Jazz im Rittersaal: Musikalische Therapie gegen den Herbstblues – Starnberg | ABC-Z

Die „Seasonal Concerts“ der Marke Kunsträume am See müssen keinen Wintereinbruch fürchten: Das treue Stammpublikum füllte den Rittersaal des Schlosses Kempfenhausen reichlich. Und diesmal wogen die Argumente gegen die Trägheit des Novemberblues besonders schwer, denn Jazzgeiger Max Grosch und sein Duo-Partner an den Tasteninstrumenten Matthias Bublath hatten ein Schwergewicht zu Gast – im übertragenen Sinne: Der Schauspieler August Zirner ist nicht nur begehrter Filmdarsteller auf Fernsehbildschirmen und Kinoleinwänden, sondern auch ein gewandter Leser und Rezitator, vor allem aber ein glänzender Jazzflötist, der gerne Sprache mit Musik in Verbindung bringt.
Der Titel „Autumn Comes, Autumn Leaves“ versprach Poetisches, mit dem Untertitel „Herbsttherapie“ zugleich aber auch Herzerwärmendes, bisweilen sogar mit einem Augenzwinkern. Jetzt könnte man sich darunter einen sentimental-betulichen Abend vorstellen, der ja die aufs Gemüt drückende Herbstmelancholie geradezu weiter befeuert hätte. Doch weit gefehlt: Die Seasonal Concerts zeichnen sich gerade besonders dadurch aus, dass die Gäste nicht lediglich das Ensemble erweitern, sondern stets mit einem besonderen musikalischen Konzept in Szene gesetzt werden. Und das Duo Grosch-Bublath zaubert schon erstaunlich viele Möglichkeiten her.
Grosch ist dabei der eher zurückhaltende Mitspieler, der einfühlsam taktiert und seinen Part sensibel erfühlt. Natürlich vermag auch er kernige Soli zu kreieren, aber als zweite Stimme agiert er vorzugsweise sparsam, manchmal nur mit einer Pizzicato-Basslinie oder angeschlagenen Akkorden, oder er überlässt phasenweise das Feld gänzlich den Mitspielern. Schon vom Instrument her ist Bublath präsenter, der hier sowohl die Rolle der Bassunterlage, der Rhythm Section, aber auch des führenden melodischen Instruments wie des virtuosen Improvisators bediente. Stilistisch gesehen sehr vielfältig, zumal er nicht nur in die Flügeltasten griff, sondern auch einen Synthesizer heranzog, experimentelle Klangspiele nicht ausgeschlossen. Er war hier die antreibende Energiequelle, die zuweilen mit ruppigerer Textur sogar eines Honky Tonk oder Stride Pianos für reichlich Unruhe sorgte.
Spieltechnische Finessen, wilde Ausschweifungen: Zirner findet leicht in seine musikalische Rolle
Zirner fand in diesem eigentümlichen Mix erstaunlich leicht in seine musikalische Rolle. Mal skandierte er unisono mit Grosch packend rhythmisierte Motive, mal erging er sich in experimentellen Farbspielen. Dann schweifte er melodisch umher oder vertiefte sich in eine Narration, mal steigerte er sich in Soli bis zu spieltechnischen Finessen oder wilden Ausschweifungen – letzteres in der Zugabe mit „Chameleon“ von Herbie Hancock geradezu ekstatisch. In der mittelgroßen Studentenstadt Urbana in Illinois (USA) geboren und aufgewachsen, hat Zirner Jazz im Blut, zumal er sich als Sohn eines aus Wien stammenden Konzertpianisten und Opernregisseurs stets im musikalischen Umfeld bewegte. Das musikalische Spektrum muss allerdings im Kontext zu Zirners verbalen Beiträgen gesehen werden: Waren sie doch dafür zuständig, jeweils den Geschichten immanente Atmosphäre in den Raum zu stellen. Und die bestimmte nicht zuletzt auch den Charakter der Interpretationen.
Um die Zuhörer bei ihren angenommenen Erwartungen abzuholen, war Rainer Maria Rilke sicher die geeignete Autorenwahl, zumal seine Gedichte „Herbsttag“ und „Herbst“ („Und in den Nächten fällt die schwere Erde / aus allen Sternen in die Einsamkeit. / Wir alle fallen.“) den Herbstblues in schöne Worte fasste. Und Zirners Herkunft von der Theaterbühne machte sich dabei mit seelentiefen Empfindungen und imaginativer Sprachgestaltung bemerkbar.
Zirner rezitiert Rilke: „Es gibt nur eine Einsamkeit, und die ist groß.“
Der Jazzstandard „Autumn Leaves“ griff zunächst die evozierte Atmosphäre auf, bis Bublaths vorantreibender Motor ansprang und die Melancholie zu swingen begann. Mit Texten von Duke Ellington und eigenen Lebenserzählungen wechselte die Lyrik ins Philosophieren, in therapeutischer Hinsicht durchaus der Psychoanalyse zugewandt. Etwa mit vierfacher Spiegelung der Persönlichkeit in der Bucht, die schon bei geringster Kräuselung der Oberfläche im Wind verschwindet. Ein meditatives Bild, das aber nach sinnierendem Intro schnell mit „Caravan“ verflog. Mit einer überzeugenden pantomimischen Einlage verbildlichte Zirner Bublaths Komposition „Lake Storm“ mit Synthesizer-Effekten.
An Überraschungen fehlte es dem Abend jedenfalls nicht. So etwa auch mit einer hochkomplexen philosophischen Briefpassage Rilkes an den Schriftstellerkollegen Franz Xaver Kappus mit dem weisen Satz: „Es gibt nur eine Einsamkeit, und die ist groß.“ Und man soll‘s nicht glauben: Rilke zwang Zirner auch mal in die Knie. Dreimal musste er seinen Satzungetümen mit unzähligen Nebensätzen und Querverweisen zu Leibe rücken, bis sie endlich ihren Sinn preisgaben. „All Blues“ und „In a Sentimental Mood“ entspannten aber anschließend mit mehr Emotionen statt Kopflastigkeit.