Trump und EZB-Geldpolitik: Herausforderungen für Deutschland und Europa – Wirtschaft | ABC-Z

SZ: Herr Nagel, Herr Escrivá, ist die neue Trump’sche Weltordnung die größte Herausforderung in ihrer beruflichen Laufbahn?
José Luis Escrivá: Ich war Minister in Spanien, als die Corona-Pandemie ausbrach. Auch dieser Schock war mit großer Unsicherheit verbunden, was seine wirtschaftlichen Auswirkungen anging. Aber ich würde sagen, dass damals die Richtung des Schocks sehr klar war und auch die politischen Reaktionen eindeutiger ausfielen. Diesmal schafft die Unsicherheit, die sich aus den Entscheidungen der Trump-Regierung ergibt, ein viel komplexeres Umfeld, und die politische Reaktion ist schwieriger.
Joachim Nagel: Meiner Meinung nach wird die Unsicherheit, die wir in den letzten Wochen erlebt haben, nicht so schnell verschwinden. Die US-Regierung hat in einem rasanten Tempo weitreichende, manchmal noch nie da gewesene Entscheidungen angekündigt und wieder zurückgenommen, was erhebliche Auswirkungen auf die Volkswirtschaften und Finanzmärkte hat. Dies macht die Geldpolitik noch schwieriger.
Die EZB muss Leitzinsentscheidungen treffen. Wie macht man das in dieser geopolitisch unsicheren Situation?
Escrivá: Wenn wir in der Lage wären, ein klares Szenario für die künftige Inflationsentwicklung zu bestimmen, und wenn dieses Szenario mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten würde, wären unsere Entscheidungen leichter zu treffen. Zum jetzigen Zeitpunkt müssen wir erst einmal mehr Informationen sammeln. Das ist nicht einfach. Wir müssen die gegenwärtige Situation mit Demut beurteilen.
Nagel: In Bezug auf geldpolitische Entscheidungen ist es wichtig, vorsichtig zu sein und nicht durch eine Überbetonung bestimmter Ankündigungen, die sich kurz darauf ändern könnten, überzureagieren. Was die Analyse betrifft, so verbessern wir kontinuierlich unsere Wirtschaftsprojektionen und Szenario-Analysen. Ich denke, dies ist in einer solchen Situation der beste Ansatz für die Geldpolitik. Für den EZB-Rat bedeutet dies, dass wir an unserer Strategie, von Sitzung zu Sitzung auf Basis der aktuellen Daten über den angemessenen geldpolitischen Kurs zu entscheiden, festhalten werden. Bislang waren wir mit dieser Strategie erfolgreich; die Inflation im Euro-Raum ist auf knapp über zwei Prozent gesunken.
Was halten Sie von Trumps Angriff auf die Unabhängigkeit der Federal Reserve?
Nagel: Die Unabhängigkeit der Zentralbanken ist Teil der DNA einer guten Geldpolitik. Die Geschichte lehrt uns, dass Zentralbanken ohne diese Unabhängigkeit nicht in der Lage sind, Preisstabilität zum Wohle aller zu erreichen und zu gewährleisten. Weniger bekannt ist, dass die Grundlagen für die anerkannte Unabhängigkeit der Bundesbank nach dem Zweiten Weltkrieg gelegt wurden, als das Zentralbanksystem in Deutschland weitgehend nach dem Vorbild des amerikanischen Federal Reserve Systems wieder aufgebaut wurde. Die Angriffe auf die Fed zielen in die völlig falsche Richtung.
Herr Nagel, Sie sind Mitglied der SPD, und Herr Escrivá, Sie haben der Regierung von Pedro Sánchez angehört. Wie wirkt das auf Ihre Unabhängigkeit als Notenbanker?
Nagel: Ich habe meine Karriere vor 26 Jahren bei der Bundesbank begonnen. Ich bin also ein Zentralbanker durch und durch, und es hat in meiner beruflichen Laufbahn nie eine Rolle gespielt, dass ich Mitglied einer politischen Partei bin – und es wird auch in Zukunft keine Rolle spielen.
Escrivá: Ich bin vor 40 Jahren zur Banco de España gekommen und habe dort viele Jahre lang gearbeitet. Ich habe auch bei der EZB und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich gearbeitet. Zu einem bestimmten Zeitpunkt wurde ich eingeladen, der Regierung beizutreten, um meine Erfahrung und vor allem meine Unabhängigkeit in die Politik einzubringen. Ich denke, man hat die Verantwortung, zu dienen, wenn sich die Gelegenheit bietet. Jetzt bin ich in meinen Beruf zurückgekehrt. Das sollte nicht als Problem empfunden werden, da es in den meisten Ländern nicht als solches empfunden wird.
Es weht ein Wind der Deregulierung durch das Bankensystem. Hat man die globale Finanzkrise oder das jüngste Desaster der Credit Suisse wieder vergessen?
