Trikot von fiktivem Fußballverein: Ist der “FC Palestina” Antisemitismus oder Mode? | ABC-Z

Trikot von fiktivem Fußballverein
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Ist der “FC Palestina” Antisemitismus oder Mode?
Mi 08.10.25 | 18:08 Uhr | Von
Ein Trikot des fiktiven “FC Palestina” führt zur Absage eines Konzerts und zu Diskussionen bei einem Bundesligaverein. Verboten ist das Trikot nicht – und wer seine Träger pauschal verurteilt, macht es sich zu leicht. Von Simon Wenzel
Der 7. Oktober ist vorbei, das Chefket-Konzert im Rahmen von Jan Böhmermanns Ausstellung “Die Möglichkeit der Unvernunft” hat nicht stattgefunden. Abgesagt wegen des Vorwurfs des Antisemitismus, bereits vor anderthalb Wochen.
Der Anlass dafür: drei Postings auf Instagram, kurze Musikvideos, in denen der Rapper Palästina-Trikots trägt. Keine offiziellen, sondern fiktive einer Marke namens “FC Palestina”. Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (parteilos) bezeichnete das Shirt als “antisemitisch”. Jan Böhmermann lud auf Druck den Rapper aus, auch wegen des Datums und dem Gedenken an die Opfer des Hamas-Terroranschlags vom 7. Oktober 2023.
Am Dienstag äußerte sich Böhmermann nun erstmals konkret zum Shirt. Im Talk mit Medienanwalt Christian Schertz, in dem es sonst nicht um dieses Thema ging, sagte Böhmermann, er finde “das Trikot von Chefket scheiße”. Den Antisemitismusstempel wolle er dem Rapper deshalb aber nicht aufdrücken [taz.de].
Eine Position, die deutlich ausgewogener klingt, als jene des Kulturstaatsministers. Erst recht, wenn man sich mit dem Kleidungsstück und der darauf abgebildeten Symbolik beschäftigt.
Chefket kein Einzelfall – darum geht es
Die Trikots gibt es schon deutlich länger als die aktuelle Eskalation in Nahost. “FC Palestina” vertreibt sie nach eigenen Angaben bereits seit 2015. Es gibt sie in Weiß und Schwarz, mit roten und grünen Streifen auf der Vorderseite, einer Palästina-Flagge auf der einen und einer stilisierten Nummer 11 auf der anderen Brust. Die Nummer ist das Symbol, das von einigen als antiisraelisch gedeutet wird. Beide Einsen sind stilisiert als Umriss des ehemaligen Palästina. Die Lesart, die beispielsweise Kulturstaatsminister Weimer vorgibt, geht so: Damit würde das Existenzrecht Israels abgesprochen.
Die Trikots in Weiß und Schwarz sind die Kleidungsstücke, die Rapper Chefket in drei seiner Videos trägt. Es gibt auch speziellere Shirts in bunten Farben und mit verschörkelten Mustern, ein solches trug beispielsweise der australische Nationalspieler Jackson Irvine, Kapitän des Fußball-Bundesligisten FC St. Pauli, bei einem Musik-Konzert. Die Diskussionen damals waren bundesweit deutlich kleiner als jetzt bei Chefket, auch er wurde aber scharf kritisiert und liegt auch deswegen im Streit mit seinem Arbeitgeber. [ndr.de]
Der Hersteller “FC Palestina” schreibt auf seiner Homepage, durch die Trikots wolle man Menschen weltweit die Möglichkeit geben, “ihre Unterstützung zu Palästina zu zeigen”, und hebt die als Karte stilisierte Zahl als besonderes Designelement hervor.
Versand aus Großritannien
Wer tatsächlich hinter den Designs und dem Shop steht, ist nicht mit Sicherheit herauszufinden. Annähern kann man sich dem aber: Der Versand der Trikots erfolgt aus Großbritannien, ein Impressum gibt es allerdings nicht. Der Betreiber nutzt für den Online-Shop eine Mittler-Plattform, die Nutzungsbedingungen sind standardisierte Formulierungen von “shopify”. Auf eine Anfrage von rbb|24 reagierte der Betreiber nicht. Ohnehin gibt es inzwischen mehrere Shirts mit sehr ähnlichen Designs.
In Postings auf Social Media, die auch von “FC Palestina” geteilt wurden, wird ein Mann namens Zahid Hayat als Gründer genannt. Er wurde auch vom englischen Fußball-Lifestyle-Blog “Urban Pitch” 2021 als Gründer der Marke porträtiert. Zahid Hayat, heißt es in dem Text, habe die Marke nebenbei aufgebaut, hauptberuflich sei er in der IT-Branche tätig. Fußballtrikots hätten ihn schon seit der Jugend fasziniert, seine ersten Designs waren deshalb inspiriert von Shirts aus den 1990er Jahren.
Der Text zeigt, wie unterschiedlich die Perspektiven auf das Kleidungsstück sind: Während der deutsche Kulturstaatsminister Wolfram Weimer – zugegebenermaßen auch eine höchst konservative und mindestens mal islamkritische Stimme – es als “antisemitisch” bezeichnet, wird das Trikot hier als popkulturelles Kleidungsstück mit politischer Message dargestellt. So groß ist die Bandbreite der Interpretationen.
