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Trumps Ideen zum Kapitalismus sind Unsinn | ABC-Z

Es ist eine Lehrstunde in Wirtschaft. Genauer gesagt, eine Viertelstunde. In dieser kurzen Zeitspanne erklärt Noch-Finanzminister Jörg Kukies (SPD) den Amerikanern auf seine freundlich-verbindliche Art, wie Kapitalismus funktioniert. In Washington, also gleichsam in der Höhle des Löwen. Es geht natürlich um Donald Trump und seine merkwürdige Liebe zu Zöllen – wie könnte es in diesen Tagen anders sein.

Die Moderatorin der Wirtschaftskonferenz erinnert daran, dass es nach Ansicht des amerikanischen Präsidenten schon viel zu lange zu viele deutsche Autos in New York gibt. Daraufhin berichtet Kukies aus seinem Privatleben: „Meine Frau fährt ein amerikanisches Auto.“ Was für einen? „Einen BMW, der in Spartanburg, South Carolina, hergestellt wurde.“

Flott schiebt er noch hinterher: „Ich habe gerade mit dem Finanzminister von Baden-Württemberg gesprochen, das ist die Heimat von Mercedes, und sein neues offizielles Auto ist auch ein amerikanisches Auto – das in Chattanooga von Mercedes gebaut wurde.“ Und eine Pointe gibt es obendrauf: „BMW ist wertmäßig der größte Exporteur von Autos, den die Vereinigten Staaten von Amerika haben.“

Die Lehre der Geschichte: Es gibt nicht nur reine deutsche Autos oder rein amerikanische Autos. Vielmehr ist alles miteinander verbunden: Deutschland, Amerika, Kanada, Mexiko. Wer das Ineinandergreifen dieser Lieferketten mit Zöllen erschwert, macht die Länder des Westens am Ende des Tages weniger wettbewerbsfähig gegenüber China.

Wenn alle von Trump unter Druck Gesetzten sich zusammenschlössen…

Das war am Mittwoch. Es ist einmal mehr Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank. Aber anders als üblich ist der deutsche Minister seiner Delegation einen Tag vorausgeflogen. Es sind noch mehr Termine als sonst. Kukies eilt von hier nach dort, als wenn er noch alles neu gestalten könnte und nicht wenige Tage vor dem absehbaren Ende seiner Amtszeit stünde. Er trifft seine Kollegen aus China, Indien, Indonesien.

Den Amerikaner Scott Bessent sieht er vier oder fünf Mal in verschiedenen Runden, etwa in der Gruppe der sieben westlichen Industrieländer oder der heterogenen Zwanzigergruppe. Es geht in diesen, aber auch in der Steuerungsgruppe des Währungsfonds vor allem um die labile Wirtschaftslage. Wie Kukies in Washington nüchtern ausführte, belastet Trumps Zollpolitik die Entscheidungsfreude von Investoren und die Zuversicht der Konsumenten. Je länger die Verunsicherung andauert, umso größer sind die Wachstumseinbußen.

Wenn nicht alle Zeichen aus der Heimat täuschen, wird es das letzte große internationalen Treffen für den SPD-Politiker sein, der erst im November als Ersatz für Christian Lindner (FDP) an die Spitze des Finanzministeriums gerückt ist, nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) diesen hochkant aus seinem Kabinett geworfen hatte. Kukies schmiss sich in seiner neuen Rolle mit der ihm eigenen Dynamik in das Geschehen. Der frühere Investmentbanker strahlte Kompetenz – und zunehmend Freude an dem Amt aus. Ob es um die Standortbedingungen in Europa oder die labile Lage an den Märkten geht, der gebürtige Mainzer (Jahrgang 1968) kann dazu aus dem Stand beeindruckende Faktenberge aufschichten.

