Wirtschaft

Trump-Schock trifft Deutschland: „An den Börsen drohen Panikverkäufe“ | ABC-Z

Die Angst vor einer Rezession in den USA geht um, an den US-Börsen setzt eine Verkaufswelle ein. Die Nervosität belastet auch deutsche Aktien. Was Anleger nun beachten sollten, erklärt Stefan Riße, Kapitalmarktstratege des Vermögensverwalters Acatis, im Interview mit ntv.de.

ntv.de: Nach den jüngsten Äußerungen des US-Präsidenten zu einer möglichen Rezession beben die US-Aktienmärkte. Haben sich die Investoren mit ihrer Wette auf Trump verzockt?

Stefan Riße: Sie haben sich ziemlich verzockt, und zwar absehbar. Wenn man sich mit Verstand schon vor der Wahl Donald Trumps Pläne angeguckt hätte, hätte man wissen können, dass seine Politik zunächst einmal die Inflation anheizt und damit die Zinssenkungsfantasie begrenzt. Denn Zölle heben die Inflation an, außerdem treibt die Abschiebung illegaler Migranten die Inflation. Denn diese werden nicht wie hierzulande vom Staat unterstützt, sondern leben dort als nicht reguläre Beschäftigte. In manchen Branchen wie der Landwirtschaft stellen sie bis zu 40 Prozent der Beschäftigten, auch in der Gastronomie ist der Anteil hoch. Wenn ich diese Menschen alle abschiebe, sinkt die Kaufkraft. Außerdem würden regulär Beschäftigte wesentlich mehr Geld verdienen. Insgesamt würde das nach Berechnungen von Ökonomen ein Minus beim Bruttoinlandsprodukt von sechs Prozent bedeuten – das ist erheblich – und wegen der Lohnsteigerungen auch mehr Inflation.

Worauf haben Anleger unter einem Präsidenten Trump dann gehofft?

Sie hatten nur die geplanten Senkungen von Unternehmenssteuern im Auge. Dazu hat Trump bisher noch nichts gesagt. Das wird wohl irgendwie kommen, scheint aber nicht so dringlich. Das heißt, die negativen Nachrichten dominieren. Und das alles traf auf einen Aktienmarkt, der in Amerika auch sehr sportlich bewertet ist, wenn man sich die großen Indizes anschaut. Dementsprechend groß ist die Enttäuschung.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Superstars unter den Unternehmen, die über Jahre die großen Indizes – den S&P 500 und den MSCI World – mit nach oben getragen haben, laufen schon seit Jahresbeginn nicht mehr. Wir kommen jetzt in eine Phase, in der Anleger zum ersten Mal verunsichert sind. In den vergangenen Jahren sind viele Anleger dazugekommen, gerade jüngere, vor allem über die ETFs. Gespeist aus der sehr guten Entwicklung der vergangenen Jahre herrscht die falsche Annahme, dass es sich dabei um etwas relativ Sicheres handelt – das ist es mitnichten.

Welche Gefahren stecken in ETFs?

Die MSCI-World-ETFs sind zwar Fonds, die über rund 1500 Werte streuen, diese sind aber sehr unterschiedlich gewichtet. Wir sehen dort ein riesiges Klumpenrisiko bei den US-Techwerten, die in den Fonds den größten Anteil ausmachen. Ich fürchte, dass Anleger jetzt aus allen Wolken fallen. Gerade Privatanleger haben in den vergangenen Jahren enorm gezockt, weil es immer gut ging. Doch diese Indizes, auf die die volumenstarken ETFs aufgelegt sind, sind eben diese, die Amerika und Technologie übergewichtet haben. Ich kann mir vorstellen, dass sich ab einem gewissen Kurslevel Panikverkäufe anschließen – und dann können die Kurse zwischendurch auch mal richtig böse runtergehen.

S&P 500
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Zieht das auch den Dax nach unten? Der deutsche Leitindex setzte am Montag schon zum Sinkflug an, nicht nur wegen Trump, sondern auch wegen der Absage der Grünen an das von Union und SPD geplante Schuldenprogramm.

Wenn wir tatsächlich so etwas wie Panik bekommen, also einen gewissen Ausverkauf, trifft es irgendwann alle Werte. Wir sehen das auch an der Technologiebörse Nasdaq und bei Kryptowährungen. Wenn da ein Abverkauf stattfindet, wird plötzlich alles verkauft. Es würde mich sehr wundern, wenn dann nicht auch die deutschen Aktien mit unter die Räder kämen.

Auch wenn die von Union und SPD geplanten Schulden umgesetzt werden, die Grünen also noch zustimmen?

Die Aufgaben bleiben riesengroß. Die geplanten staatlichen Investitionen sind erst einmal eine Konjunkturbremse. Das zeigt sich daran, dass die Zinsen für zehnjährige deutsche Staatsanleihen sofort gestiegen sind. Denn wenn der Staat sich mehr Geld leiht, steigt die Nachfrage nach Geld und damit der Zins. Steigende Zinsen heißt steigende Finanzierungskosten für Unternehmen, aber auch für Konsumenten, die auf etwas Kredit konsumieren. Dann können sie sich weniger leisten. Dieser Effekt schlägt mehr oder weniger sofort zu, während der konjunkturförderliche Aspekt, nämlich das Geldausgeben für Infrastrukturmaßnahmen beispielsweise, erst in ein paar Jahren stattfindet, wenn die Investitionen umgesetzt werden. Die Börse nimmt da viel Positives vorweg, deshalb wird es nochmal zu Einbrüchen kommen.

