreifen und das palästinensische Volk zum Ausdruck bringen, aber in der Vergangenheit nur sehr wenig bereit waren, etwas Konkretes zu unternehmen“, sagte Rubio bei einem Besuch in der Dominikanischen Republik. Trump versuche lediglich, diese Staaten „aufzurütteln und hoffentlich eine Reaktion von einigen Ländern zu erhalten“.

Für Stephan Stetter, Professor für Internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität der Bundeswehr München, verstellt Trumps Vorstoß hingegen den Blick auf den Weg hin zu einer konstruktiven Lösung des palästinensisch-israelischen Konflikts. „Der Weg vorwärts ist eine internationale Allianz der USA mit den arabischen Staaten, vor allem mit Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Gemeinsam mit diesen Staaten muss ein umfangreicher Wiederaufbauplan für den Gazastreifen entwickelt werden“, so Stetter im Gespräch mit ntv.de. Diesen Wiederaufbauplan müssten neben den arabischen Staaten wahrscheinlich auch die Europäer bezahlen, weil die Amerikaner sich finanziell zurückhalten werden. Schrittweise müssten die arabischen Staaten eine tragende Rolle im Gazastreifen übernehmen, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Die Terroristen der Hamas dürften keinesfalls mehr die Kontrolle über den Gazastreifen haben. Stattdessen müssten Institutionen geschaffen werden, damit die Palästinenser ihre Positionen politisch formulieren können.

Allerdings gibt es auch andere Blickwinkel. Aus der Sicht einiger liberaler Israelis ist die Lage in der Region mittlerweile so verfahren, dass sie sogar Trumps Vorschlag als eine Art Anstoß für eine konstruktive Debatte sehen. Zwar jubilieren vor allem die rechtsextremen Parteien in Netanjahus Regierung, die den Waffenstillstand ablehnen und eine Annexion des Gazastreifens durch Israel fordern – und jetzt mehr Möglichkeiten wittern. Doch auch gemäßigte Kräfte in der israelischen Opposition zeigen sich nicht abgeneigt.

„Leider betreibt Trump keine Politik auf Augenhöhe“

So bezeichnete der liberale Oppositionsführer Jair Lapid den gemeinsamen Auftritt Trumps mit Netanjahu als eine „gute Pressekonferenz“. Trumps Vorstoß wollte er nicht sofort eine Absage erteilen. „Wir müssen die Details studieren, um zu verstehen, was der Plan in Gaza ist“, sagte Lapid dem israelischen Armee-Radio – und fügte hinzu, er beabsichtige, „den Amerikanern einen ergänzenden Plan“ bei seinem geplanten Besuch in Washington Ende des Monats vorzulegen. Auch der konservative Oppositionspolitiker Benny Gantz begrüßte Trumps Idee, sah in ihr gar einen „weiteren Beweis für die tiefe Allianz zwischen den Vereinigten Staaten und Israel“.

Auch für Uriel Kashi birgt Trumps Vorschlag zwar große Risiken, aber auch Chancen. Die Risiken liegen auf der Hand: „Trump spielt mit dem Feuer“, sagt Kashi ntv.de. „Es besteht die große Gefahr, dass er die arabischen Staaten und moderate Palästinenser vor den Kopf stößt, was letztlich zu einer Verschärfung des Konflikts führt“, so der Leiter der internationalen Jugendbildungsstätte Beit Ben Yehuda in Jerusalem. Das Gleiche sei bereits 2020 geschehen, als Trump mit seinem „Deal of the Century“ drohte, Israel die Annexion von Teilen der Westbank zu erlauben – wobei er die Palästinenser nicht in die Pläne einband. Das habe einerseits die weitere Radikalisierung im Gazastreifen zur Folge gehabt, sagt Kashi. Andererseits habe es auch einen positiven Effekt gegeben: Der Druck, den Trump aufbaute, habe dazu geführt, dass mit den Abraham-Abkommen eine Friedensabsichtserklärung zwischen Israel, Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten zustande kam. Kashi ist wie der Nahost-Experte Stetter davon überzeugt, dass die arabischen Staaten eine tragende Rolle spielen müssten, um im Gazastreifen abseits der Terrorherrschaft der Hamas Sicherheitsbehörden aufzubauen.

Diese arabischen Länder könnten sich durch den abenteuerlichen Vorstoß nun gezwungen sehen, zusammenzurücken, um gemeinsam mit Israel an konstruktiven Lösungen zu arbeiten – wie damals bei den Verhandlungen über die „Abraham Accords“. „Leider betreibt Trump keine Politik auf Augenhöhe. Er hat der arabischen Welt und der palästinensischen Führung zu verstehen gegeben, dass er sie als schwach ansieht“, so Kashi. Dies jedoch könnten arabische Staaten zum Anlass nehmen, Trump gemeinsam einen Gegenentwurf zu seinem „Riviera“-Vorschlag zu präsentieren. „Deswegen glaube ich, dass dieser Aufruhr tatsächlich auch was Positives bewirken kann“, sagt Kashi.

Im Gazastreifen liegen 50 Millionen Tonnen Trümmer

Gibt also ausgerechnet Trump jetzt tatsächlich den Anstoß für eine konstruktive Diskussion? Die Antwort auf diese Frage könnte es schon kommende Woche geben, wenn König Abdullah II. bin al-Hussein von Jordanien Trump in Washington treffen wird. In zwei Wochen wird der ägyptische Präsident Abd al-Fattah as-Sisi zu Besuch im Weißen Haus sein. Die beiden könnten Trump bei dem Treffen ihre Vorstellungen von einer Lösung für den Gazastreifen unterbreiten – die vermutlich wenig mit der Mar-a-Gaza-Fantasie des US-Präsidenten zu tun haben.

Trumps Idee, den Gazastreifen in eine „Riviera“ des Nahen Ostens zu verwandeln, hält auch Kashi für „anspruchsvoll“. Kashi betont, welche Kraftanstrengungen nach Angaben der Vereinten Nationen unternommen werden müssten, um den Küstenstreifen wieder aufzubauen: Nach der Beschädigung von 60 Prozent der Gebäude liegen dort 50 Millionen Tonnen Trümmer; mehr als 20 Jahre kann der Wiederaufbau dauern und bis zu 100 Milliarden Dollar kosten. Damit ist klar: Trumps „Riviera“ ist das Hirngespinst eines einstigen Immobilienentwicklers – auch wenn er eine konstruktive Debatte anstoßen könnte.

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