Trumps Ode an sich selbst | ABC-Z

Washington. Mehr als 90 Minuten dauerte Donald Trumps erste Rede nach der Wiederwahl vor dem Kongress. Europa und der Ukraine-Krieg kamen kaum zur Sprache.
Wer gehofft hatte, dass US-Präsident Donald Trump fünf Jahre nach seiner letzten Regierungserklärung ein wenig weiser, abgeklärter, versöhnlicher und ja – womöglich auch etwas bescheidener auftreten würde – der erlebte eine herbe Enttäuschung. Trumps Regierungserklärung vor der Vollversammlung des US-Kongresses bestand aus mehr als 100 Minuten an Übertreibungen, Selbstbeweihräucherung, unverfrorenen Lügen und Beleidigungen seiner politischen Gegner.
Die europäischen Partner sollte die untergeordnete Bedeutung des russischen Angriffskriegs in der Ukraine nachdenklich stimmen. Es dauerte eineinhalb Stunden, bis Trump sich der transatlantischen Differenzen überhaupt annahm. Dann warf der Präsident der EU vor, mehr Geld für russisches Öl und Erdgas auszugeben als für Ukraine-Hilfe. „Wir haben 350 Milliarden Dollar beigesteuert“, sagte Trump. Europa hingegen, das viel näher dran ist am Geschehen, nur einen Bruchteil davon.
Immerhin bedankte sich Trump für die Bereitschaft des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und das anvisierte Rohstoffabkommen zu unterschreiben. Womöglich ein Zeichen dafür, dass mit US-Beteiligung Hoffnung auf eine Waffenruhe und Friedensverhandlungen mit Moskau besteht.
Ein Potpourri aus Trumps Lieblingsthemen
Trump komponierte ein Potpourri aus seinen Lieblingsthemen. Alle direkt aus dem Drehbuch des rechtsgerichteten „Project 2025“. Denn die neue Regierung trägt die Handschrift des über 900 hundert Seiten umfassenden Werks. Dieses sieht rabiates Vorgehen gegen Migranten, eine Kriegsansage an den staatlichen Verwaltungsapparat und die Förderung fossiler anstelle von erneuerbaren Energien vor. Auch Zölle gegen Länder mit bilateralen Handelsüberschüssen und das Ende von Transgender-Rechten sowie der Förderung ethnischer Minderheiten.
Diesbezüglich schilderte Trump die Erfolge der ersten sechs Wochen im Amt in leuchtenden Farben und mit zahlreichen Superlativen. „Wir haben in sechs Wochen mehr geleistet als andere Regierung in vier und sogar acht Jahren“, sagte Trump. Zu den wenigen wahrheitsgetreuen Aussagen zählte die Feststellung, dass die Zahl der illegalen Migranten, die ins Land strömten, seit seinem Amtsantritt von etwa 150.000 am Tag auf weniger als 10.000 geschrumpft ist. Eine Verdoppelung der wahren Zahlen ist hingegen die Behauptung, dass während Bidens Amtszeit 21 Millionen illegale Migranten ins Land kamen.
Lob für Musks DOGE-Gremium
Auch war sein Lob für Elon Musk und dessen Behörde Department of Government Efficiency (DOGE) nicht ohne Fundament. Er sprach von nicht bestätigten 22 Milliarden Dollar, die der Staat ausgab, um Wohnungen für illegale Migranten zu finanzieren. Er zählte Dutzende von Beispielen unnötiger Verschwendung auf, im In- und Ausland.
Die Abgeordnete Nydia Velazquez und andere Demokraten halten Protestschilder während der Rede hoch.
© dpa | WIN MCNAMEE
Rasch war Trump aber wieder in seinem Element: Eine Ode an sich selbst. Mit Unwahrheiten ohne Ende. Etwa, dass allein sein Vorgänger Joe Biden, der angeblich „schlechteste Präsident aller Zeiten“, Schuld an den hohen Preisen sei. Dabei war die Inflation in erster Linie ein Auswuchs der Lieferkettenstörungen im Gefolge der Corona-Krise, die über 1 Million Amerikaner das Leben kostete und von Trump verharmlost wurde.
Rede war reich an Pathos
Fehlen durfte natürlich nicht der obligatorische und tiefe Griff in die Pathos-Truhe. Zu Trumps Gästen zählten der Lehrer Marc Fogel aus Pennsylvania. Er hatte bis Februar dreieinhalb Jahre in einem russischen Knast gesessen, weil er eine paar Gramm medizinischen Cannabis bei sich hatte. Im Zuge des Gefangenentausches hatte Trump den russischen Cyber-Verbrecher Alexander Vinnik nach Moskau zurückgeschickt. Vermutlich sogar aus Dankbarkeit, war es doch Vinniks Software, die 2016 benutzt wurde, um während des demokratischen Parteikonvents Cyber-Attacken durchzuführen.

Republikaner stehen und Demokraten sitzen, während US-Präsident Donald Trump vor einer gemeinsamen Sitzung des Kongresses im Repräsentantenhaus des US-Kapitols spricht.
© dpa | Julia Demaree Nikhinson
Zu Gast hatte der Präsident auch eine Volleyballspielerin, die eine Gehirnerschütterung erlitt und teilweise gelähmt ist, weil sie der knallharte Ball eines gegnerischen Transgender-Spielers ins Gesicht getroffen hatte.
Trump warb für seine Steuersenkungen und wetterte gegen die einseitige Handelspolitik der EU und anderer Handelspartner, die „noch nie fair gegenüber den USA waren“. Deswegen würden am 2. April reziproke Zölle greifen gegen Länder, die US-Produkte mit höheren Zöllen belegen als umgekehrt. Dazu zählen insbesondere die EU, China, Mexiko, Kanada und Indien. Obwohl er versprach, die Inflation zu senken, sind Ökonomen mehrheitlich der Überzeugung, dass Trumps Zölle einen starken Inflationsschub auslösen werden.
Spaltung der Nation geht weiter
Unterm Strich stellte sich aber die Frage, welchen Beitrag Trumps Tirade zur Heilung einer Nation beigetragen hat, die so tief gespalten ist wie zu keinem Zeitpunkt seit dem US-Bürgerkrieg. Nach anfänglichen Störungen hielten sich die Proteste der Demokraten in Grenzen.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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Doch entgegen seinen eigenen Beteuerungen ist Trumps Beliebtheit während der ersten eineinhalb Monate gesunken. Seine politische Basis hält zu ihm und bleibt unerschütterlich. Doch die unversöhnliche Haltung gegenüber der Opposition, der Trump selbst die Schuld für nicht-existierende Probleme zuschob – etwa der „wirtschaftlichen Katastrophe“, die es bei solidem Wachstum nicht gibt – verheißt nichts Gutes. Weder für die USA noch die Verbündeten in Europa.