Hinzu kommt die Exportorientierung der deutschen Wirtschaft.

Der Handelskrieg ist der nächste Bremsklotz für die deutsche Wirtschaft, denn kein Land ist so exportabhängig wie wir. Das kann nicht nur zwischen Amerika und Europa eskalieren, sondern am Ende auch wieder zwischen Europa und China. Wenn sich die Amerikaner abschotten, liefert China seine staatlich geförderte Billigware nach Europa. Es könnten also Zölle gegenüber China und umgekehrt entstehen. Dann würden die Gewinnschätzungen für deutsche Unternehmen nochmal auf den Prüfstand kommen, und dann könnte auch der Dax nochmal verlieren.

Kapitalmarktexperte Stefan Riße Kapitalmarktexperte Stefan Riße

Kapitalmarktexperte Stefan Riße

Andererseits scheint sich das Ende des Ukraine-Kriegs zu nähern und damit ein massives Konjunkturprogramm für Deutschland. Würde es dann an der Börse wieder bergauf gehen?

Rüstungsaktien dürften dann ziemlich eins auf den Deckel kriegen. Auch wenn der Schutz gegenüber Russland wichtig bleibt, bräuchte man bei einem Frieden weniger Investitionen. Aber ja, ein nicht allzu brüchiger Frieden hätte positive Auswirkungen auf die europäische Konjunktur und Unternehmen, die vom Wiederaufbau der Ukraine profitieren würden. Und man würde möglicherweise auch sinkende Energiepreise sehen, weil man bei einer Annäherung zwischen Russland und dem Westen vielleicht auch darauf spekulieren würde, dass doch irgendwann wieder russisches Gas aus Russland nach Europa fließt.

Was bedeutet diese Gemengelage für Anleger, wie können sie aktuell am besten reagieren?

Um Aktien kommt man nicht herum. Die Staaten werden sich weiter stark verschulden. Damit die Staaten ihre Verschuldung finanzieren können, werden die Notenbanken im Zweifel eine etwas höhere Inflation tolerieren. Festverzinsliche Wertpapiere, Sparbuch und Termingeld werden wahrscheinlich auch in den nächsten Jahren keinen ausreichenden Inflationsschutz bieten. Deshalb sollte man sich nicht komplett von Aktien verabschieden. Man kann jetzt vielleicht Gewinne mitnehmen und günstiger nachkaufen, wenn ein Crash kommt. Generell bleiben Aktien aber empfehlenswert.

Welche Papiere lohnen sich aktuell?

Anleger könnten einen Teil aus den großen prominenten Indizes abziehen und eher in Richtung Europa und mittelgroße und kleinere Unternehmen investieren. Die sind unterbewertet. Allerdings sollte man genau hingucken, denn viele Firmen sind berechtigterweise tief bewertet. Aber es gibt gute unter den kleineren Unternehmen, die nicht hoch bewertet sind.

Welche Branchen bieten sich derzeit für ein Investment an?

Ich würde einfach mal raus aus der Technologie. Von einem Wiederaufbau der Ukraine würden Bauunternehmen profitieren. Niedrig bewertet sind zurzeit Biotechnologie- und Pharmaunternehmen.

Die Tesla-Aktie befindet sich gerade im freien Fall. Das hat aber andere Gründe als die Unsicherheit, die Trump auslöst, oder?

Ja, Tesla hat hausgemachte Probleme. Unserer Meinung nach ist Tesla seit vielen Jahren überbewertet. Für uns ist das kein Datenunternehmen, sondern ein Autobauer. Dass dieser einen Bruchteil der Autos weltweit ausliefert, aber so viel wert ist wie die Hälfte aller etablierten Automobilhersteller der Welt zusammen, leuchtet nicht ein. Der Hauptgrund des Absatzeinbruchs ist das politische Engagement von Tesla-Chef Elon Musk. Vor allem in Europa kaufen die Leute keinen Tesla mehr, weil Musk rechtsextreme Parteien unterstützt und radikale Positionen vertritt.

In Deutschland meldet VW einen Gewinneinbruch von fast einem Drittel, die Dividende soll in der gleichen Größenordnung sinken. Was heißt das für Anleger?

Bei den Autoherstellern passiert, was wir immer vermutet haben. Denn die Probleme auf dem chinesischen Markt waren absehbar, vor allem bei Elektroautos. Bei dem Wandel werden die Karten völlig neu gemischt. Die Investitionen, die anzugehen sind, sind riesengroß, und deswegen haben wir nie Aktien von deutschen Automobilherstellern gekauft, obwohl sie unfassbar billig waren, mit wahnsinnig hohen Dividendenrenditen. Wir fühlen uns durch die aktuellen Zahlen bestätigt. Die deutschen Automobilhersteller haben eine Durststrecke vor sich. Man weiß nicht, ob alle die Kurve kriegen – und irgendwann andere Autohersteller dominieren.

Mit Stefan Riße sprach Christina Lohner

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