Mesut Özil, Artur Boruc und Berliner Kids tragen das Shirt
Zum Zeitpunkt des Artikels waren die “FC Palestina”-Trikots noch ein eher kleineres Phänomen: 4.000 Exemplare habe er in den ersten sechs Jahren verkauft, sagte Hayat “Urban Pitch”. Verschifft in die halbe Welt.
Inzwischen dürften es deutlich mehr sein. Denn “FC Palestina” trifft seit einigen Jahren den popkulturellen Nerv: Fußballtrikots sind in Mode. Auch der Rapper Chefket trägt gern welche, neben dem Palästina-Shirt sind auf seinem Instagram-Account Videos mit Trikots des FC Heidenheim und der brasilianischen Nationalmannschaft zu sehen (ein Sonderdruck mit Jesus-Statue drauf).
Die fiktiven Palästina-Trikots mit der Fahne als Emblem und dem Schriftzug, der wie ein Sponsor wirkt, sind ein niedrigschwelliges, weil gleichzeitig modisches Zeichen zur Unterstützung Palästinas. Seitdem der Konflikt im Nahen Osten eine neue Eskalationsstufe erreicht hat und Israel Gaza bombardiert, nimmt auch die Solidarität für Palästina zu. Dass damit die Trikots populärer wurden, ist folgerichtig.
Auf Instagram kann das Unternehmen stolz mit Stars aus der Sportwelt werben: Mesut Özil posierte mit einem schwarzen “Palestine”-Shirt, Kampfsportler und ein Marathonläufer tragen es beim Training und der ehemalige polnische Nationaltorhüter Artur Boruc trug es erst in diesem Sommer bei einem Benefizspiel seines Ex-Klubs Celtic Glasgow.
In Berlin tragen Jugendliche oder Kinder im Umfeld von Sportveranstaltungen und auf der Straße die Trikots, manche von ihnen sind so jung, dass es ein Wunder wäre, wenn sie sich schon bewusst mit dem Nahostkonflikt auseinander setzen. Bei Konzerten, vor allem in der Hip-Hop-Szene sind die Shirts ebenso verbreitet – also in der Welt, in der Chefket zu Hause ist. In solchen Communities hat das Trikot schon fast eine Art Modestatus erreicht. Jedem, der es trägt, Antisemitismus zu unterstellen, ist deshalb zu pauschal.
Das Symbol per se ist nicht aggressiv
Der Kontext ist wichtig, selbst wenn die Shirts bei Gaza-Demos getragen werden. Nach Einschätzung des Konfliktforschers Jannis Grimm von der Freien Universität, der sich mit den Gaza-Protesten in Berlin und anderen deutschen Städten beschäftigt, könne eine eindeutig aggressive Konnotation eigentlich sogar nur dann vorausgesetzt werden, wenn vom Träger des Trikots auch feindselige Parolen gerufen würden. Der Kartenumriss des historischen Palästina sei bereits seit jahrzehnten Teil palästinensischer Symbolik. Das Trikot als Kleidungsstück schätzt Grimm deshalb “in der überwiegenden Praxis nicht als aggressives Protestsymbol” ein, “sondern als Modeobjekt mit politischer Bedeutung”. Als ähnliche Beispiele nennt er Nike-Sneakers in Palästina-Farben.
Fakt ist, dass sowohl das Trikot als auch die Karte darauf nicht verboten sind. Das bestätigte die Berliner Polizei rbb|24 auf Anfrage. Das Trikot sei bekannt, “strafbare Inhalte wurden nach derzeitigem Stand nicht festgestellt”, schreibt eine Sprecherin. Umso erstaunlicher, dass der deutsche Kulturstaatsminister zu dem Schluss kommt, es sei pauschal als antisemitisch einzustufen.

Fließen Gelder in Palästina-Hilfe?
Zurück zu den Shirts des “FC Palestina”: Das mutmaßliche Original wird online vertrieben, dieses und ähnliche Designs ist aber auch in Berliner Läden erhältlich. Auf Fragen nach Partnershops hierzulande antwortete das Unternehmen rbb|24 nicht. Die Trikots sind laut Angaben auf der Homepage allerdings nicht nur eine optische Unterstützung für die palästinensische Sache. Ein Teil der Einnahmen soll nach Palästina fließen, an Organisationen, die dort Hilfsarbeit leisten. Mindestens 20 Prozent des Gewinns würden gespendet, heißt es von “FC Palestina”.
Ob das stimmt, wieviel Geld bereits zusammenkam und wohin das Geld genau fließt, lässt sich nicht nachvollziehen. Auf all diese Fragen antwortete das Unternehmen ebenfalls nicht.
Eine der wenigen namentlich genannten Organisationen, die laut Angaben des Herstellers von den Einnahmen aus den Trikotverkäufen profitieren sollen, ist MAP, Medical Aids for Palestine. Eine Pressesprecherin teilt auf rbb|24-Anfrage mit, aus Compliance-Gründen könne sie keine Angaben darüber machen, ob MAP tatsächlich Unterstützung von “FC Palestina” erhalten habe.
Der Shirt-Hersteller selbst antwortete auch auf diese Frage nicht, ebenso wie auf Fragen dazu, welche Botschaft er mit der historischen Palästina-Karte auf den Shirts vermitteln wolle und wie er zu den Antisemitismus-Vorwürfen in Deutschland stehe.
