Kukies kennt das Gefangenendilemma

Die Zoll-Krise unterschiedet sich von früheren Krisen (Finanz, Euro, Corona, Ukraine), weil sie nicht überraschend aus dem Nichts entstanden ist. Trump macht vielmehr das, was er im Wahlkampf angekündigt hat, vielleicht radikaler als erwartet, aber letztlich folgt er seinem Drehbuch. Er setzt andere Regierungen gezielt unter Druck, um ein für Amerika vorteilhaftes Geschäft („Deal“) zu erreichen. Dabei versucht er, die anderen Länder gegeneinander auszuspielen. Dass die Verunsicherung die Märkte belastet, nimmt er in einem gewissen Maß in Kauf, er rudert nur zurück, wenn die Kurseinbrüche zu groß werden.

Als Ökonom kennt Kukies das Gefangenendilemma aus der Spieltheorie. Wenn einer als Kronzeuge gesteht, kommt er glimpflich davon, wenn alle gestehen, endet es für alle übel – worauf es hinausläuft, wenn man sich nicht absprechen kann. Übertragen auf die aktuelle Lage heißt das: Wenn alle von Trump unter Druck Gesetzten sich zusammenschlössen, könnten sie mehr erreichen. Da sie aber nicht wissen, ob nicht einzelne in der Erwartung ausscheren, mehr für sich herausholen zu können, haben am Ende alle ein suboptimales Ergebnis. Offenbar handelt Trump in diesem Sinne – und so muss die Welt noch eine Weile mit politisch gezielt gestreuter Unsicherheit leben. Doch Kukies scheint ein unverbesserlicher Optimist zu sein. Er strahlt weiterhin Zuversicht aus, dass es nicht ganz so schlimm kommen wird, wie es kommen könnte.

Tatsächlich gibt es ermutigende Signale. Erst vor wenigen Tagen sagten IWF und Weltbank Argentinien ein Kreditpaket von 32 Milliarden Dollar zu. Und die Ukraine erhielt Ende März eine weitere Hilfs-Tranche. Ohne die Amerikaner wäre beides kaum gegangen. Offenbar sieht selbst die fast alles in Frage stellende Trump-Regierung den Währungsfonds als eine Institution an, die in der Welt noch gebraucht wird.

Bei der Weltbank kann man sich da weniger sicher sein. Entsprechend groß war vor der Frühjahrstagung die Spannung, wie sich die Amerikaner positionieren würden. Trumps Finanzminister attackierte den IWF und die Weltbank auf einer Veranstaltung am Rande der offiziellen Treffen zwar scharf, aber von einem Ausstieg seines Landes aus den beiden Institutionen sprach er gleichwohl nicht. Das war nach dem Drehbuch der konservativen Denkfabrik Heritage Foundation für die zweite Trumpsche Amtszeit eine Option, die Amerikas alte Partner einige Sorgen bereitet hat.

Am 6. Mai ist für Kukies vermutlich alles vorbei. Dann dürfte Friedrich Merz (CDU) zum Kanzler gewählt werden, dann werden seine Minister ihre Ernennungsurkunden erhalten. Der frisch gekürte Finanzminister darf keine zwei Wochen später zum Treffen mit seinen Kollegen aus der Siebenergruppe ins kanadische Banff reisen. Parallel gilt es, den fehlenden Haushalt 2025 samt bis zum Jahr 2029 reichender Finanzplanung auf den Weg zu bringen. Das ist schon in normalen Zeiten ein enormer Kraftakt, die alte Koalition war an dieser Aufgabe zerbrochen.

Wie Schwarz-Rot Lücken zu schließen gedenkt, die trotz neu geschaffener Kreditmöglichkeiten bestehen bleiben, ist eine brisante Frage. Wer den Sozialdemokraten Kukies in diesen besonderen Tagen aus der Nähe beobachten kann, spürt, dass er liebend gern weitergemacht hätte. Pflichtbewusst, wie er ist, wird er aber auch bis zur letzten Minute alles tun, damit die Staffelübergabe an seinen Parteifreund gelingt.

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