Nagel: Die Diskussion in Europa dreht sich darum, wie man die Regulierung weniger kompliziert machen kann, nicht weniger verbindlich. Wir wollen zum Beispiel bei den Eigenkapitalanforderungen keine Kompromisse eingehen – sie bleiben unverzichtbar. Im Allgemeinen war unsere Regulierung seit der Finanzkrise ein Gewinn für die Banken und den Finanzsektor insgesamt. Jetzt geht es darum, nach Möglichkeiten der Vereinfachung zu suchen – ohne die Aufsicht oder die Finanzstabilität zu schwächen. Nach einem Jahrzehnt ist es eine gute Übung, die Methoden und Ergebnisse zu bewerten. In einigen Bereichen, etwa bei den Meldepflichten, sind die Anforderungen möglicherweise zu komplex geworden. Wir bewerten daher jetzt die Situation, um Bereiche zu ermitteln, in denen Bürokratie abgebaut werden könnte.
Die Finanzmärkte in Europa haben sich bisher als recht widerstandsfähig erwiesen, aber ein größerer Zusammenbruch der Aktien- oder Anleihemärkte ist jederzeit möglich. Wie bereitet sich die EZB auf den schlimmsten Fall vor?
Nagel: Wir haben alle Instrumente in unserem Werkzeugkasten, und wir haben in der Vergangenheit gezeigt, dass wir diesen Werkzeugkasten sehr schnell einsetzen oder anpassen können, wenn es nötig ist. Derzeit sind die Finanzmärkte in Europa jedoch robust, und die Banken im Euro-Raum sind in guter Verfassung. Aber die Finanzmarktturbulenzen Anfang April haben uns gezeigt, dass wir nicht selbstgefällig werden sollten.
Escrivá: Die Volatilität auf dem Markt war beträchtlich. Ich glaube, dass die Preisbewertungen auf einigen Märkten sehr hoch waren, das Risiko hingegen sehr niedrig bepreist wurde.
Deutschland steuert auf das dritte Jahr der Rezession in Folge zu. Was muss die neue Regierung tun, um die deutsche Wirtschaft zum Besseren zu verändern?
Nagel: Die Bundesbank hat die Bundesregierung aufgefordert, die Hemmnisse zu überwinden, die das Wirtschaftswachstum behindern. Deutschland muss seine Infrastruktur verbessern, sein Arbeitskräfteangebot ausbauen, die öffentlichen Dienstleistungen digitalisieren und beschleunigen, Bürokratie abbauen und seine Verteidigungsfähigkeit stärken. Der Koalitionsvertrag enthält einige wichtige Elemente in dieser Richtung. Der Deutsche Bundestag hat einen großen Spielraum für neue Investitionen beschlossen. Jetzt liegt es an der neuen Regierung, diese Elemente zügig und effizient umzusetzen. Deutschland muss auch seine Rolle in Europa ernster nehmen.
Escrivá: Wir müssen in Europa vorankommen, die Herausforderungen angehen und Reformen einleiten, um unsere Wirtschaft wettbewerbsfähiger und robuster zu machen. Und meiner Meinung nach ist es sehr schwierig, ohne Deutschland eine starke Führungsrolle in Europa zu übernehmen. Es steht sehr viel auf dem Spiel, aber auch die Erwartungen sind sehr hoch.
Was meinen Sie konkret?
Nagel: Die neue deutsche Regierung muss aktiv zur Weiterentwicklung der EU und Europas beitragen. Und ich stimme mit José Luis Escrivá überein, dass Deutschland seine Rolle bei der Führung der EU spielen muss. Der gemeinsame Markt, die Spar- und Investitionsunion, die Verteidigungs- und Energiemärkte: Sie alle sind wichtig. Aber Europa ist viel mehr als das. Ich denke, es sollte ein ganzheitliches Verständnis dafür geben, warum wir mehr Europa brauchen und nicht weniger. Wir haben jetzt die Chance, die EU zu stärken und Europa weltweit in eine viel bessere Position zu bringen. Letztendlich ist die Europäische Union der zweitgrößte Wirtschaftsraum der Welt. Wir sind nicht schwach. Aber wir können unser enormes Potenzial viel besser nutzen. Lassen Sie es uns freisetzen.
Escrivá: Europa ist gut gerüstet, um zur globalen Stabilität beizutragen. Und wenn Instabilität und Unberechenbarkeit weiterhin von anderen Teilen der Welt ausgehen, denke ich, dass Europa durchaus die Möglichkeit hat, eine wichtigere Rolle zu spielen. So kann der Euro beispielsweise eine größere Rolle als Reservewährung spielen. Europa sollte bereit sein und eine Reihe von Initiativen ergreifen, um sicherzustellen, dass wir darauf vorbereitet sind, international eine wichtigere Rolle zu spielen.
Der Deutsche Bundestag hat ein großes Schuldenprogramm beschlossen. Rund eine Billion Euro sollen in den nächsten zwölf Jahren aufgenommen werden. Befürworten Sie diese Entscheidung?
Nagel: Ich unterstütze den Einsatz zusätzlicher finanzieller Mittel, um die ernsten Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, wirksam anzugehen. Es sind sehr schwierige Zeiten. Deutschland befindet sich mit seinem Bedarf an Verteidigung und Infrastruktur gerade in einer außergewöhnlichen Situation, und die zusätzliche Verschuldung sollte als einmalige Chance für das Land begriffen werden. Aber es ist völlig klar, dass wir nicht alle Probleme mit zusätzlichen Ausgaben lösen können. Die Schuldenquote muss nach einer Anpassungsphase wieder sinken. Die Verpflichtung Deutschlands zur Einhaltung der europäischen Fiskalregeln bleibt unverändert bestehen.